Richter warnt: Behauptete Sucht erspart Tätern die Haft

JUSTIZANSTALT GERASDORF AM STEINFELD
JUSTIZANSTALT GERASDORF AM STEINFELD(c) APA/ROBERT JAEGER
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„Therapie statt Strafe“: Flucht vor Strafvollzug möglich. Straftäter können sich mit der Behauptung, sie seien süchtig und würden sich einer Therapie unterziehen, Gefängnisstrafen ersparen.

Ottenstein/Wien. Straftäter können sich mit der Behauptung, sie seien süchtig und würden sich einer Therapie unterziehen, Gefängnisstrafen ersparen. Mit dieser Warnung ließ Wilhelm Mende, Richter am Landesgericht für Strafsachen Wien, am Freitag beim Strafrechtsseminar in Ottenstein aufhorchen. Nach dem Motto „Therapie statt Strafe“ stehe vielen eine „gesetzlich geregelte Flucht vor der Vollstreckung der angemessenen Strafe“ offen. Dabei seien den Richtern die Hände gebunden. Jeder Straftäter, der nicht behaupte, er sei süchtig, müsse dumm sein, sagte Mende.

Gemeint sind Täter, die wegen eines Drogendelikts oder – zumindest behaupteter – Beschaffungskriminalität (z.B. Raub, um Drogen kaufen zu können) zu maximal drei Jahren Haft verurteilt wurden. Sie können einen Aufschub des Strafvollzugs beanspruchen, wenn sie sich einer Therapie unterziehen. Den Bedarf daran könnten sich die Betroffenen mit einem bezahlten Privatgutachten einer vom Gesundheitsministerium anerkannten Stelle bestätigen lassen; das Gericht darf eine entsprechende ärztliche Stellungnahme in der Praxis kaum durch einen unabhängigen Sachverständigen überprüfen lassen, nämlich nur dann, wenn es Anhaltspunkte für neue Umstände nach der Bestätigung gibt.

Die Therapie wird heute vielfach ambulant durchgeführt. Ist sie erfolgreich abgeschlossen – und ein nur vorgeblich Süchtiger kann natürlich leicht für geheilt erklärt werden –, dann muss eine zunächst unbedingte Haftstrafe zwingend in eine bedingte Strafe umgewandelt werden. Auf diese Weise werde der Strafaufschub zu einer Art bedingten Strafnachsicht.

Mende plädiert für Änderungen im Gesetz: Sie sollten sicherstellen, dass der Strafaufschub denjenigen zustehe, die eine Therapie wirklich brauchen; außerdem sollten Schwerkriminelle von der Regelung ausgenommen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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