Wale vom vorzeitigen Tod freikaufen?

(c) EPA (Kate Davison/Handout)
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Nachdem alle bisherigen Ansätze zum Walschutz gescheitert sind – die Zahl der erlegten Tiere ist stark gestiegen –, schlagen Forscher nun vor, der Markt möge es richten.

In der Gewässern der Antarktis hat das alljährliche Ritual begonnen: Japanische Walfänger schleichen sich zur Jagd, verfolgt von Walschützern von „Sea Shepperd“, die ihre heurigen Störmanöver „Operation Kamikaze“ genannt haben und das sehr ernst meinen. Diesen Opferbereiten eilen wieder japanische Schiffe hinterher, um ihnen den Weg abzuschneiden. Eines davon wurde gerade auf hoher See von australischen Umweltaktivisten erklettert, die Mannschaft setzte sie fest und nahm Kurs auf Japan. Dort erhielt 2010 ein Australier wegen Schiffsbesetzung zwei Jahre Haft, dieses Mal verläuft es glimpflicher, die Männer kommen frei.

Fänge haben sich verdoppelt

So geht es jedes Jahr zu, es ist für alle Beteiligten hochgefährlich – im Vorjahr sank ein Schiff von „Sea Shepherd“ nach einer Kollision mit einem Walfänger –, und es bringt Schlagzeilen. Bringt es auch den Walen etwas? Auf den ersten Blick schon, letztes Jahr brach Japan die Jagd vorzeitig ab. Aber der zweite Blick belehrt darüber, dass sich die Zahl der weltweit erlegten Wale seit den frühen 1990er-Jahren verdoppelt hat, von 1000 auf 2000. Eigentlich sollten überhaupt keine mehr gejagt werden, seit 1986 gilt ein Moratorium der International Whaling Commission (IWC).

Aber es hat Schlupflöcher: Für „wissenschaftliche Zwecke“ darf gejagt werden, für die „Subsistenz“ auch, indigene Völker, die sich immer schon von Walen ernährt haben, dürfen das auch weiter. Zudem halten sich zwei Nationen nicht an das Moratorium, Norwegen und Island, sie haben im Vorjahr 600 Wale erbeutet, Indigene 350. Der Löwenanteil von über 1000 ging an die „Wissenschaft“ in Japan bzw. auf die dortigen Märkte (auf sie findet auch Fleisch aus der „Subsistenz“-Jagd seinen Weg).

Mit diesem Zustand sind alle unzufrieden, seit 35 Jahren sucht man eine Lösung, im Vorjahr scheiterte ein Kompromiss, der reduzierte Quoten vorsah. Walschützer waren gegen jede Quote, Japan lehnte ab, weil es den Fang bei der Antarktis hätte einstellen sollen. Japan ist ohnedies der Hauptspieler – und für Walschützer der ausgemachte Böse –, man sollte allerdings nicht übersehen, dass das Land nach dem Zweiten Weltkrieg von der Nahrungsversorgung weithin abgeschnitten war und sich vor allem mit Walfleisch vor dem Hunger rettete: Es wurde als Schulspeisung ausgegeben.

Vor diesem auch psychologisch verfahrenen Hintergrund haben sich Forscher um Christopher Costello (Environmental Science and Management, UC Santa Barbara) einen Befreiungsschlag einfallen lassen, einen „marktwirtschaftlichen Ansatz zum Schutz der Wale“: In ihm würden Wale, die noch gar nicht erjagt sind, mit einem Preis ausgezeichnet, der vom derzeitigen Marktpreis für Walfleisch, der Walgröße und den Fangkosten ausgeht. Ein Zwergwal wäre demnach 13.000 Dollar wert, ein Finnwal 85.000. Dazu brauchte man zunächst wissenschaftlich festgelegte Quoten für die Walarten, die überhaupt gejagt werden dürfen. Diese würden dann auf die Mitgliedstaaten der IWC verteilt.

Tierschützer haben Kaufkraft

Und diese könnten den Markt eröffnen: Walfänger könnten Jagdrechte erstehen, Walschützer Geld auf den Tisch legen, um Tiere vor der Harpune zu bewahren. „Eine konservative Schätzung des jährlich von Walschützern – Greenpeace, Sea Shepherd, WWF – für ihre Kampagnen ausgegebenen Geldes beträgt 25 Millionen Dollar“, rechnen die Forscher vor, „dieses Geld könnte mit dem gleichen oder einem besseren Effekt für den Kauf von Walen eingesetzt werden“ (Nature, 481, S.139).

Ginge das? Modelle für die Lösung von Umweltproblemen mit Mitteln des Marktes wurden in den 1960er-Jahren ersonnen, sie kamen mit wechselndem Erfolg zum Einsatz: Bei der Reduktion von Schwefeldioxid (SO2: saurer Regen) ging es gut, bei der Reduktion von Kohlendioxid (CO2: globale Erwärmung) geht es schlecht, beim Schutz vor Überfischung geht es mittelprächtig, bei dem von Feuchtgebieten konnte viel gerettet werden. Die Teufel stecken im Detail, in den Regeln und Randbedingungen der Märkte: Der Handel mit CO2-Zertifikaten etwa krankt daran, dass zu viele ausgegeben wurden – und dass nicht alle mitspielen wollen, Kanada hat sich diesem Markt gerade entzogen. Bei den Walen würde es natürlich vor allem um die Quoten und ihre Aufteilung gehen, aber angesichts der Misserfolge aller bisherigen Lösungsversuche sehen die Forscher „gute Chancen auf Akzeptanz durch beide Seiten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2012)

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