Den Bundesländern gehen die Spitalsärzte aus

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Österreich bemüht sich nach EU-Klagsdrohung wegen überlanger Dienste um eine mehrjährige Übergangsfrist. Weiters sollen Pflegekräfte mehr Tätigkeiten übernehmen.

Wien/Graz/Salzburg. Spitalsärzte machen in Österreich viel zu lang Dienst, länger, als dies die Arbeitszeitrichtlinien der EU und das Gesetz erlauben. Knapp zwei Stunden dauerte am Donnerstag ein Krisengipfel von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) mit Vertretern der Länder, dann stand fest: Österreich wird bei der EU für eine Übergangsfrist und eine Etappenlösung zur Einhaltung der Höchstarbeitszeit eintreten. Damit sollen eine EU-Klage und Strafzahlungen abgewendet werden. Die Bundesländer wollen damit kurzfristige Mehrkosten in Höhe von zig Millionen Euro vermeiden. Außerdem warnen sie, dass in kurzer Zeit ein Zusatzbedarf an Spitalsärzten gar nicht zu bewältigen sei, weil etwa in ländlichen Regionen schon jetzt Spitalsmediziner fehlen (zum drohenden Ärztemangel siehe auch Grafik).

Ziel ist, dass auch in Österreich Spitalsärzte höchstens 48 Stunden pro Woche arbeiten. Derzeit sind es bis zu 72 Stunden und mehr. Der Sozialminister wird in der fälligen Stellungnahme an die EU hinweisen, Österreich werde die Arbeitszeit auf 48 Stunden herunterschrauben. Das sei aber nicht in einem Jahr möglich, deshalb wird zur Umsetzung eine Etappenlösung angestrebt. Weiteres Ergebnis des als „sehr konstruktiv" geschilderten Treffens im Sozialministerium: Nach Ostern wird eine Arbeitsgruppe die Suche nach einem konkreten Modell beginnen.

„Geht sich mit dem Personal nicht aus"

Den Bundesländern (und Gemeinden) als Erhalter zahlreicher Krankenhäuser gehen schon jetzt die Ärzte aus. Als Beispiele verweisen der Salzburger Vizelandeshauptmann Christian Stöckl (ÖVP) und ÖVP-Gesundheitssprecherin Gerlinde Rogatsch in ihrem Bundesland auf Mittersill und Tamsweg. In ländlicheren Regionen gebe es bereits Probleme. Not- und Bereitschaftsdienste in Rettungsfahrzeugen und Hubschraubern müssen übernommen werden. „Wenn diese Dienste in den 48 Stunden mitgemacht werden, geht sich das mit dem Personal bei Weitem nicht mehr aus", warnen sie. Für die Umsetzung der 48-Stunden-Grenze wären 100 Vollzeitmediziner zusätzlich notwendig.

In der nach Einwohnerzahl und Fläche größeren Steiermark ist der Mehrbedarf nach Zahlen, die der „Presse" vorliegen, noch größer. Laut Berechnungen der Landesspitalsgesellschaft wären bei einer sofortigen Umsetzung der kürzeren Arbeitszeit für Ärzte 450 bis 470 Posten mehr notwendig.

Als Zeitrahmen für eine Übergangsfrist hat der Sozialminister im ORF-Radio drei, vier oder auch noch mehr Jahre genannt. Dabei dürfte es sich nach den Wünschen der Länder lediglich um eine Untergrenze handeln. Der steirische Landesrat Christopher Drexler bestätigte im Gespräch mit der „Presse", einhelliger Tenor der Länder sei, dass es eine möglichst lange Übergangsfrist geben solle. Es sei bei dem Treffen im Sozialministerium klar geworden, dass „die Länder unisono ein recht großes Problem haben". Drexler gibt sich auch nach der nunmehr grundsätzlich erzielten Einigkeit, dass bei der EU eine Übergangsfrist angestrebt wird, keinen Illusionen hin: „Der Diskussionsprozess hat erst begonnen."

Seine ÖVP-Parteikollegen Stöckl („Mein Wunsch ist eine möglichst lange Übergangsfrist") und Rogatsch streben dafür rund zehn Jahre an. Ihre Begründung: Es werde zwei Ausbildungsperioden dauern, damit genügend Mediziner an den Unis ausgebildet werden, um den Bedarf zu decken.

Klagen gegen Griechenland und Irland

Die EU meint es mit der Einhaltung der Höchstarbeitszeit der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen ernst. Das zeigen die Klagen gegen Griechenland und gegen Irland im November des Vorjahres wegen Verstößen gegen die 48-Stunden-Obergrenze.

Salzburgs ÖVP-Klubchefin Rogatsch stellt eine weitere brisante Änderung zur Debatte: Die gut ausgebildeten Pflegekräfte sollten zur Entlastung der Ärzte zusätzliche Tätigkeiten bei der Betreuung der Patienten in den Spitälern übernehmen dürfen.

Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) macht bei Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) bereits wegen der nächsten Finanzprobleme Druck. Er deponierte nochmals die Forderung von Länderseite, dass Kosten der geplanten Turnusausbildung für angehende Mediziner in Praxen niedergelassener Ärzte vom Bund übernommen werden müssten.

Die geltenden Regelungen

Die derzeit laut Gesetz maximal mögliche Arbeitszeit der österreichischen Spitalsärzte steht im Widerspruch zu EU-Vorgaben. Derzeit ist laut Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz erlaubt, dass Ärzte bis zu 72 Stunden/Woche und bis maximal 49 Stunden durchgehenden Dienst schieben. Die EU sieht eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden vor. Im Folgenden ein Überblick über die geltenden Regelungen:

I.) Tagesarbeitszeit:

  • Die maximale Tagesarbeitszeit liegt grundsätzlich bei 13 Stunden.
  • Abweichend davon kann ein sogenannter "Verlängerter Dienst" zur Anwendung kommen. Voraussetzung dafür ist laut Gesetz, dass die Dienstnehmer während der Arbeitszeit "nicht durchgehend in Anspruch genommen" werden, es eine Betriebsvereinbarung dafür gibt und dass dieser verlängerte Dienst aus "organisatorischen Gründen unbedingt notwendig ist".

    Unter diesen Voraussetzungen kann der durchgehende Dienst 32 Stunden betragen. Beginnt der "verlängerte Dienst" am Vormittag eines Samstags oder eines Tags vor einem Feiertag, darf dieser sogar bis zu 49 Stunden durchgehend andauern.

II.) Wochenarbeitszeit:

  • Grundsätzlich darf die Wochenarbeitszeit im Schnitt 48 Stunden nicht übersteigen, bei einem Durchrechnungszeitraum von bis zu 17 Wochen.
  • Auch hier kommt darüber hinaus der "verlängerte Dienst" zur Anwendung: Unter diesen Voraussetzungen kann die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bis zu 72 Stunden betragen. Diese darf aber nur in den einzelnen Wochen des Durchrechnungszeitraumes so hoch sein. Im Schnitt der 17 Wochen darf die Wochenarbeitszeit bei maximal 60 Stunden liegen.
  • Darüber hinaus legt das Gesetz fest, dass pro Monat (im Schnitt über 17 Wochen gesehen) maximal 8 "verlängerte Dienste" zulässig sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. April 2014)

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