Rettungshubschrauber: Kampf um die Verletzten

Rettungshubschrauber Kampf Verletzten
Rettungshubschrauber Kampf Verletzten(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Ch. Kelemen)
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360 Grad: In den Osterferien werden die Rettungshubschrauber wieder im Akkord fliegen. Nicht zur Freude jedes Verletzten.

Man könnte herzhaft darüber lachen, wäre die Geschichte nicht so traurig: Da stürzte also ein Mann in Kärnten die Treppe hinunter und blieb verletzt am Fuß der Stiege liegen. Die Familie rief die Rettung und bat ausdrücklich, wegen der Kosten ja keinen Notarzthubschrauber zu schicken. Kurze Zeit später knatterte es über dem Haus. Was sollte die Familie also machen, jetzt, da der Hubschrauber schon da war? Sie versteckte sich und tat so, als sei niemand zu Hause.

Der Hintergrund ist weniger lustig: Schon einmal schickte man der Familie nach einem Unfall einen Notarzthubschrauber. Weil sie keine Versicherung hatte und der Einsatz medizinisch nicht notwendig war, musste sie dafür aus der eigenen Tasche 4300 Euro bezahlen. Deshalb das Versteckspiel.

Die Betreiber eines Rettungshubschraubers haben natürlich das gegenteilige Interesse: Je mehr Menschen sie fliegend retten, umso besser für sie. Ein Hubschrauber, der auf dem Boden steht, bringt kein Geld. Und einer, der zu einem Einsatz fliegt und ohne Patient wieder abrückt, kostet Geld (verweigert ein Patient den Transport, darf ihm keine Rechnung gestellt werden).


15 Hubschrauber in Tirol. Ratatatata macht der Hubschrauber, der an diesem Tag zum dritten Mal über die Paznauner Taja-Hütte in Ischgl rauscht, einem der größten Skigebiete Europas. 20.000 Skifahrer tummeln sich pro Tag auf den 238 Pistenkilometern. Da kann schon einiges passieren – und deswegen sind auch gleich drei Hubschrauber in der Umgebung stationiert.

„Es gab manchmal ein richtiges Gerangel um Verletzte“, erinnert sich ein Pilot, der schon seit vielen Jahren im Tiroler Oberland Einsätze fliegt. Einmal, weiß er, seien gleich drei Hubschrauber zu einem Skiunfall angerückt. Um das zu verhindern, setzte man damals auf Freundschaften – oder auch ein bisschen mehr. „Mit manchen Skigebieten hatte man – na ja – eine Vereinbarung, dass sie ein bestimmtes Hubschrauberunternehmen bei einem Unfall anrufen.“

Das ist mittlerweile Geschichte, weil alle Einsätze von einer zentralen Leitstelle koordiniert werden. Die Zahl der Skiunfälle in Tirol reicht aber immer noch für eine weltweit wohl einzigartige Dichte an Rettungshubschraubern: 15 Stück sind in dem Bundesland im Winter unterwegs. So viele, wie die ganze Schweiz im Einsatz hat – und die ist fast viermal so groß.

Der Hintergrund ist recht banal: Mit den Skiunfällen lässt sich gutes Geld verdienen – im Gegensatz zu den regulären Einsätzen. Die werden von der Sozialversicherung nämlich nur mit einer Pauschale von etwa 1000 Euro abgegolten. Für die Differenz auf die tatsächlichen Kosten gibt es verschiedene Modelle. Der ÖAMTC hat mittlerweile mit allen Bundesländern Verträge, die bei medizinisch notwendigen Einsätzen mitzahlen. In Tirol erhält er beispielsweise pro Einsatz zwischen 1600 und 2300 Euro.

Bei Freizeit- und Sportunfälle im alpinen Gelände aber steigt die öffentliche Hand aus. Die Flugrettung kann dem Patienten den Einsatz in vollem Umfang verrechnen. Und das wird teuer: Im Jahr 2011 im Durchschnitt etwa 3000 Euro. Manche erhielten auch Vorschreibungen von 7000 Euro. Wer sich also in den Osterferien auf der Skipiste ein Bein bricht, kann den Flug relativ entspannt genießen, wenn er eine entsprechende Versicherung hat. Ansonsten gilt es abzuwägen zwischen den Kosten und den zu erwartenden Schmerzen im Akja.

Deshalb ist das durchwegs alpine Tirol bei der Flugrettung also besonders beliebt. Vergangenes Jahr alarmierte die Leitstelle in Innsbruck 7886-mal einen Rettungshubschrauber. Etwa ein Drittel der Einsätze sind medizinische Notfälle. Im Jahresschnitt stiegen die Notarzthubschrauber pro Tag also 22-mal auf. Die Rekordtage liegen freilich immer im Winter, wenn besonders viele Skifahrer im Land sind. 2011 war es der 26. Februar: An dem Tag gab es 79 Einsätze der Notarzthubschrauber.

Sechs Unternehmen fliegen mit 15 Hubschraubern um die Verletzten, darunter auch Hubschrauber eines Vorarlberger Kniespezialisten. Sie fliegen privat versicherte Patienten gleich in die eigene Klinik in Schruns.

Ob ein Hubschrauber bei einem Skiunfall geschickt wird, entscheidet in etwa zwei Drittel der Fälle „qualifiziertes Fachpersonal“ vor Ort: der Einsatzleiter der Bergrettung, ein Rettungsdienst oder auch die Pistenrettung. Ein Drittel gehen auf Anrufe von Privatpersonen zurück, die vom Mitarbeiter der Leitstelle nach einem festgelegten Protokoll abgefragt werden. Am Ende entscheidet ein Code über den Einsatz.


„Kein Geschäft.“ Nicht nur Tirol hat eine besonders hohe Dichte an Rettungshubschraubern. In Österreich gibt es im Verhältnis zur Einwohnerschaft so viele Rettungshubschrauber wie nirgendwo in Europa: 36 bis 39 (je nach Zählung). In Deutschland sind es nur 80 Standorte mit ebenso vielen Rettungshubschraubern, in Italien gibt es um die 50.

Laut einer Studie der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse aus dem Jahr 2009 würden 16 Rettungshubschrauber für ganz Österreich genügen, um jeden Ort binnen 15 Minuten erreichen zu können. Warum es so viele gibt? „Aus reiner Nächstenliebe ganz sicher nicht“, meint ein Mitarbeiter des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger.

Der ÖAMTC, der in Österreich 16 Standorte betreibt, will vom großen Geschäft nichts wissen. Jahrelang habe man ein Millionenminus eingeflogen, deshalb wurden in den vergangenen zwei Jahren neue Verträge mit den Bundesländern verhandelt. Jetzt bleibe am Ende zumindest kein Verlust – aber auch kein Gewinn. 2011 hatte man 16.099 Einsätze und machte einen Umsatz von 18,7 Millionen Euro.

Inkludiert sind da auch die Kosten für den eingangs erwähnten Kärntner. Er ließ sich am Ende vom Notarzt überreden, aufgrund seiner Verletzungen doch mitzufliegen – gegen das Versprechen, dass ihn der Flug nichts kosten wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2013)

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