Wiens "kleine Mariahilfer Straße"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Reindorfgasse im 15. Bezirk mausert sich. In der alten Einkaufsstraße hat sich ein richtiges Kreativgrätzel gebildet - mit einer Galerie, Mode, Café und Fahrradboutique.

Wien. Man kennt ihn als einen der ärmsten Bezirke der Stadt mit hohem Migrantenanteil und wenig Grünflächen. Aber der Bezirk gilt auch als aufstrebend. Und doch, ein Kreativgrätzel hätte man in Rudolfsheim-Fünfhaus bisher nicht unbedingt erwartet. Noch. Denn längst haben junge Kreative den Bezirk für sich entdeckt. Sie ziehen hierher, weil die Mieten noch leistbar sind – unter anderem auch bei den Geschäftslokalen.

Neueste Entwicklung: Die Reindorfgasse, eine Seitenstraße der Äußeren Mariahilfer Straße, hat sich in den vergangenen Monaten zum Kreativ-Grätzel entwickelt. Was nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten im Bezirk freut. „Ein paar Anrainer haben mir erzählt, dass die Reindorfgasse früher die kleine Mariahilfer Straße genannt wurde, weil hier so viele Geschäfte waren“, sagt Katharina Morawitzky vom Geschäft Mitunter Bunter – Laden für Lebensfreude.

In der Tat hat die Reindorfgasse alles, was eine funktionierende Einkaufsstraße braucht: Wer in sie einbiegt, findet Geschäftsflächen in den Erdgeschoßen, durch die Straße führt ein Radweg – auch vorbei an der Reindorfkirche, die mit ihrem kleinen Vorplatz quasi das Zentrum der Straße bildet. Gleich daneben liegt das Gasthaus Quell. Morawitzky selbst zählt zu den Neuen hier. Erst im November hat sie hier ihr Geschäft eröffnet. Nicht nur, weil ihre Tochter in den nahen Kindergarten geht, auch aus finanziellen Gründen. „Das hier ist ein leistbarer Standort“, sagt sie. „Ich habe monatelang in anderen Gegenden gesucht, da ging nichts.“

Upcycling und Fairtrade-Kaffee

Durch Zufall ist sie auf die Reindorfgasse gekommen – und heute ist sie froh darüber, weil „die Straße zu einer Kulturstraße zu werden scheint“. Schräg gegenüber von ihr liegt das Geschäftslokal des Vereins FrOff (Kurzform für „Freitags ist offen“). In der Auslage hängt Selbstgestricktes, in der Tür stecken Flyer mit den nächsten Terminen für Konzerte, Vernissage, Theaterprojekte und Performances, die dort regelmäßig stattfinden. „Ein echter Geheimtipp“, wie Morawitzky findet.

Sie selbst verkauft in ihrem Laden fast nur handgemachte Artikel wie Polster, Taschen oder Notizblöcke – die sie aus Altpapier neu gestaltet hat. „Mir ist Upcycling wichtig“, sagt sie und zeigt eine Laptoptasche her, die sie – man sieht es ihr tatsächlich nicht an – aus einem alten Wickelrock und einem alten Nachthemd gemacht hat.

Weiter Richtung Äußere Mariahilfer Straße findet sich wiederum das Headquarter des Wiener Taschenherstellers „Urban Tool“. Von hier aus verkauft man multifunktionale Umhänge-, Sport- oder Laptoptaschen auf der ganzen Welt. Daneben liegt mit foto K2 eine Fotogalerie, in der regelmäßig Ausstellungen stattfinden. Ebenfalls neu in der Straße ist Birgit Rampula mit ihrem Streetwearlabel Amateur. Sie hat gemeinsam mit zwei Kollegen Block44 aufgemacht, ein Geschäft, in dem sich drei Projekte in einem Laden befinden. Einerseits Rampulas Modegeschäft Amateur, andererseits Fix dich, die Fahrradboutique von Daniel Müller, und das Café Setz dich von Michael „Sailor“ Seemann. Rampula näht und entwirft ihre Mode selbst, während man sich bei Müller ein Rad reparieren oder ganz individuell zusammensetzen lassen kann. Im Café Setz dich wird nur Fairtrade-Kaffee angeboten.

Die Innenbezirke sind zu teuer

Auch die drei haben die Mieten in den 15. gebracht. Rampula war vorher in der Gumpendorfer Straße beheimatet: der Straße, die sich nun auch zwischen Flakturm und Gürtel zu mausern beginnt – aber Rampula konnte trotzdem nicht bleiben. „Ich wollte schon längst mehr Platz. Und Daniel und ich sind schon ewig befreundet, da war schnell klar, dass wir gemeinsam etwas machen wollten“, sagt sie. Auch ihr Kollege war davor gut situiert, im siebten Bezirk. „Wir haben aber ein Lokal von 150 Quadratmetern gesucht“, sagt sie. „Das ist dort nicht leistbar.“

Seit wenigen Wochen sind sie nun in der Reindorfgasse – und sehr zufrieden. „Ich habe mehr Laufkundschaft als in der Gumpendorfer Straße“, sagt Rampula, die, seit sie selbst Mutter ist, auch noch die Umstandsmode Mamateur anbietet. Alle möglichen Leute würden jetzt in das Geschäft mit den großen Schaufenstern kommen. Junge Kreative genauso wie Leute, von denen sie es nicht erwartet hätte.

