Vom Wilderer zum Amokschützen

Wilderer Amokschuetzen
Wilderer Amokschuetzen(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Ermittler machen den Todesschützen für den Abschuss kapitaler Hirsche in Niederösterreich und der Steiermark verantwortlich. Mit verklärter Wildschütz-Romantik hat der Fall nichts zu tun.

Lilienfeld/Wien. Die kleine Ortschaft Großpriel bei Melk in Niederösterreich besteht aus nur wenigen Häusern. Und bisher hatte hier niemand auch nur eine Ahnung davon, welcher fragwürdigen Leidenschaft der in einem etwas abseits gelegenen Hof lebende Alois H. in den letzten Jahren nachgegangen war. Das ist jetzt anders. Jener Mann, der in der Nacht auf Dienstag auf der Flucht vor den Behörden vier Personen getötet hat (siehe Bericht Seite 1), wird von Ermittlern für eine ausgiebige und illegale Trophäenjagd verantwortlich gemacht, die nun als geklärt gilt.

Begonnen haben soll die Wilderer-Karriere des 55-Jährigen 2008 im steirischen Gesäuse. Revierjäger und Förster des Stiftes Admont entdeckten bei ihren Streifzügen die Kadaver mehrerer Hirsche, denen der Kopf, also die Trophäe, abgetrennt worden war. Am Fleisch schien der Schütze nicht interessiert. Auffällig war allerdings schon damals, dass die Abschüsse stets in unmittelbarer Nähe von Straßen stattfanden, die als Fluchtweg dienten. Die Behörden nahmen die Ermittlungen auf. Allerdings ohne Erfolg.

Um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln, suchte sich H. ein neues Revier. 2009 zog es ihn in die niederösterreichischen Voralpen. Eine Gegend, die ihren reichen Wildbestand sogar speziell vermarktet („Lilienfelder Voralpen-Wild“). Doch wieder war H., der einen Gewerbeschein für Transportunternehmer besitzt, nicht am Fleisch, sondern an den Trophäen interessiert. Wieder schoss er Hirsche in der Nähe von Straßen, wieder fanden Jäger nur noch die verwesenden Kadaver, denen die Schädel – und das fiel auf – fachmännisch abgetrennt worden waren.

Romantik war einmal

Acht Tiere soll H. damals bei seinen nächtlichen Ausflügen im Mondlicht geschossen haben. Ermittler des niederösterreichischen Landeskriminalamts nahmen ihrerseits die Jagd auf den Wilderer auf. Doch im Oktober 2010 verlor sich mit dem bisher letzten bekannten Abschuss die Spur. Bis sich die Exekutive schließlich in der Nacht auf Dienstag nach einem Hinweis auf die Lauer legte. Ein Einsatz, der in einem Blutbad enden sollte.

Aber warum ging H. nachts illegal auf die Pirsch? Die Frage weiß heute noch niemand verlässlich zu beantworten. Theorien gibt es jedoch einige. Zwar hat im 21.Jahrhundert die romantisch-verklärte Vorstellung vom Wilderer, der sich mit seinem verbotenen Treiben gegen die Obrigkeit stellt, um die hungerleidende Bevölkerung zu ernähren, ausgedient. Aber: „Heute reicht die Palette der Wilderer von ausgeschlossenen Jägern über Trophäenjäger bis hin zu Leuten, die einfach einen Nervenkitzel suchen“, sagt Martin Schacherl. Er ist Bezirksjägermeister von Lilienfeld, jenem Bezirk, in dem H. zuletzt tätig war.

Dabei ist der finanzielle Wert der erbeuteten Trophäen vergleichsweise gering. Höchstens 500 Euro hätte H. pro Geweih bekommen können, schätzt ein Jäger. Auch bei mehreren Abschüssen steht die Summe in keinem Verhältnis zu den hohen Strafen, die auf Wilderei stehen.

Hohe Strafen auf Wilderei

Im Strafrecht nennt sich das dann „Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht“. In der gelindesten Form stehen darauf bis zu sechs Monate Haft. Übersteigt der Schaden 3000 Euro, oder setzte der Wilderer bei seiner Tätigkeit Sprengstoff, Fangeisen oder andere Mittel ein, sind bis zu drei Jahre Gefängnis möglich. Noch höhere Strafen sieht das Gesetz dann vor, wenn sich der Wilderer auf frischer Tat gegen seine Festnahme wehrt, und dabei Personen verletzt oder gar (ohne Vorsatz) getötet werden. Dann sind bis zu 15 Jahre Haft denkbar.

Dabei bringen Jäger alle bekannten Fälle zur Anzeige. Im Jahr 2012 scheinen 321 Einträge in der Kriminalstatistik auf. Das liegt genau im langjährigen Trend, der sich zwischen 300 und 400 registrierten Anzeigen bewegt. Auch die Aufklärungsquote von Wildereidelikten ist seit 2002 einigermaßen konstant. Sie pendelt zwischen 33 und 45 Prozent.

Dabei werden selbst Jäger immer wieder zu Tätern. Heinz Gach ist Landesjägermeister in der Steiermark und erinnert sich noch gut an die Abschüsse, die H. im Gesäuse gemacht haben soll. In der langen Geschichte des Wilderns sei es immer wieder vorgekommen, dass Jäger in fremden Revieren auf die Pirsch gingen. Auch H. ist so ein Fall. Er besitzt eine Eigenjagd, sechs Gewehre, hat eine Jagdkarte und von der Behörde die offizielle Erlaubnis, die Waffen auch zu tragen oder ins Ausland mitzunehmen. Erst dieses Jahr haben ihn Beamte des Innenministeriums routinemäßig überprüft. Nach Auskunft eines Beamten gab es damals keinerlei Grund zur Beanstandung.

Der prominenteste Fall von Wilderei mit tödlichem Ausgang trug sich 1982 im Osttiroler Villgratental zu. Damals schoss ein Jäger den 30-jährigen Pius Walder in den Hinterkopf. Das Gericht verurteilte den Schützen zu drei Jahren Haft, die nach eineinhalb Jahren vorzeitig beendet wurde. Seit damals kämpft Walders älterer Bruder Hermann öffentlichkeitswirksam um „Gerechtigkeit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2013)

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