Nightline-Reportage: Einmal Vorstadt und zurück

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Szenen einer Nacht in einem Wiener Nightline-Bus, Nummer 25.

Wien. „Heil Hitler“, brüllt einer aus dem hinteren Teil der Nightline, N25. Alex ist 18 Jahre alt und offenbar nicht mehr ganz bei Sinnen. Gerade sitzen fällt ihm schwer, das Sprechen auch. Der Alkohol...

Seit einer halben Stunde, seit 00:42 Uhr, kurvt der Nachtbus zwischen Kagran, Rennbahnweg und Großfeldsiedlung herum. „Das Publikum ist jeden Tag anders“, sagt der 46-jährige Fahrer Gustav Tamme. Einschreiten musste er in den vergangenen 13 Jahren erst drei Mal. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Fahrgästen waren der Grund. „Ich bin froh, dass es meistens ruhig ist.“

Wenig später, um 1:15 Uhr, Station Großfeldsiedlung, ist es mit der Nachtruhe vorbei. Denn dann fallen Alex und seine Freunde über den Bus her. Sie brüllen, lassen Bierflaschen auf den Sitzbänken liegen. Ein Jugendlicher liegt bereits darunter. Alex und seine Freunde fahren normalerweise nicht mit dem Nachtbus. „Die Leute, die Nachtbus fahren sind einfach zu arg: Zu viele Türken, und Jugos.“ „Arg“ – das sind in dieser Nacht eher Alex und seine Freunde selbst.

„Zu viele komische Menschen“

Gegen zwei Uhr, Station Kagran, steigen Angelika, Michelle und Florian ein. Sie kommen aus der Diskothek „Nachtschicht“. In der Regel meiden sie die Nightline. „Zu viele komische Menschen.“ Warum sie dann heute damit fahren? Weil sie kein Geld haben: „Wir suchen einen Bankomaten und wollen dann mit dem Taxi nach Hause fahren“, erklärt Michelle. Zwei Stationen später steigen sie aus. Eine Station zu spät.

Es ist 2:30 Uhr. Im Bus befinden sich rund zwanzig Menschen – müde, blasse Gesichter. Es ist leise geworden. Alex und seine Freunde haben den Bus längst verlassen.

Auf Höhe Lassallestraße steigt Mimi zu. Sie sackt erschöpft auf einem Sitz nieder. Seit zwei Wochen schiebt sie Nachtschichten als Kellnerin. Ihr Chef will das. Sie auch, weil sie das Geld braucht. Dafür nimmt die 21-Jährige drei Mal pro Woche eine lange Heimreise Richtung Westbahnhof in Kauf. Dabei will sie jedoch ihre Ruhe haben, schlafen. Deswegen hält sie Lärm um diese Uhrzeit nur bedingt aus. Meistens hört sie Musik – oder sie telefoniert.

Als der Bus um drei Uhr den Schwedenplatz erreicht, steigt die Hälfte der Insassen aus. Mehr Fahrgäste steigen zu. Der Lärmpegel steigt. Freie Plätze im Bus sind nun Mangelware. Besonders während der Ring-Runde herrscht Hochbetrieb. Eine Gruppe deutscher Schüler muss stehen, belagert die Türen. Die Schulklasse ist zum ersten Mal in Wien. Gerade waren sie in der neuen Diskothek „Praterdome“ Gestern im Szenelokal „Flex“. Ohne den Lehrer, der ist im Hotel. Die Nightline finden sie toll. Kein Wunder, in ihrem Heimatort gibt es so etwas nicht.

Auf einen Blick

Nightline: Seit 26.Oktober 1995 ist die Nightline in ihrer heutigen Form im Einsatz. 22 Nachtbusse und 11 Astax-Linien erreichen rund 95 Prozent der Wiener Wohnbevölkerung. Jährlich benutzen etwa 2,6 Millionen Fahrgäste das Nightline Netz. Zum Vergleich: 1999 waren es noch 840.000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2008)

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