1er und 2er Linie: Rundherum ist Geschichte

Michael Frank (r.) und ein Entwerter (l.).
Michael Frank (r.) und ein Entwerter (l.).(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ab Sonntag fahren „1er“ und „2er“ nicht mehr rund um den Ring. Eine letzte Fahrt mit Regisseurin Elisabeth Scharang und SZ-Korrespondent Michael Frank.

Nostalgisch? Nein, nostalgisch wird einer wie Michael Frank nicht. Aber schade sei es schon, sagt der Österreich-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“. Dass der 1er und der 2er, die Ringstraßenbahnen, ab Sonntag nach über 20 Jahren des Im-Kreis-Fahrens wieder abbiegen und in die Bezirke geschickt werden, bedeutet für ihn das Ende der „heiteren Gedankenlosigkeit“, mit der er bisher in die Ringlinien steigen konnte. Denn das Schöne war, sagt Frank und malt mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft, „dass man immer angekommen ist“.

Eine letzte Runde also. Im 1er, im Uhrzeigersinn, Frank steigt beim Burggarten ein. Nicht aus sentimentalen, sondern aus praktischen Gründen. Meist kommt er vis-à-vis mit dem Bus aus dem 6. Bezirk, in dem er wohnt, an. Oft fährt er von hier in der „Trambahn“, wie der Deutsche sagt, zu den „Schaltzentralen“. Hofburg, Kanzleramt, Parlament. Der 1er, eine der alten, rot-weiß-patriotischen Garnituren, ächzt um die Kurve, fast leer an diesem tristen, nebligen Oktobernachmittag. Wer will, kann da sentimental werden. Frank nicht. Er blickt aus dem Fenster zum Rathaus. Er sieht es nicht als Symbol für das „rote Wien“, für ihn ist es „ein unglaublicher Klotz“, gebaut, um „die Kaiserei schräg gegenüber zu übertrumpfen“.

„Mal linksrum, mal rechtsrum“

Für Elisabeth Scharang ist der Platz vor dem Rathaus „wie ein Jahreszeitenkalender. Je nachdem, was gerade auf dem Platz errichtet ist.“ Wenn etwa das Sommerkino abgebaut wird, „weiß man, der Sommer ist vorbei“, sagt die Regisseurin („Franz Fuchs – Ein Patriot“) und FM4-Moderatorin im 2er, gegen den Uhrzeigersinn. „Das Schöne am Ring ist das Nebeneinander“, sagt sie. Da der Rathauspark, ein bekannter Schwulentreff. „Wenn man sich vorstellt, was sich da nächtens tut, und dann hat man gegenüber den gepflegten Volksgarten, in dem die alten Frauen aufgfadelt auf Bänken sitzen.“ Scharang schmunzelt. „Ein wirklich anderes Flair.“

Der 2er zuckelt an der Hofburg vorbei, plötzlich kommt Panzer um Panzer entgegen, die zum Heldenplatz fahren – für die Militärparade am Nationalfeiertag. Scharang blickt jetzt ernst aus dem Fenster. „Ein unangenehmes Bild.“

Scharang, die nahe der Urania am Donaukanal wohnt, fährt meist mit dem 1er, der sie zum Karlsplatz, ins Funkhaus oder ins MQ bringt. Aber auch im 2er, dessen Fahrtrichtung über das Schottentor („Das ist für mich sehr mit der Uni-Zeit besetzt.“) für sie eher für ihre Vergangenheit steht. „Mal linksrum, mal rechtsrum“, fährt sie, erzählt die gebürtige Steirerin. „Man erlebt die Stadt völlig anders, je nachdem, in welche Richtung man fährt.“ Und: „Man kann so unglaublich gut schauen und hat ein angenehmes Tempo, etwas schneller als ein Fiaker, aber eigentlich nicht viel anders.“ Anders, besonders seien die Fahrgäste, meint Frank, weil sie oft „in einer leisen Ausnahmesituation“ seien. Die Touristen, die Theaterbesucher in ihrer Abendkleidung. Und die „besseren Bürgersleute, die nie in einen Bus steigen würden. Aber in die Trambahn steigen sie schon.“

Wirklich oft haben die meisten Wiener das komplette Rundherum wohl nicht genutzt. Wehmütig sind trotzdem viele, obwohl es bei der Einführung einst Proteste gab. „Eine typische Wiener Geschichte“, findet Frank. „Man ist so lange dagegen, bis man das Hassobjekt so lieb gewonnen hat, dass man es gleich als Tradition versteht“, sagt er lächelnd, als der 1er an der Börse vorbei auf den Ringturm zusteuert. Noch so ein Beispiel. „Am Ringturm haben sich auch viele gerieben. Jetzt wird er als wichtiges Bauwerk angenommen.“

Die nächste Kurve bringt den 1er zurück vom Kai auf den Stubenring mit „diesem Monstrum“, sagt Frank und meint das ehemalige Kriegsministerium, in dem heute mehrere Ministerien angesiedelt sind. „Die kleine Republik, eingenistet im gigantischen Mobiliar des alten Riesenreiches. Und die Straßenbahn, demokratisch im besten Sinn, marschiert am Fuße dieser Giganten vorbei.“ Ein schönes Bild, findet Frank. „Wahrscheinlich ist die Ringlinie „die einzige Straßenbahn der Welt, die fast nur im Prunk herumfährt“.

Protzig, aber schön sei die Adventzeit am Ring, mit den Lichterketten an den Fassaden der Nobelhotels, meint Scharang, als der 2er nahe des Imperial hält. Hierher kommt sie gerne zur Personenstudie, ins „Café Imperial“, mit dem „schönsten Klo der Stadt“. „Schönbrunn-schrullig“, sagt Scharang lächelnd.

Noch bevor der 2er zwei ihrer Lieblingsplätze erreicht, das „Prückel“ und die Blumenläden am Stadtparkrand („Ein wunderschöner Fleck!“), steigt Scharang aus, um sich einen Viennale-Film im Gartenbaukino anzusehen. Auch das liegt am Ring. Natürlich.

Wie singen „Mondscheiner“? „Dieser Tag fährt Straßenbahn.“ Und auch der nächste und der übernächste. Und ja, auch weiterhin am Ring. Nur nicht mehr ganz rundherum.

APA, Wiener Linien

DIE NEUEN STRECKEN

Ab Sonntag, 26. 10. verkehren die Straßenbahnlinien 1 und 2 nicht mehr rund um den Ring. Die neue Linie 1 fährt künftig vom Stefan-Fadinger-Platz in Favoriten über Margareten und Karlsplatz – die bisherige Route der Linie 65 –, dann den Ring entlang im Uhrzeigersinn zum Schwedenplatz. Von dort fährt der „1er“ die bisherige Strecke der Linie N (die eingestellt wird) bis zur Prater Hauptallee und zurück.

Die neue Strecke der Linie 2 führt von der Erdbrustgasse (Ottakring) statt der Linie J über das Parlament und den Ring bis zum Schwedenplatz. Dort fährt die Straßenbahn auf der Nordroute der Linie N bis zum Friedrich-Engels-Platz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2008)

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