Neon in der U-Bahn: Die neuen Jungen

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Bunter, präsenter – auch anders? Wie sich österreichische Jugendliche heute inszenieren. „Jugendliche“, sagen die Forscher gern, „sind nicht dagegen, sie sind bloß nicht dafür.“

Man sieht sie in der U-Bahn, im Einkaufszentrum und auf der Wiener Mariahilfer Straße. Man sieht sie, weil man sie schwer übersehen kann: Mit ihren Neonkappen, den zappelnden Tanzschritten und den Technotönen aus dem Handy haben die „Krocha“ erreicht, was teure Marketingkampagnen nie schaffen: Dass sich die Öffentlichkeit – ob nun belustigt oder irritiert – plötzlich für sie und damit wieder für Jugendkultur interessiert.

Dass es irgendwann dazu kommen musste, war Fachleuten klar: „Der öffentliche Raum ist enger geworden“, sagt Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung. Kommerzialisierung und Reglementierung hätten freie Flächen eingeschränkt. Gleichzeitig sei die Zahl der Teenager gewachsen, die ihre Freizeit „auf der Straße“ inszenieren – weil sie nämlich noch zu jung für Lokale oder Diskotheken sind. „Jugendliche steigen heute viel früher in Jugendszenen ein.“ Und bleiben, „weil sich die Jugendphase durch die längere Ausbildung nach hinten weiter ausdehnt“, länger in den Jugendszenen, sagt Natalia Wächter, Soziologin am Österreichischen Institut für Jugendforschung. „Szene“, das ist das Wort, das Leute wie Großegger und Wächter benutzen. Von der gewichtigeren „Jugendbewegung“, die die deutsche Band Tocotronic einst besang, ist man längst abgekommen. Weil er auf viele heutige Jugendkulturen schlicht nicht zutreffe, sagt Wächter. „Bewegung signalisiert immer etwas Politisches, Ideologisches.“ Und das sei heute einfach oft nicht der Fall.

Der durchschnittliche Jugendliche durchläuft bis zum Abschluss seiner Ausbildung bis zu vier Szenen. Oft schnell hintereinander. „Man switcht hin und her“, so Wächter. Zu Beginn dominiert dabei meist der Sport (Snowboarder etc.), später, sobald man „ausgehen“ darf, wendet sich der Fokus hin zur Musik. Insgesamt ordnen sich neunzig Prozent der heimischen 11-bis 18-Jährigen zumindest einer Szene zu und fast jede, bis auf die „Computer-Szene“, hat einen eigenen Dresscode.

Erfasst werden aber nur langfristige Phänomene, neue Jugendkulturen fallen raus. „Es gibt heute eine viel größere Bandbreite an Jugendszenen als früher“, so Wächter. „Die kommen ganz schnell und verschwinden aber ebenso plötzlich wieder.“ Manche Trends sehen die Forscher auch als Missverständnis – wie etwa die „Rückkehr des Biedermeier“: „Das hängt mit einer Über-Interpretation der Wertestudien zusammen. Nur weil jemand Pullunder trägt, ist das keine Jugendkultur. Das hat mehr mit dem Elternhaus zu tun“, so Großegger.

Eine Jugendszene hingegen wird als Popkultur verstanden, die vom jugendlichen Alltag und den Medien gespeist wird – vor allem vom Internet und dem Web 2.0. Die neuen Medien würden zwar Jugendkulturen nicht grundlegend verändern, glaubt Großegger, beschleunigen aber deren globale Verbreitung und bieten mit Videos und Blogs – quasi als Ersatz für den verloren gegangen öffentlichen Raum – eine neue Bühne für Selbstdarstellung, für Identitätssuche, für Aufmerksamkeit.

Mehr Aufmerksamkeit ist etwas, was Jugendliche heute mehr wollen als früher. Darin, so lautet die These, sind sie aber bloß ein Abbild der Mehrheitskultur. „Überspitzt formuliert“, meint Großegger, „wird aus einem kreativen Emo später wahrscheinlich eine gute Ich-AG.“ Auch der allgegenwärtige Körperkult spiegelt sich in den Jugendszenen wider. Dass Stil und Erscheinungsbild so wichtig sind, „ist eine neue Entwicklung, das war in den Szenen der 90er-Jahre nicht so stark ausgeprägt“, meint Wächter.

Was gleich bleibt: Die Klischees

Interpretieren statt opponieren? „Jugendliche“, sagen die Forscher gern, „sind nicht dagegen, sie sind bloß nicht dafür.“ Auch untereinander, zwischen den verschiedenen Szenen, herrsche „positive Gleichgültigkeit“. Das Ergebnis: Man geht gelassen miteinander um, kann ohne großen Ideologieballast von einer Szene in die andere wechseln (wobei es natürlich Lifestyle-Familien gibt) und hat schließlich auch kein großes Problem damit, wenn die Werbung versucht, einen mit den eigenen Sprüchen zu locken. Man ist schließlich mit Derlei aufgewachsen.

Bei allem, was Jugendkultur heute von früheren unterscheidet, ist doch vieles gleich geblieben: Der Trend in Richtung Konsum und Freizeit statt Ideologie datiert immerhin schon aus den späten Achtzigern.

Und auch bei der männlich-weiblichen Rollenverteilung hat sich nichts Revolutionäres getan: Technikaffines bleibt in Männerhand: So ordnen sich der Computerszene 36,3 Prozent der Burschen und 11,5 Prozent der Mädchen zu. Bei den sozial engagierten „Alternativen“ beträgt das Verhältnis hingegen 1:4. Und wie – eh schon immer – fällt es Frauen leichter, Dresscodes nach Geschmack zu personalisieren.

Die Folge: Sie fallen weniger auf als ihre männlichen Kollegen, die schnell verkleidet wirken. Unverändert ist auch, dass globale Trends stets von gut Gebildeten gesetzt werden.

Und noch eines ist gleich geblieben: Dass Erwachsene, auch die, die einst selbst „Teil einer Jugendbewegung“ waren, Jugendliche nie verstehen. „Ich würde“, sagt Jugendforscherin Großegger, „gern mit einem Krocha über Politik diskutieren. Das wär' spannend, weil mit unseren üblichen Denk-Kategorien kommen wir an die nicht ran.“

LEXIKON

Der Name „Krocha“ leitet sich vom Begriff „einekrochn“ (etwa: in ein Fest „hineinkrachen“) ab. Die „Krocha“-Szene definiert sich durch auffälligen Stil (Neon-Kapperl) und eigene Tanzkultur.

Der Begriff Emo (von emotional oder dem Punk-Subgenre Emotional Hardcore abgeleitet) bezeichnet jene Jugendlichen, die durch tiefschwarz geschminkte Augen auffallen, Hauptquartier ist das Mariahilfer Generali Center.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2008)


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