Jene werden bald noch mehr zu sehen haben. Gegenüber von Block44 hat eben der Geschenkeladen Metaware eröffnet. Und nebenan gestaltet ein junger Amerikaner ein Geschäftslokal um. Er will dort, erzählt Rampula, eine Street-Art-Gallery eröffnen.

Wien. Im Beisl mit den Faschingsgirlanden und den Spitzenstores im Fenster hängen schon am Vormittag Bierdunst und Zigarettenrauch in der Luft, der Gemüsestand ist leer, nur in die kleine Fleischerei und zum Bäcker kommt Kundschaft. Klassischen Marktbetrieb aber, den gibt es am Schwendermarkt an der äußeren Mariahilfer Straße schon lange nicht mehr. Und auch mit dem Markttreiben, dem städtischen Flair der Marktcafés, wie sie in ganz Wien sprießen, hat der lang gezogene leere Betonplatz mit den Graffiti nichts gemein.

Sukzessive sind in den vergangenen Jahren Standler und Lokale abgesiedelt. „Das ist kein Markt mehr, das braucht man nicht schönreden“, lautet der Befund von Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal (SPÖ). Aber das Areal soll umgestaltet, der Markt revitalisiert werden. Die Ideen reichen von einem Bauernmarkt bis zu Grünflächen mit einer Bühne, die Künstlern, Vereinen oder Kulturinitiativen zur Verfügung steht. Ein entsprechender Antrag der ÖVP wurde kürzlich in der Bezirksvertretung von allen Parteien angenommen. „Die einzige Chance für den Platz“, sagt Georg Hanschitz, der Obmann der Bezirks-ÖVP im Fünfzehnten, „ist eine Vollbegrünung.“ So soll eine attraktive Fläche für neue Gastrobetriebe und Geschäfte und die erwähnte Bühne zur Verfügung stehen. Dazu sollen die leer stehenden Geschäftslokale auf dem Markt und in Nachbargebäuden revitalisiert werden, auch ein offener Bücherschrank oder Fahrradstellplätze seien angedacht.

„Hipster“ als Impuls

Ein Impuls, so sagt er, sei mit den „Hipstern, die jetzt in die Reindorfgasse ziehen“, ohnehin schon da (siehe Artikel oben). Für leer stehende Geschäftsflächen will Hanschitz mit der Gebietsbetreuung ein Nachnutzungskonzept erstellen lassen, schließlich seien etliche Pächter – von Versicherern bis Kebab-Standlern – zuletzt gescheitert, „die Laufkundschaft ist hier derzeit gleich null“. In der Gebietsbetreuung sieht man das Areal aber auch derzeit nicht ganz so trist. Der Markt sei stark frequentiert und habe als öffentlicher Raum einen hohen Stellenwert im Grätzel. Bloß mangle es an Aufenthaltsqualität und adäquater Ausstattung, das Potenzial als Grätzel-Treffpunkt könne derzeit nicht ausgeschöpft werden, heißt es. Im Bezirk will man sich konkret noch nicht zu den Plänen äußern, man wolle das Ergebnis einer Sitzung der Wirtschaftskommission zum Thema abwarten.

Liegen die Ideen der Bezirkspolitiker auf dem Tisch, soll in den kommenden Monaten gemeinsam mit der Gebietsbetreuung ein Konzept entstehen. Im schnellsten Fall könnte ein Umbau 2015 beginnen. Wie viel der kosten könnte, das ist aber noch offen. Klar sei jedenfalls, dass der Bezirk diese Kosten nicht allein tragen könne. Hanschitz hofft auf rasches Handeln, damit der aktuelle Aufwind im Viertel genutzt wird. Auch die Gebietsbetreuer sammeln derzeit Ideen und versuchen, die Initiativen zu vernetzen.

Die Initiatoren des „Workspace Ver:schwender“ zum Beispiel, eines offenen Arbeitsraums für Künstler und Kreative, der seit 2013 auch temporär genutzt und bespielt werden kann. Oder die Initiative „Samstag in der Stadt“, die das Areal seit 2010 zum Beispiel für einen Nachbarschaftsgarten nutzt oder für einen „Flohmarkt der wiedergefundenen Dinge“. Denn erfolgreich aufgewertet werden könne der Schwendermarkt nur in Kooperation mit den bisherigen Akteuren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2014)

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