Rechen-Trick: Österreich soll atomstromfrei werden

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Eine lückenlose Kennzeichnungspflicht und ein selbst auferlegtes Importverbot sollen Österreich bis 2015 rechnerisch atomstromfrei machen. Energieversorger wollen sich selbst den Import von Atomstrom verbieten.

Wien/Auer. Seit vergangenem Sommer streiten Regierung, Elektrizitätswirtschaft und Umweltschutzorganisationen darüber, ob und wie Atomstrom aus den heimischen Netzen verbannt werden kann. Erst der dritte Energiegipfel im Bundeskanzleramt am Montag brachte erste Ergebnisse: In Zukunft muss jede Kilowattstunde Strom, die in Österreich verkauft wird, über ein Herkunftszertifikat verfügen, damit nachvollzogen werden kann, aus welcher Energiequelle der Strom kommt.

Damit konnten sich die Umweltgruppen mit ihrer Forderung nach einer lückenlosen Stromkennzeichnung durchsetzen. Der Import von sogenanntem Graustrom unbekannter Herkunft, in dem gut ein Viertel Atomstrom steckt, soll künftig verboten sein. Ab Ende 2013 sollen alle Haushaltskunden, spätestens ab Ende 2015 auch alle Industriekunden nur noch Strom mit einem eindeutigen Herkunftszertifikat – und dem noch zu schaffenden „Atomstromfrei-Siegel“ – bekommen.

Kein „echtes“ Importverbot

Spätestens ab 2015 ist Österreich atomstromfrei, jubelten die Gipfel-Teilnehmer am Montag. Damit es tatsächlich so weit kommt, sind sie allerdings vor allem auf die Mithilfe der Energieversorger angewiesen. Diese wollen sich selbst den Import von deklariertem Atomstrom verbieten, sicherte der Branchenverband Österreichs Energie zu. Lediglich jene Unternehmen, die direkt von einem ausländischen Energielieferanten Strom beziehen, könnten noch teilweise mit Atomstrom versorgt werden. An den Strompreisen solle sich durch die neue Regelung nichts ändern.

„Für uns ist es ein großer Erfolg“, sagt Reinhard Uhrig von Global 2000. „Aber es war nur der erste Schritt.“ Denn die zweite Forderung der Umweltschützer, das komplette Verbot von Atomstromimporten, wurde nicht umgesetzt. Schon zu Jahresbeginn hatte der Rechtsdienst der EU-Kommission ein derartiges Ansinnen Österreichs als unionsrechtswidrig bezeichnet. Ein komplettes Importverbot sei nicht möglich, da es sich um ein legales Produkt handle, hieß es damals.

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Physikalisch ändert sich nichts

Derzeit decken Österreichs Energieversorger rund 14,7 Prozent des gesamten Strombedarfs mit „Graustrom“ ab, den sie an internationalen Börsen zukaufen. Woher diese Kilowattstunden kommen, ist da meist nicht eindeutig nachzuvollziehen. Rein rechnerisch hat das Land damit einen Atomstromanteil von rund vier Prozent.

Physikalisch ändert sich durch die neue Regelung, die durch eine Novelle des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes fixiert werden soll, freilich nichts. Auch künftig wird Atomstrom von osteuropäischen AKW in heimische Steckdosen fließen. Auch nach der Kennzeichnungspflicht werden heimische Versorger an den Börsen Strom einkaufen, von dem nicht klar ist, wie er produziert wurde. Sie müssen sich lediglich an einer anderen Börse mit entsprechend vielen Herkunftszertifikaten – etwa von Wasser-, oder aber auch von Kohlekraftwerken – eindecken.

Hoffen auf Nachahmer

Den Umweltschutzorganisationen ist diese Problematik zwar bewusst. Sie setzen aber vor allem auf die Symbolkraft der gestrigen Entscheidung. Wenn sich erst große europäische Länder wie etwa Deutschland, das bereits den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hat, ähnliche Verpflichtungen auferlegen, könnte es für die Betreiber für Atomkraftwerke eng werden, so das Kalkül. Je mehr Staaten Österreichs Beispiel folgen, desto knapper würde das Angebot an grünen und thermischen Herkunftszertifikaten, die dann für die Einfuhr von Atomstrom nötig wären.

Auf einen Blick

Österreich wird rechnerisch atomstromfrei. Ab 2015 darf nur noch Strom mit Herkunftsnachweis verkauft werden. Die Energieversorger verpflichten sich, auf den Kauf von Atomstrom zu verzichten.

Derzeit deckt Österreich 14,7 Prozent seines Strombedarfs mit „Graustrom“, in dem rund ein Viertel Atomstrom enthalten ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2012)

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Kommentare

Ein Erfolg im Schattenboxen

Ein Verzicht Österreichs auf Atomstrom ist ja nett. Große Auswirkungen auf Europas Energiesystem hat er nicht.

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