Das Geld in der Mülltonne

Lebensmittel im Müll
Lebensmittel im MüllClemens Fabry
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In österreichischen Haushalten werden jedes Jahr rund 300 bis 400 Euro in Form von Lebensmitteln weggeworfen. Ein EU-Projekt sucht systematisch nach Abhilfe.

Das Weihnachtsfest naht, und für das leibliche Wohl ist ob der zahlreichen Anlässe zum Feiern gesorgt. Die Kühlschränke quellen über, und für die Getränke findet sich kaum mehr Platz. Nach den Feiertagen stellen wir dann mit Ernüchterung fest, dass wir zu viel oder schlichtweg falsch eingekauft haben. In der Folge landen einige dieser Lebensmittel im Abfall. Jedoch nicht nur zu Weihnachten wird kiloweise Essen entsorgt: In der EU werden jedes Jahr 179 Kilogramm an Nahrungsmitteln pro Person im Müll beseitigt. Zusammengezählt sind das etwa 89 Millionen Tonnen pro Jahr. Davon werden 42 Prozent in Haushalten weggeworfen, 39 Prozent bei den Herstellern, 14 Prozent in der Gastronomie und fünf Prozent im Einzelhandel.

Seit August 2012 läuft das auf vier Jahre angelegte EU-Projekt Fusions (Food Use for Social Innovation by Optimising Waste Prevention Strategies). Daran nehmen 21 Partner (Universitäten, Unternehmen und Konsumentenorganisationen) aus 13 europäischen Ländern teil, die EU fördert das Projekt mit rund vier Mio. Euro. Ziel ist es, die Lebensmittelabfälle bis 2020 um 50 Prozent und den Ressourceninput in die Lebensmittelwertschöpfungskette um 20 Prozent zu verringern. Dazu soll u.a. eine Leitlinie für eine gemeinsame „Food Waste Policy“ der EU ausgearbeitet werden. In regelmäßigen Plattformtreffen aller Beteiligten sollen unter anderem Best-Practice-Modelle diskutiert werden.


Verschiedenste Ursachen. „Das Projekt ist sehr spannend, da mit einem breit gefächerten Konsortium gearbeitet wird“, sagt Felicitas Schneider, Forscherin am Institut für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien, das (neben zwei Akteuren aus der Abfallwirtschaft) als Österreichs Vertreter an dem Projekt teilnimmt. Schneiders Team begann, wie berichtet, schon vor Jahren, Österreichs Mistkübel nach Nahrungsmittel zu durchsuchen, und förderte dabei erschreckende Fakten zutage. Etwa, dass in Städten mehr als zehn Prozent des Hausmülls originalverpackte Lebensmittel oder angebrochene Packungen sind. Und dass ein großer Teil davon noch vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums entsorgt wird.

Voraussetzung für eine wirksame Reduktion der Lebensmittelverschwendung ist zum einen eine einheitliche Definition, zum anderen eine harmonisierte Erhebungsmethode. „Definitionen sind ganz wichtig, um etwas vergleichen zu können“, lautet einer der Schlüsse aus einem Übersichtsartikel, den Schneider kürzlich in der Fachzeitschrift „Waste and Resource Management“ (166, S. 187) veröffentlicht hat.

Je nach dem Sektor, in dem Lebensmittelabfälle anfallen, sind die Fragestellungen und die möglichen Gegenmaßnahmen unterschiedlich. Im Haushalt können die anfallenden Lebensmittelabfälle z.B. in Zubereitungsreste durch Putzen, in Speisereste, in original verpackte Lebensmittel oder in angebrochene Packungen unterteilt werden. Zubereitungsreste können kaum vermieden werden, jedoch können die übrigen Arten durch eine gründliche Planung beim Einkauf und der Lagerung verhindert werden.

Besonders in der Landwirtschaft und in der Industrie fällt viel Abfall an, und hier muss genau überlegt werden, ob dieser Abfall eine Lebensmittelverschwendung ist oder nicht. Die zentrale Frage ist, ob das Produkt in die Lebensmittelkette eingetreten ist und dann wieder entfernt wurde – oder ob dieses nie für den menschlichen Verzehr vorgesehen war.

Die Gründe, warum Lebensmittel weggeworfen werden, sind vielfältig. Manche Erntemethoden können dazu führen, dass ein Teil des Ertrags auf dem Feld zurückbleibt. Durch Überproduktion oder wegen bestimmter Form- und Größenvorgaben für landwirtschaftliche Produkte müssen eigentlich essbare Produkte manchmal entsorgt werden. Ebenso können in der Lebensmittelverarbeitung technische Ursachen dafür verantwortlich sein, dass Essen weggeworfen werden muss. Dies kann sogar dann der Fall sein, wenn eine falsche Beschriftung auf ein Produkt geklebt wurde, die Portionierung nicht der Verpackung entspricht oder es zu Schäden beim Transport kommt.

Im Handel kann es aufgrund des breiten Angebots geschehen, dass einige Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschreiten. Und in der Gastronomie ist es nicht einfach, die Größe der Portionen an den Gast anzupassen – die Portionen werden häufig eher zu groß bemessen.

