Sonnenstrom bringt Netz an die Grenze der Kapazitäten

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Ein Drittel der 19.000 Solaranlagen steht in Niederösterreich. Scheint die Sonne, arbeitet die Hälfte des Netzes an der Kapazitätsgrenze.

Wien. Eine kleine Gemeinde im niederösterreichischen Weinviertel. Seit einigen Jahren schon betreibt Herr K., der anonym bleiben möchte, auf dem Dach seines Hauses eine Anlage für Solarstrom (Fotovoltaik) mit einer installierten Spitzenleistung von 5,6 kW. Die meiste Energie verbraucht er selbst, den Strom, der übrig bleibt, speist er ins Gesamtnetz ein.

Vergangenen Sommer plante er, die Anlage um vier kW zu erweitern. Immerhin winken für die Installation von Solarpaneelen nach wie vor üppige Förderungen. Als sich K. beim Enervieversorger EVN darüber informieren wollte, wie die Einspeisung künftig auch mit Mehrleistung funktionieren kann, erhielt er eine überraschende Antwort: „Wegen der momentanen Netzüberlastung ist eine zusätzliche Anbindung nicht möglich.“ Es sei denn, er schließe die geplante Mehrleistung im 17 Kilometer entfernten Hollabrunn an. Die Zuleitung dafür müsse er jedoch selbst finanzieren. Ein Millionenprojekt, Herr K. verwarf seinen Plan schnell wieder. Allerdings fühlte er sich vom Netzbetreiber an der Nase herumgeführt, nahm Kontakt zur „Presse“ auf.

Knapp 230 Projekte abgelehnt

K.s Ärger ist nachvollziehbar. Es gibt jedoch schwachen Trost: Während der vergangenen zwölf Monate hat die EVN knapp 230 weitere Projekte abgelehnt. Denn tatsächlich kratzen große Teile des Versorgungsnetzes in Niederösterreich an der Kapazitätsgrenze.

Der Grund dafür ist der bundesweite, in Niederösterreich jedoch besonders stark ausgeprägte Boom bei kleinen (und großen) Solarstromkraftwerken. Die E-Control notierte mit Ende 2012 genau 19.168 Anlagen, 30 bis 40 Prozent davon hängen am Netz der EVN.

Ein Netz, das bei seiner Konzeption in den 1950er-Jahren nicht dazu gedacht war, an derart vielen Endstellen auch Einspeisung möglich zu machen. Der Energiekonzern beschreibt das heute so: „Vor dem Hintergrund dieser Problematik haben wir inzwischen unser gesamtes Netz überprüft. Mit dem Ergebnis: In etwa der Hälfte unserer regionalen Netze stoßen wir in Extremsituation an die Grenzen“, sagt Sprecher Stefan Zach.

Um zu verstehen, wie „Grenze“ in der Welt der Technik definiert ist, muss man ein klein wenig in die Materie eintauchen. Zwei wichtige Parameter der Stromversorgung sind Verfügbarkeit und Qualität. Rein rechnerisch war der durchschnittliche österreichische Anschluss 2012 exakt 34,73 Minuten ohne Strom. Ein im internationalen Vergleich sehr guter Wert. Zusätzlich gelten für die heimischen Netzbetreiber die „Technischen und Organisatorischen Regeln“, kurz TOR genannt. Sie geben vereinfacht gesagt vor, welche Abweichungen im Versorgungsnetz (230V) gerade noch zulässig sind. Je höher die Spannungsqualität, desto sicherer können die Geräte betrieben werden. Aber was hat das mit Solarstrom zu tun?

Betreiber von Fotovoltaikanlagen sind – wie Nurverbraucher auch – über Ringleitungen mit jeweils zwei Umspannwerken verbunden. Wird jedoch die Ringleitung unterbrochen (Defekt, Wartung etc.), kann es bei gleichzeitig hoher Einspeisleistung zu Netzinstabilität, Überspannungen und Totalausfall kommen. Anders formuliert bedeutet das, dass in Teilen der untersten Netzebene der EVN die Sicherheitsreserven knapp werden. Das Hochspannungsnetz ist davon nicht betroffen.

Herr K. und die anderen Solarstromfans, die in Gebieten mit Netzengpässen wohnen, müssen sich noch ein wenig gedulden. Anstatt nämlich die Kapazitäten im Niederspannungsnetz großflächig zu erhöhen (geschätzte Kosten: eine Mrd. Euro), wird es individuelle Lösungen geben. Für Anlagen zwischen fünf und 400 kW Leistung plant die EVN die Einführung eines sogenannten Spannungswächters. Wird das Netz, weil zum Beispiel die Sonne scheint und viele Paneele Strom einspeisen, instabil, regelt das Gerät die Leistung der Anlage zuerst auf 60 und, wenn nötig, auf 30 Prozent herab. In den nächsten Tagen sollen die ersten Exemplare ausgeliefert werden.

AUF EINEN BLICK

Fotovoltaik. Laut Daten der E-Control waren Ende 2012 über 19.000 Fotovoltaikanlagen in Österreich installiert. Theoretische Leistung: 215 MW. 30 bis 40 Prozent dieser Anlagen stehen in Niederösterreich – und gefährden dort inzwischen die Stabilität des Stromnetzes. Bei etwa der Hälfte des Versorgungsnetzes, das ist die unterste, mit 230 V betriebene Netzebene, gibt es bei Sonnenschein keine Sicherheitsreserven mehr. Der Netzbetreiber EVN will das Problem nun mit speziellen Geräten bei den Stromproduzenten in den Griff bekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2013)

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