Richter: "Justizposten als Parteiendomäne"

Peter Liehl Justizposten Parteiendomaene
Peter Liehl Justizposten Parteiendomaene(c) Robert Jaeger
  • Drucken

Anlässlich der Debatte um die Besetzung von hohen Gerichtsfunktionen kritisiert der Wiener Richter Peter Liehl mangelnde Transparenz bei Besetzungsverfahren. Ein "Presse"-Interview.

Die Presse: Nächstes Jahr nehmen die neun neuen Landesverwaltungsgerichte ihren Betrieb auf. Anlässlich der Bestellung der Gerichtspräsidenten für Wien und Niederösterreich ist eine Debatte über deren mögliche Nähe zur SPÖ bzw. zur ÖVP ausgebrochen. Wie unabhängig ist Österreichs Justiz?

Peter Liehl: Die Politik will alles in ihren Machtbereich einbeziehen. Um attraktiv zu bleiben, müssen Parteien die ihnen Nahestehenden fördern. Derartiges ist nach Medienberichten offenbar bei der Besetzung der Landesverwaltungsgerichte in Wien und Niederösterreich passiert. Meiner Meinung nach liegt auch ein weiterer Fehlstart vor, wenn in den sieben anderen Bundesländern bei den Gerichtsposten alles beim Alten bleibt (die Präsidenten der Unabhängigen Verwaltungssenate übernehmen nächstes Jahr die Leitung der neuen Verwaltungsgerichte, Anm.). Diese Besetzungen waren schon seinerzeit teilweise politisch ausgerichtet. Vielleicht wäre bei einer Durchleuchtung durch eine Bestellungskommission ein ganz anderes Ergebnis herausgekommen. Die große Chance auf einen glaubwürdigen Neubeginn in Richtung unabhängige Kontrolle durch die Landesverwaltungsgerichte wurde nicht wahrgenommen.

Ganz abgesehen von den Verwaltungsgerichten werden viele hohe Justizfunktionäre bestimmten politischen Lagern zugeordnet. Hat die Justiz ein Anscheinsproblem oder stimmen die Zuordnungen?

Die Justiz hat ein Anscheinsproblem, weil das Besetzungsverfahren nicht transparent genug ist, um Gerüchten die Grundlage zu nehmen. Die Bestellungsverfahren für Leitungsposten entsprechen nicht den Regeln eines fairen und zeitgemäßen Verfahrens. Verschiedene Positionen von Präsidenten gelten als Domäne der Großparteien und werden hartnäckigen Gerüchten zufolge immer wieder „richtig“ besetzt. Die Besetzung ab der Position eines Landesgerichtspräsidenten bis hin zu Oberlandesgerichts- und Höchstgerichtspräsidenten soll demnach nicht mehr ohne die Einigung in den Parlamentsklubs passieren.

Der derzeitige Modus bei Besetzungsverfahren für Zivil- und Strafgerichte, nämlich Kandidatenreihung durch gerichtliche Personalsenate, Auswahl der Bewerber durch das Justizministerium inklusive Vorschlag an den Bundespräsidenten, ist also verbesserungswürdig?

Dringend. Es könnten moderne Bewerbungsvorgänge wie in der Privatwirtschaft eingeführt werden. Denkbar wäre auch eine Art Automatismus, wonach die Dienstältesten eines Gerichts mit ausgezeichneter Dienstbeschreibung immer erstgereiht werden bzw. an den ersten Stellen der Besetzungsvorschläge stehen. Damit wäre eine größere Objektivität und eine Verbesserung der Unabhängigkeit gewährleistet.

Was heißt das für die Rechtsprechung?

Man muss zwischen Justizverwaltung und Rechtsprechung unterscheiden. Ich glaube, dass der normal, ohne Beförderungswünsche arbeitende Richter, der auch genügend Erfahrung und Standfestigkeit hat, völlig unabhängig arbeitet. Will ein Richter hingegen maßgeblich weiterkommen, muss er sich unauffällig verhalten, sich anpassen. Und er muss sich in die richtigen Kreise begeben. Außerhalb der erlesenen Kreise, um nicht Seilschaften zu sagen, kommt man eher nur ausnahmsweise weiter, wenn keine anderen Mitbewerber da sind oder etwa wenn man eine juristische Koryphäe ist.

Wie soll es mit der Weisungsbefugnis des Justizministers, also eines politisch besetzten Organs, über die Staatsanwälte weitergehen?

Ganz einfach: Die Staatsanwälte sollten weisungsfrei gestellt werden.

Reden Justizvertreter mit der ewigen Klage über den üblen Anschein der Weisungsbefugnis des Justizministeriums gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht gerade den üblen Eindruck herbei?

Es wäre doch wohl kaum besser, wenn wir schweigen würden.

In welchen Bereichen – abgesehen von der Art der Postenbesetzung und der Weisungsgebundenheit im Strafverfahren – ist die Unabhängigkeit der Justiz noch in Gefahr?

Ist man unabhängig, wenn man nicht mehr ausreichend Zeit, Personal und Geld hat, um Verfahren gründlich zu führen? Eher nicht. So haben die Rechtssuchenden immer mehr das Gefühl, dass man ihnen und ihren Problemen nicht ausreichend Zeit widmet.

Wie beurteilen Sie als Richter die Debatte um Missstände in der Jugendhaft?

Solche Probleme ergeben sich aus dem Kaputtsparen der gesamten Justiz. Man könnte die Bedingungen in der U-Haft und im Strafvollzug mit mehr Personal wesentlich verbessern und sicherer gestalten.

Zur Person

Peter Liehl, Jahrgang 1953, ist Vizepräsident des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen (LGZ). Er leitet dort einen Rechtsmittelsenat. Liehl war von 1980 bis 2007 Standesvertreter der Richterschaft, unter anderem Obmann der Sektion Wien der Richtervereinigung und Betriebsausschuss-Obmann des LGZ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.