Tierschützer: Oberstaatsanwalt riss Geduldsfaden

Martin Balluch, einer der Hauptverdächtigen, nach seiner Enthaftung.
Martin Balluch, einer der Hauptverdächtigen, nach seiner Enthaftung.(c) REUTERS (Stringer/austria)
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Die Ermittlungen gegen die neun Tierschützer dauerten zu lang. Daher hat der Oberstaatsanwalt die Enthaftung beantragt - ausgerechnet nach einer Haftbeschwerde der Anklage-Behörde.

Am Mittwoch wurden die Hintergründe für die überraschende Enthaftung der neun Tierschützer bekannt: Der Wiener Oberstaatsanwaltschaft (OStA) war offenbar der Geduldsfaden gerissen, nachdem die Anklagebehörde, die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, keinen Zeitrahmen für den Abschluss der Ermittlungen vorlegen konnte. Die Tierschützer waren seit Ende Mai unter dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Organisation in U-Haft und wurden am Dienstag enthaftet.

Die OStA hatte sich ausgerechnet aufgrund einer Haftbeschwerde der Wiener Neustädter Anklagebehörde einmal mehr mit den Tierschützern auseinandergesetzt: Bereits am 13. August war einer der ursprünglich zehn festgenommenen Aktivisten aus der U-Haft entlassen worden, was die Staatsanwaltschaft nicht akzeptierte. Sie legte dagegen Rechtsmittel ein.

Der Schuss ging nach hinten los: Die OStA befand, dass die Enthaftung des Mannes in Ordnung war, und sie prüfte bei dieser Gelegenheit auch, ob die Anhaltung der übrigen neun Tierschützer noch zu rechtfertigen ist. Man kam zu dem Schluss, dass eine weitere Inhaftierung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe unverhältnismäßig wäre.

Wie OStA-Sprecherin Marie-Luise Nittel erklärte, habe man die Tierschützer nicht weitere Wochen und Monate eingesperrt sehen wollen: "Es wäre nicht vertretbar gewesen, sie bis in den Herbst hinein oder gar bis Weihnachten in Haft zu behalten." Die Wiener Neustädter Behörde soll zwar argumentiert haben, dass eine Freilassung der Verdächtigen die noch notwendigen Vernehmungen und damit den Abschluss der Ermittlungen weiter verzögern würde. Der OStA reichte diese Begründung jedoch nicht mehr aus.

Verteidiger: "Ohrfeige" für Staatsanwalt

"Die Enthaftungen sind eine schallende Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft in Wiener Neustadt", meinte Michael Dohr, einer der Verteidiger der Aktivisten, im Gespräch mit der APA. Die Anordnung der OStA, die Beschuldigten auf freien Fuß zu setzen, sei aber "eindeutig zu spät" gekommen, sagte der Anwalt.

"Die Verdunkelungsgefahr ist bereits am 24. Juli ex lege weggefallen, weil eine solche nur zwei Monate angenommen werden kann", erläuterte Dohr. Für die Tierrechtler hatten Ende Mai die Handschellen geklickt. Auf Basis des zweiten Haftgrunds eine mehr als dreimonatige U-Haft zu rechtfertigen, sei im gegenständlichen Fall mit den Menschenrechten nicht in Einklang zu bringen: "Die angebliche Tatbegehungsgefahr war schon lange unverhältnismäßig. Das, was den Leuten vorgeworfen wird, wird - sollte es zu einer Anklage kommen - von einem Einzelrichter verhandelt."

Unbescholtene Bürger mit einem festen Wohnsitz, die vor einem Einzelrichter landen, hätten üblicherweise keinen einzigen Tag in U-Haft verbracht, betonte Dohr. Die neun Tierschützer mussten demgegenüber 104 Tage absitzen.

Abhörprotokolle: Auch Petrovic im Visier

Inzwischen sind Teile der geheimen Abhörprotokolle der Sonderkommission, die gegen Tierschützer ermittelte, bekannt geworden. Dem Magazin "News" zufolge geriet auch Madeleine Petrovic, Klubobfrau der niederösterreichischen Grünen und Präsidentin des Wiener Tierschutzvereine, ins Visier der Ermittler.

"Passts auf, jede Bewegung, jedes Telefonat von euch und auch von mir wird registriert." Mit diesen Worten soll Petrovic den verdächtigen Tierschützer Martin Balluch im November 2007 vor den Telefonüberwachungen der Beamten gewarnt haben. Sie selbst gibt im "News"-Interview an, den Hinweis bereits 2006 von der damaligen Innenministerin Liese Prokop (V) bekommen zu haben. Eine zusätzliche Warnung hätte Petrovic von einem Journalisten erhalten.

Allerdings ergebe sich nach einem 2007 abgehörten Telefonat Balluchs, dass Petrovic ihre Informationen nur von einem "unbekannten Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismus Niederösterreich oder Wien" bekommen haben kann. Daraufhin erstatteten die Fahnder am 1. Juli 2008 bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Anzeige wegen des Verdachts auf Verletzung des Amtsgeheimnisses (§310 StGB) gegen "Unbekannte Täter".

Pelzhandel: "Recht muss Recht bleiben"

"Recht muss Recht bleiben und begangene Straftaten müssen bestraft werden." Mit diesen Worten reagierte am Mittwoch der Pelzhandel gemeinsam mit der Bundesinnung der Kürschner auf die Enthaftung der Tierschützer. Es könne nicht sein, dass im Namen des Tierschutzes schwerwiegende und vor allem für die betroffenen Betriebe teure Sabotageakte mit Hunderttausenden Euro Sachschaden verübt werden, hieß es in einer Aussendung am Mittwoch.

Mögliche Straftaten, die unter dem Deckmantel des Tierschutzes begangen wurden, bedürfen daher einer umfassenden und nachhaltigen Aufklärung. Denn für Taten, die einen Schadensfall für betroffene Personen zur Folge haben, müssen vom Verursacher die Konsequenzen getragen werden.

Die Ankündigung des enthafteten Sprechers, er "würde das sofort wieder machen", ist in den Augen der betroffenen Branchen als Provokation zu werten. "Vandalismus darf nicht mit Tierschutz verwechselt werden, denn keinem Tier ist damit gedient, wenn in mut- oder böswilliger Absicht Sachschäden oder gar Personenschäden verursacht werden."

(APA/Red.)

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