360 Grad Österreich: Das Architekturwunder von Krumbach

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1000 Einwohner, sieben Bushaltestellen – Krumbach, abgelegen im Bregenzerwald in Vorarlberg, ist nicht weiter bemerkenswert. Bis ein paar Einheimische eine völlig verrückte Idee hatten.

Saftig grüne Wiesen, dunkle Fichtenwälder, sanfte Hügel, eine kleine Gebirgskette, verstreut stehende Höfe, ursprüngliche Gasthäuser, bodenständige Menschen. Nichts unterscheidet Krumbach von vielen anderen Ortschaften im Bregenzerwald. Es ist unaufdringlich schön, aber nicht weiter bemerkenswert. Bis man mit dem Bus fahren will. Dann bekommt man große Augen und wundert sich über Weitblick und Visionen eines – überheblich formuliert – abgelegenen Kaffs in Vorarlberg.
„Es ist entstanden beim Zusammensitzen und Reden“, erklärt Tamara Bechter. Ein kleiner Kulturverein, angeführt vom lokalen Arzt, der sich überlegt, wie man neue Impulse in der Ortschaft setzen könnte. „Und da sind wir eben auf diese Idee gekommen.“

Blasmusik spielt Hollies. „Diese Idee“ also, die so abgehoben und verrückt war, dass kein seriöser Mensch dachte, dass sie sich umsetzen lässt. Nur die paar Leute vom Kulturverein von Krumbach glaubten fest an „diese Idee“: International bekannte Architekten sollen sieben Bushaltestellen in dem kleinen Vorarlberger Ort gestalten. Ohne Honorar. Einfach so. Weil es den Ort aufwertet und interessant aussieht.

Im Mai hat man die sieben „Buswartehüsle“ offiziell eröffnet – sehr klassisch mit der lokalen Blasmusikkapelle, deren Mitglieder sich dafür aber etwas ganz Spezielles einfallen ließen: Die Trompeter, Klarinettisten, Saxofonisten und Hornbläser, die normalerweise Sachen spielen wie den „Radetzkymarsch“, übten „Bus Stop“ von The Hollies ein. Und für die Volksschulkinder schrieb ein Musiker eigens einen Liedtext, dessen Refrain („Steig ein in den Bus“) die Kinder in den Sprachen der sieben Architekten sangen: Auf Russisch, Norwegisch, Spanisch, Französisch, Japanisch und Chinesisch. Man sieht, die Kreativität und das Engagement beschränken sich in Krumbach nicht nur auf den Kulturverein.

„Am Anfang hab ich sie wieder nach Hause geschickt. Ich war mir sicher, dass aus dem nichts wird“, erzählt Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien. An ihn hatten sich die Vorarlberger nach der zündenden Idee um Hilfe gewandt. „Aber die haben einfach nicht lockergelassen.“ Also nannten er und Marina Hämmerle, die ehemalige Leiterin des Vorarlberger Architekturinstituts, sieben Architekten, renommierte und in der Branche geschätzte, aber keine Superstars. „Bei denen ist die Gefahr, dass einfach der fünfte Praktikant etwas macht.“ Bei den ausgesuchten sieben dagegen bestand die Chance, dass sie das Projekt fasziniert und sie tatsächlich auf die Konditionen eingehen: statt Honorars ein Urlaub in Krumbach, und bitte keine allzu ausgefallenen Entwürfe, weil alles privat finanziert wird.

Dass ein Ort mit 1000 Einwohnern gleich sieben Bushaltestellen hat, liegt an der starken Zersiedelung und am besonderen Stellenwert, den der Bus, im Gegensatz zu den anderen Bundesländern, im Bregenzerwald hat: „In unserem ländlichen Raum ist er enorm wichtig für die Mobilität“, sagt Bechter. Stündlich fährt er durch die Ortschaften und biete damit auch eine Alternative zum Individualverkehr. „Es hat auch sehr mit Nachhaltigkeit zu tun.“ All das hat man in einen Brief und eine schöne Präsentationsmappe für die Architekten geschrieben. Bechter gab die Briefe Anfang 2013 auf, „und dann sind wir fast von den Stühlen gefallen, als die ersten Zusage kamen“.

Der Erste, der sein Interesse bekundete, war der Japaner Sou Fujimoto: Er lieferte einen Wald aus wilden Stangen, in dem sich eine Stiege in die Höhe windet. Der Russe Alexander Brodsky schlug einen Turm vor mit einem ersten Stock. Rintala Eggertsson (Norwegen) kombinierte seine Haltestelle mit einer Tribüne für den Tennisplatz, das chinesische Amateur Architecture Studio plante eine Camera obscura mit Fenster zu den Bergen. Smiljan Radic aus Chile zeichnete einen Glaspavillon mit bäuerlichen Holzsesseln, die Belgier (Architecten de Vylder Vinck Tailleu) präsentierten eine spitzwinklige Hütte, das Ensamble Studio aus Spanien schichtete rohe Bretter zu einer geschützten wie offenen Haltestelle.

Alle Architekten kamen nach Krumbach (außer einem, der die Anreise von Wien nach Vorarlberg mit einer Stunde kalkuliert hatte), fuhren mit dem Bus und ließen sich von der Gegend, der Lage der einzelnen Haltestellen und dem lokalen Material inspirieren. Es gab Treffen mit den Handwerkern, jeder Architekt erhielt einen lokalen Architekten zur Seite gestellt, und dann ging es los.

Kostenlose Arbeit. „Es hat so viel privates Engagement gegeben. Die Partnerarchitekten haben ein warmes Essen bekommen, die Handwerker und Baufirmen haben entweder kostenlos gearbeitet oder zu einem Tarif, der weit, weit unter den üblichen Sätzen lag“, berichtet Tamara Bechter. „Das ganze Dorf hat mitgetan, die Schindeln haben beispielsweise die Mitglieder des Musikvereins gemacht.“

Steiner blickt voller Bewunderung in den Westen. „Ich war skeptisch, dass aus der Idee etwas wird. Aber es war so viel Energie dabei und so viel Begeisterung, das kann es nur im Bregenzerwald geben.“ Dass die internationalen Architekten überhaupt mitgemacht haben, habe mehrere Gründe gehabt: „Einerseits, weil es eine so verrückte Idee war, andererseits, weil sie völlig freie Hand bei der Gestaltung hatten, und auch der Bus hat eine Rolle gespielt durch den ökologischen und sozialen Hintergrund.“ Für ihn sei es „das Wunder von Krumbach“, dass aus der Idee etwas geworden ist.

Derzeit läuft im Vorarlberger Architekturinstitut eine Ausstellung über das Projekt „Bus:Stop“ (noch bis 2. August), und in Krumbach stehen immer öfter Menschen bei den Bushaltestellen, ohne unbedingt mit dem Bus fahren zu wollen. Langsam entwickelt sich ein Architekturtourismus, von dem die ganze Region profitiert.

Der Kulturverein Krumbach wurde vom Erfolg seines Projektes ein wenig überwältigt. Wie man denn diese Aktion künftig überbieten wolle? Tamara Bechter lacht: „Jetzt“, meint sie, „machen wir erst einmal eine Pause.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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