360 Grad Österreich: "Des Wuid is hoid im Woid"

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Auf der Suche nach dem Wild: Im Nationalpark Kalkalpen versucht man, den Menschen die heimische Tierwelt näherzubringen.

Man muss kurz innehalten und die Geschichte einatmen, die hier verströmt wird. Von der dunklen Holzdecke mit den dicken Balken, von dem kitschig-schön bemalten Bauernkasten, den harten Holzsesseln, dem grünlichen Kachelofen. Wenig in diesem Raum ist jünger als 100 Jahre. Der Tisch hinten in der Ecke, der sich mit wenigen Handgriffen zu einem Rundtisch umbauen lässt, stammt sogar aus dem 16.Jahrhundert. Wer ist an ihm schon gesessen? Wer hat neben dem Kachelofen ein Mittagsschläfchen gehalten? Welche Tragödien haben sich in dieser Stube abgespielt, welche Feste wurden hier gefeiert?

„Isch schu was“, sagt Michael „Michl“ Kirchweger, der in einer Lederhose am Eingang steht und in diesen Raum passt, als wäre er für ihn gebaut worden. Tatsächlich ist er 1879 für Franz Emmerich Graf von Lamberg errichtet worden, ein Zimmer in seinem umfangreichen Jagdhaus, das die österreichischen Bundesforste um viel Geld sinnvoll renovieren ließen. Heute ist das Forsthaus Bodinggraben ein Schmuckstück des Nationalparks Kalkalpen. Es ist auch die Dienstwohnung von Förster und Nationalpark-Ranger Michl, aber wenn man freundlich ist, dann zeigt er gern die Stube her und öffnet vielleicht auch die alte Bestecklade, die vor allem ein Zeugnis für die Ehrlichkeit all jener Mitarbeiter der Bundesforste ist, die hier gelebt haben: Kein einziger Silberlöffel fehlt.

Das Forsthaus hat nur am Rande mit der Geschichte zu tun, um die es geht, aber es passt zum Nationalpark, zum Michl und zur Stimmung. Der Herbst ist bereits über diesen Teil von Oberösterreich bei Molln gezogen und hat bunte Tupfer in den Wäldern zurückgelassen. Es ist feucht, es riecht nach vermodernden Blättern, und in der nebeligen Dämmerung hört man brunftige Hirsche röhren. Und genau um die geht's.

In Österreich hört man ja im besten Fall das Wild, sehen tut man es kaum. Hin und wieder Rehe, selten Gämsen, keine Hirsche und schon gar keine Luchse, die man jetzt wieder ansiedelt. Das liegt einerseits an der Natur der Tiere – „Des Wuid is hoid im Woid“, erklärt Michl Kirchweger –, andererseits liegt es natürlich an der Jagd. Über Jahrhunderte haben Tiere gelernt, den Menschen mit Gefahr gleichzusetzen, und die Jagd ihrerseits sorgte für die natürliche Auslese: Die etwas mutigeren Wildtiere wurden geschossen, nur die feigsten und scheuesten überlebten.

Im Nationalpark Kalkalpen wird nicht mehr gejagt, nur noch „reguliert“, um die Wildbestände unter Kontrolle zu halten. 130 Stück Rotwild werden auf das Jahr verteilt von Berufsjägern geschossen – aber kein einziger Hirsch.

Jetzt könnte man glauben, dass es dem Wild recht egal ist, ob es gejagt oder reguliert wird. Ist es ihm aber interessanterweise nicht. Man merkt es, wenn man die Tour „Hirschlos'n“ macht, eine von vielen Führungen, mit denen die Nationalparkbetreiber den Menschen die Wildtiere näherbringen möchten (im November bietet man beispielsweise Ausflüge zur Gamsbrunft, von Dezember bis März gibt es Schaufütterungen). Auf Lichtungen kann man an diesem Abend in vielleicht 200 Meter Entfernung vier Hirsche beobachten, die um die Damen röhren, dass der Wald erzittert. Ein Viertel ihres Körpergewichts verlieren Rothirsche in der Brunftzeit, derart anstrengend und intensiv ist das Werben.

„Öööhh“, macht ein kleiner Bub, der mit seinen Großeltern unter einem Baum am Boden sitzt, den Brunftschrei nach. „Warum tuan die eigentli' so?“, fragt er unschuldig den Opa. Der murmelt etwas Unhörbares in seinen imaginären Bart und drückt dem Kleinen das Fernglas in die Hand: „Do, schau wieda.“


Auf der Suche nach dem Luchs.
Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, wie die Hirsche hoch aufgerichtet aus dem Wald schreiten – mit mächtigem Geweih, dessentwegen man sie hier eben nicht schießt –, röhren und ihren Harem verteidigen oder einen beanspruchen. Lässt sich ein Rivale vom Röhren nicht vertreiben, gibt es einen Kampf. Nicht an diesem Abend, aber die Hirsche, die sich mit dem Geweih so ineinander verkeilen, dass sie am Ende verhungern, sind Legende.

Die große Attraktion sind Hirsche im Nationalpark Kalkalpen nur deswegen, weil man die andere Attraktion nie sieht. Man hört sie nur, aber das klingt wenig spektakulär. „Bieep, bieep“, macht das kleine Gerät, das neben Walter Wagner auf dem Beifahrersitz liegt. „Da is' er“, sagt er mit ansteckendem Enthusiasmus. „Irgendwo im Umkreis von sieben Kilometern.“

Das ist tatsächlich aufregend. Denn der Luchs hat 210 Quadratkilometer Platz, um sich zu verstecken. Da ist so eine Ortung schon eine kleine Sensation. „Jetzt schauma, wo er is'“, sagt Walter und greift zur Ortungsantenne. „Schauma“ ist relativ. Alle drei Luchse, die im Nationalpark leben, tragen zwar kleine Sender um den Hals (außer die zwei Jungtiere, die heuer im Frühjahr geboren wurden, weil sie noch zu klein sind). Mithilfe von UHF- und VHF-Antennen kann man ihren Standort auch recht gut eingrenzen. Aber Luchs-Schauen – „Da muast in den Zoo.“ Denn wenn er nicht gesehen werden will, wird der Luchs auch nicht gesehen – da kann man in zehn Meter Entfernung an ihm vorbeigehen.

Walter Wagner ist eigentlich Bärenexperte bei den Bundesforsten, nur sind ihm seine Klienten in den vergangenen Jahren abhandengekommen. Man ist ja schnell, hierzulande einen Bären zum „Problembären“ zu erklären, auch wenn er einfach nur das macht, was ein Bär eben so macht (man erinnere sich an die Aufregung um „Bruno“). Nach Erhebungen würde Österreich genug Lebensraum für 1400Braunbären bieten, aktuell halten wir bei genau null. Die heimische Population ist wieder ausgestorben, die Sichtungen im Süden Österreichs sind Grenzgänger aus Slowenien.

Eine andere, ebenso erfreuliche Begegnung mit Wild kann man am Abend in der Nationalpark Lodge Sonnwend in Roßleithen machen. Die Jugendstilvilla wurde liebevoll renoviert und ist heute Hotel und Restaurant. Auf den Teller kommt hier, was die Mitarbeiter der Bundesforste im Nationalpark reguliert haben. Derzeit Reh und Hirsch, aber auch ein Gamsschnitzel in Sesampanier – und dafür könnte man selbst zum Jäger werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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