Braucht Österreichs Justiz noch Geschworene?

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leere Geschworenenbank(c) Clemens FABRY
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Eine Reform der Geschworenen-gerichtsbarkeit ist dringend nötig. Sollen rechtliche Laien im Alleingang über die Schuld von Kapitalverbrechern entscheiden? Kommt in Österreich eine Geschworenenauswahl à la USA?

Ich sage dezidiert: Nein. Wir brauchen mit Sicherheit keine Geschworenengerichte.“ Das meinte kein Geringerer als der seinerzeitige Präsident des Straflandesgerichts Wien, Günter Woratsch, im „Presse“-Interview. Vor fünf Jahren. An der Laiengerichtsbarkeit hat sich seither nichts geändert. Doch der Ruf nach Reform erschallt angesichts der Bildung einer neuen Regierung lauter denn je. Praktiker sind seit langem unzufrieden – und machen konkrete Vorschläge.

Der Hauptkritikpunkt: Geschworene, rechtliche Laien, entscheiden gerade bei Kapitalverbrechen (Mord, schwerem Raub etc.) völlig allein über die Schuld des Angeklagten. Die Berufsrichter (ein Geschworenengericht besteht aus acht Geschworenen und drei Berufsrichtern) kommen erst dazu, wenn über die Strafe beraten wird. Und: Ein Geschworenenurteil muss nicht begründet werden. „Das Urteil gründet sich auf dem Wahrspruch der Geschworenen“, heißt es bei der Urteilsverkündung lapidar. Das ist europaweit praktisch einzigartig.

Tatfrage praktisch tabu

Daraus folgt: Die von Geschworenen vorgenommene Beweiswürdigung ist mehr oder weniger unantastbar. Ist die Tatfrage (Hat der Angeklagte die Tat begangen?) gelöst, kommt es zu einer „De-facto-Unbekämpfbarkeit des Wahrspruchs“, wie die Wiener Anwältin Astrid Wagner (siehe Buchtipp) formuliert.

Werner Zinkl, Präsident der Richtervereinigung: „Das ist das große Problem: Gerade in den schlimmsten Fällen mit den schwersten Strafen sind die Urteile gar nicht bekämpfbar. Das könnte nur funktionieren, wenn die Berufsrichter auch in die Entscheidungsfindung eingebunden werden.“ Dann könnten die Berufsrichter – als juristische Profis – den Spruch auch begründen. In der nächsten Instanz könnte dann die Verteidigung diese Begründung bekämpfen. So ist das übrigens auch bei Schöffengerichten (zwei Berufs- und zwei Laienrichter entscheiden gemeinsam über die Schuld).

Sollen sich künftig die Berufsrichter zu den Geschworenen ins „stille Kämmerlein“ setzen, wie das etwa in Deutschland geschieht? „Sicher nicht“, sagt der Wiener Anwalt Richard Soyer, Sprecher der österreichischen Strafverteidigervereinigung. „Die Richter sollen bei der Beratung sicher nicht als Aufpasser dabei sein.“ – „Es ist ein Eckpunkt, dass die Geschworenen allein sind, das garantiert die Unabhängigkeit.“ Soyer deklariert sich als „flammender Verfechter“ der Geschworenengerichtsbarkeit: „Die Strafjustiz muss die Bevölkerung einbinden.“ Die Laienbeteiligung an der Rechtsprechung ist übrigens ein „Produkt“ der Märzrevolution von 1848 gegen den Metternich-Absolutismus.

Berufsrichter betriebsblind?

Ähnlich sieht das der Wiener Anwalt Werner Tomanek, der gerade vor Geschworenen immer wieder achtbare Prozesserfolge verbucht: „Das Volk ist nicht betriebsblind. Aber bei manchen Berufsrichtern kann vielleicht eine gewisse Betriebsblindheit aufkommen.“ Tomanek gesteht aber zu, dass es auch mit Geschworenen mitunter schwierig ist: „Ich habe vor kurzem einen Räuber vertreten, der von Zeugen belastet wurde und gestanden hat. Trotzdem war einer der Geschworenen für ,nicht schuldig‘.“

Auswege? Reformvorschläge? Soyer verweist auf ein ganzes Paket, welches Strafverteidiger nun vom Gesetzgeber fordern:
Geschworene sollten sich demnach einem Auswahlverfahren unterziehen müssen. Ein solches ist zum Beispiel in den USA vorgesehen. Sowohl die Anklage als auch die Verteidigung sollten je zwei Laien ohne Angabe von Gründen ablehnen können.
Die Rechtsbelehrung der Laienrichter durch den Berufsrichter sollte vor den Augen der Parteien stattfinden. Und nicht wie derzeit – oft mit Misstrauen betrachtet – hinter verschlossenen Türen.
Die Ergebnisse der Beratung sollten dem Gericht, der Anklage und der Verteidigung vorab mitgeteilt werden – bei Widersprüchen sollte das öffentliche Beweisverfahren noch einmal eröffnet werden.
Für eine Verurteilung sollten mindestens sechs Stimmen nötig sein, nicht wie bisher eine einfache Mehrheit mit 5:3-Stimmen.

Fehlt noch die Begründung, warum Präsident Woratsch damals gegen die Geschworenengerichtsbarkeit auftrat: „Laien können schwierige Rechtsprobleme nicht erfassen, weil sie dafür nicht ausgebildet sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2008)

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