Mali: Schonfrist für die „Gotteskrieger“ von Timbuktu

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Der Westen und die westafrikanischen Staaten wollen die Jihadisten aus dem Norden Malis vertreiben. Bis zu einer Intervention könnte allerdings noch ein halbes Jahr vergehen.

Dieben hackt man die Hand ab, Liebespaare werden wegen Ehebruchs gesteinigt, Jahrhunderte alte Sufi-Schreine zerstört und wer Musik hört, fernsieht, Fußball spielt, raucht oder Alkohol trinkt, der wird ausgepeitscht: Für extremistische Islamisten ist der Norden Malis ein Paradies. Hier herrscht für sie die „göttliche Ordnung“, eine rigide Version der Scharia, des islamischen Rechts.

Die Gruppen nennen sich „Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika“ oder „Ansar Dine“, also „Verfechter des Glaubens“. Sie teilen die Ideologie von „al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (Aqim), der dritten Gruppe, mit der gemeinsam sie den Norden Malis im heurigen Frühjahr unter ihre Kontrolle brachten. Die Islamisten übernahmen im Juni gewaltsam den von den Tuareg ausgerufenen „unabhängigen Staat Azawad“. Azawad steht für die Regionen Timbuktu, Kidal und Gao. Dort hatten die Tuareg bereits 1962, 1990/91 und 2006 gegen die Regierung in Bamako rebelliert. 2012 brauchten sie kein halbes Jahr, um das Gebiet von der Größe Frankreichs zu erobern. Heute ist Azawad ein Gottesstaat und das Ziel von Jihadisten aus aller Welt.

Ausbildungslager für Kämpfer

Sie kommen aus Nigeria, dem Irak, aus Libyen, Saudiarabien oder Pakistan. Erst diese Woche wurde in Gao die Ankunft von bis zu 100 neuen Kampfgenossen aus Algerien und der Westsahara gemeldet. In der legendären Goldstadt Timbuktu sollen binnen 48 Stunden 150 Islamisten aus dem Sudan angekommen sein. Wer keine Kriegserfahrung hat, wird in neuen Ausbildungslagern trainiert.

„Wenn der Norden Malis zerfällt und Terroristenschulen entstehen“, sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle besorgt, „dann gefährdet das nicht nur Mali und die Region, sondern auch Europa.“ Deutschland will Mali und seine Armee unterstützen, sich jedoch nicht aktiv im Kampf gegen die Islamisten beteiligen oder Waffen liefern.

Eine militärische Intervention im Norden Malis ist allerdings beschlossene Sache. Die Islamisten sollen aus ihrer Bastion vertrieben werden, um einen Staat nach dem Vorbild des Taliban-Afghanistan (1996–2001) zu verhindern, von dem aus Anschläge auf westliche Länder geplant und durchgeführt werden könnten. Frankreich drängt auf ein schnelles Eingreifen in seiner Exkolonie und schickt Überwachungsdrohnen. Vor 2013 wird aber nichts passieren.

Armee schlecht ausgerüstet

Die Armee Malis ist zu schlecht ausgerüstet und nicht in der Lage, den Islamisten Paroli zu bieten. Sie stand schon auf verlorenem Posten, als ihnen Anfang des Jahres die Tuareg eine Niederlage nach der anderen zufügten und Stadt für Stadt eroberten. Die Armee fühlte sich „verheizt“ und von der Regierung alleingelassen. Der Ärger war so groß, dass das Militär unter der Führung von Hauptmann Amadou Sanogo die Regierung und den Präsidenten stürzte.

Nach der Verhängung von Sanktionen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas wurde eine „Regierung der nationalen Einheit“ ernannt. Die Ecowas will auch al-Qaida aus dem Norden Malis vertreiben. Sie hat eine 3000 Mann starke Eingreiftruppe, wartet aber auf internationale Unterstützung. Vor zwei Wochen bekam die Ecowas dann vom UN-Sicherheitsrat grünes Licht. Binnen 45 Tagen soll sie einen detaillierten Plan vorlegen.

Nur: Ohne Hilfe westlicher Staaten wird eine westafrikanische Intervention kaum Erfolg haben. Ohne militärische Aufklärung aus der Luft ist im Norden Malis kein dauerhafter Erfolg gegen die Islamisten zu erreichen. Es ist ein unüberschaubares Wüstengebiet. Bewaffnete Trupps sind in der Weite der Sahara wie Nadeln im Heuhaufen. Mit von der Partie bei der Planung und Durchführung einer Intervention sind neben Frankreich auch Großbritannien und die USA. Bis Dezember könnte es dauern, sagt Stephen O'Brien, der britische Vertreter für die Region, bis ein Plan fertig sei.

Die Islamisten im Norden Malis haben jedenfalls noch Monate Zeit, ihre Position zu konsolidieren und aufzurüsten. Geld genug haben sie ja. Die Sahelzone ist ein bekannter Ort für Drogen- und Zigarettenschmuggel. Hinzu kommen Einnahmen von mindestens 55 Mio. Euro an Lösegeldern aus Entführungen seit 2005. Al-Qaida im Maghreb sei reicher als die „Zentrale“ in Pakistan oder im Jemen, sagt Mohammed Kamel Rezag Bara, Berater des algerischen Präsidenten. Die al-Qaida-Zentrale verfüge nur über ein Jahresbudget von vier bis neun Mio. Euro.

Inszenierte Entführung?

Algerien muss es ja wissen. Das nordafrikanische Land hat eine seltsame Beziehung zur Terrororganisation. Die lange Reihe von Kidnappings wurde 2003 mit der Entführung von 32 Europäern in der algerischen Sahara eingeleitet. Eine Aktion, die sogar den Geiseln seltsam vorkam. „Dass das eine Inszenierung des algerischen Militärs gewesen sein könnte, kam mir erst später in den Sinn“, schrieb Harald Ickler in einem Buch über seine Zeit in den Händen von „Islamisten“.

Der Chef der Entführer, ehemaliger Fallschirmspringer der Armee, wurde verhaftet und zweimal vor Gericht gestellt. Einige seiner Mitstreiter tauchten nun im Norden Malis auf. Einer von ihnen ist Moktar Belmoktar, der heute seine eigene al-Qaida-Brigade anführt und dessen Tod schon mehrfach offiziell verkündet worden war.

(c) DiePresse

„Vom Geheimdienst kontrolliert“

„Algerien hat mit den Aqim-Truppen die Rebellion der Tuareg erfolgreich niedergeschlagen“, behauptet Jeremy Keenan von der „School of Oriental and African Studies“ in London. Nicht nur al-Qaida im Maghreb werde vom algerischen Geheimdienst DRS gesteuert, auch der Führer von Ansar Dine, Iyad ag-Ghaly, habe beste Beziehungen zum DRS: „Es war ein gelungener Schachzug der algerischen Behörden“, meint Keenan, der als Vermittler bei Aqim-Entführungen eingeschaltet war. „Nur jetzt scheint ihnen die Kontrolle über ihre Terrorgruppe verloren gegangen zu sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2012)

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