Der entschiedenste Faktor ist aber der Mensch und seine Gewohnheiten beim Umgang mit Lebensmitteln. Die Großelterngeneration beispielsweise wusste noch, wie Essen richtig konserviert und aufbewahrt wird – etwa, dass Äpfel anderes Obst schneller reifen lassen und somit getrennt gelagert werden sollten. Solches Wissen machten sich Jugendliche der Pfarre St. Barbara in Schwaz in Tirol zunutze und schrieben gemeinsam mit Bewohnern eines Altersheims ein Restl-Kochbuch, inklusive Tipps für die adäquate Verwertung von Lebensmitteln.


Soziale Innovationen. Diese Aktion ist ein gutes Beispiel für soziale Innovation, die ein Kernstück des Fusion-Projekts sind. Die Forscher sammeln solche Ideen und Initiativen zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen aus unterschiedlichen Ländern und bewerten ihre Wirkung systematisch. In Deutschland z.B. wurde eine Aufklärungsaktion zum Thema Haltbarkeit von Lebensmitteln (siehe Infokasten oben) durchgeführt. Mehr als vier Millionen Flyer und Informationskarten mit den entsprechenden Informationen wurden in rund 21.000 Supermärkten in ganz Deutschland verteilt. Das Ergebnis: 81 Prozent der Deutschen haben die Diskussion über das Mindesthaltbarkeitsdatum verfolgt, fast jeder Fünfte ist der Ansicht, inzwischen viel bewusster mit Lebensmitteln umzugehen. Ein anderes Beispiel: In der britischen Initiative Casserole Club soll das Wegwerfen von daheim zubereiteten Speisen dadurch verhindert werden, dass sie entweder rechtzeitig eingefroren oder an Nachbarn oder Verwandte weitergegeben werden. In diesem Klub kann sich jeder Interessierte auf der Homepage entweder als Koch oder als Gast registrieren, die miteinander in Kontakt treten. Wenn ein Gast darüber hinaus nicht in der Lage ist, für sich selbst zu kochen, dann ist diese Aktion doppelt sinnvoll.

Eine weitere originelle Idee aus England ist die „Rubbish Diet“: Nach der Registrierung auf der Homepage erhält jeder Interessierte acht Wochen lang wöchentlich eine E-Mail mit Tipps, wie die Abfallmenge reduziert werden könnte – was auch für Lebensmittel relevant ist. Das sind oft simple Dinge mit großer Wirkung: Ein Ratschlag ist etwa, den Kühlschrank so zu sortieren, dass die Dinge, die zuerst gegessen werden sollten, ganz oben liegen – anstatt dass sie in der hintersten Ecke unbemerkt verderben. Ein anderer Tipp ist es, einen schlanken Mistkübel anzuschaffen und ihn so aufzustellen, dass der Weg dorthin drei Schritte weiter ist. Schließlich – so ist auf der Homepage www.therubbishdiet.org.uk nachzulesen – könnte auch versucht werden, eine ganze Woche lang nichts wegzuwerfen: eine wahre Herausforderung.

Mehr Bewusstsein ist aber auch am anderen Ende gefragt: bei der Einkaufsentscheidung im Supermarkt. „Die Kunden müssen sich daran gewöhnen, dass es vor Ende der Öffnungszeit nicht mehr 35 verschieden Brotsorten gibt“, so Schneider.

Wie lange Lebensmittel halten

Die Hersteller garantieren mithilfe des Mindesthaltbarkeitsdatums, dass das Produkt bis zu diesem Zeitpunkt genießbar ist. Viele Lebensmittel sind aber auch danach noch einige Zeit in Ordnung. Wie lange,hängt von der Gesamthaltbarkeit ab. Wenn z.B. Tag, Monat und Jahr angegeben sind, dann ist das Lebensmittel meist nur bis einige Tage danach genießbar. Andere Produkte sind hingegen mit Monat und Jahr gekennzeichnet; das bedeutet, dass sie insgesamt sehr lange haltbar sind – und ein paar Wochen nichts ausmachen.

Für sehr leicht verderbliche Produkte – etwa für Faschiertes – gibt es hingegen ein sogenanntes „Verbrauchsdatum“.
Dieses gibt an, wann das Lebensmittel tatsächlich verbraucht werden sollte. Ein Überschreiten ist definitiv nicht ratsam.

Gute Gründe

Provokant gefragt: Warum ist es überhaupt wichtig, Lebensmittelabfälle zu vermeiden?

Ethik: Zwölf Prozent der Menschen auf der Erde sind unterernährt – und gleichzeitig wird in den reichen Staaten die kostbare Nahrung weggeworfen.

Ökologie: Die Lebensmittelproduktion belastet die Umwelt (Stichworte: Dünger oder Bodendegradation), sie ist in der EU für
17 Prozent der
CO2-Emissionen verantwortlich. Auch beim Deponieren von biogenen Abfällen entstehen Treibhausgase. Zumindest in der EU gehört dieser Faktor indes der Vergangenheit an: In Österreich z.B. wird seit 2009 nur mehr behandelter Restmüll auf Deponien gelagert – v.a. in Form von Aschen oder Schlackenbeton; Der Inhalt von Biomistkübeln wird zu hochwertigem Kompost.

Ökonomie: Lebensmittel im Müll verursachen hohe Kosten – vom Transport über die Trennung und den Betrieb der Anlagen bis hin zur Wartung von Deponien. Wenn der Abfall verbrannt werden soll, dann reduziert der hohe Wassergehalt die Energieausbeute in den Verbrennungsanlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2013)

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