Autofahren: Wenn Twitter töten kann

''Presse''-Redakteur Georg Renner twittert im Auto (im Fahrtechnikzentrum)
''Presse''-Redakteur Georg Renner twittert im Auto (im Fahrtechnikzentrum)(c) Stanislav Jenis
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Jeder dritte Unfall entsteht durch Ablenkung. "Die Presse" hat es im Fahrsicherheitszentrum ausprobiert.

Teesdorf. Sonnenschein, keine Wolke am Himmel. Vor dem Auto freie Landstraße, kein Gegenverkehr. Muss ich als routinierter Fahrer wirklich die volle Aufmerksamkeit auf die Straße lenken? Nein, lieber mit einer Hand auf dem Smartphone Mails gelesen, die aktuelle Twitter-Debatte um die Nebenbeschäftigungen der Parlamentarier verfolgt und ein SMS ins Büro geschickt. Beinahe unbewusst bremse ich auf 60 Stundenkilometer herunter, da reicht doch wohl ein halber Blick.

Oder auch nicht: Hinter einem Hügel laufen unvermittelt vier Kinder auf die Straße. Nach einer halben Schrecksekunde bremse ich, verreiße das Lenkrad. Trotz ABS mähe ich mit der Seite des Autos zwei Kinder weg. Aus, vorbei.

Zwei Drittel telefonieren

In dem Fall ist es gut ausgegangen: Die „Kinder“ waren nur Gummihindernisse, die der ÖAMTC in seinem Fahrsicherheitszentrum in Teesdorf überraschend auf die Fahrbahn gestellt hat.

Aber das flaue Gefühl bleibt: Denn Situationen wie diese sind Alltag auf den Straßen. Wer etwa häufig im Wiener Pendlerverkehr unterwegs ist, könnte vermuten, dass das Handyverbot am Steuer – es gilt seit 1999 – längst wieder aufgehoben ist. Im Gegenteil, immer wieder schreiben Fahrer auch bei über 100 Stundenkilometern SMS. Eine Untersuchung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit hat ergeben, dass zwei Drittel der Autolenker am Steuer telefonieren, nur die Hälfte davon mit Freisprecheinrichtung (und selbst bei Verwendung einer solchen ist die verzögerte Reaktion stärker als bei alkoholisiertem Fahren).

Auch die Konsequenzen lassen sich in Zahlen fassen. „Mindestens jeder dritte Verkehrsunfall mit Verletzten oder gar Toten auf Österreichs Autobahnen ist auf Ablenkung zurückzuführen“, sagt Bernhard Lautner, Verkehrssicherheitsexperte der Asfinag. Allein heuer seien bereits sechs Menschen ums Leben gekommen, weil die Fahrer abgelenkt waren.

Die Asfinag – die die „Presse“ und andere Medien zu der Demonstration nach Teesdorf eingeladen hat – hat vor Kurzem eine Kampagne initiiert, die auf die Gefahren durch Ablenkung aufmerksam machen soll. Unter dem Motto „Handy weg vom Steuer“ soll diese häufigste Unfallursache gemildert werden.

Das liegt international im Trend: Im April hat das US-Infrastrukturministerium erstmals eine bundesweite Kampagne gestartet, um das Problem des „Distracted Driving“ unter Kontrolle zu bringen. Nicht zuletzt, weil das Problem vor allem junge Lenker betrifft: 71 Prozent der jungen Menschen in den USA geben an, regelmäßig während des Autofahrens Textnachrichten zu verfassen.

Junge neigen zu Ablenkung

Auch in Österreich neigen jugendliche Lenker zu solchen Risken, bestätigt Georg Scheiblauer, Leiter des ÖAMTC-Fahrtechnikzentrums in Teesdorf. Auch hier hat man die Erfahrung gemacht, dass die moderne Kommunikationstechnologie den Verkehr unsicherer macht. „Die meisten Unfälle haben wir nicht auf der Piste, sondern dann, wenn die Führerscheinneulinge nach dem Parcours ausrollen – und dabei SMS schreiben, wie es ihnen beim Fahren gegangen ist.“

Aber was hier im Zentrum nur kleinere Auffahrschäden zur Folge hat, kann auf der Straße schnell ernst werden: Einer Studie der Allianz-Versicherung aus dem Jahr 2011 zufolge steigt das Unfallrisiko durch Internetsurfen oder SMS-Tippen um das Zwangzigfache.

Allerdings sind Smartphones nicht die einzigen Gefahrenquellen: Zu den Dingen, durch die sich die Österreicher vom Autofahren ablenken lassen, zählen auch Gespräche mit Mitfahrern, die Bedienung von Navigationsgeräten oder die Betreuung von Kindern im Auto. „Teilweise sind das Aktivitäten, die für sich kein Problem sind“, sagt ÖAMTC-Experte Scheiblauer. „Das Problem entsteht, wenn dann eine überraschende Situation aufkommt.“

Rund zwei Sekunden länger braucht ein SMS-Schreiber, um auf plötzlich auftretende Situationen zu reagieren – in denen das Auto schon bei den vermeintlich „sicheren“ 60 Stundenkilometern auf der Landstraße mehr als 33 Meter zurücklegt. Und 33Meter können einen gewaltigen Unterschied machen, wenn es einmal keine Gummihindernisse sind, die auf der Straße stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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