Wien, die Stadt der verwaisten Auslagen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Zahl leerer Gassenlokale stieg auf 753, 25 davon allein am Rennweg im dritten Bezirk. Im Vorjahr waren es laut den Wiener Einkaufsstraßen 652. Schuld sind oft hohe Mieten. Initiativen arbeiten dagegen.

Wien. So kann es nicht weitergehen, muss die Dame gedacht haben, die am Sonntagnachmittag die vollgeklebte Fassade eines Geschäftslokals in der Gumpendorfer Straße von unzähligen Plakaten befreite. Plakate, die nun zusammengeknüllt im Eingang zum Geschäft liegen. Doch der Haufen stört kaum jemanden, schließlich steht das Lokal leer.

Leer, wie auch die Häuserzeile in der Neustiftgasse, Ecke Museumstraße – ein Friseursalon, eine Trafik und ein Büro der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse – versteckt hinter einer dicken Schicht übereinandergeklebter Plakate, die sich an manchen Stellen langsam von der Wand schälen, als würde das Haus eine alte Hautschicht abstreifen.

Dieses urbane Phänomen lässt sich auch in Zahlen fassen. 753 leere Geschäftslokale sind derzeit beim Servicecenter Geschäftslokale der Wiener Wirtschaftskammer registriert. Das sind um 101 mehr als im Vorjahr. Negativ-Spitzenreiter ist der Rennweg mit 25 verwaisten Lokalen. Auf den ersten Plätzen: Liechtensteinstraße und Hernalser Hauptstraße (je neun), Burggasse und Lerchenfelder Straße (je acht), Gumpendorfer Straße (sechs) und Neustiftgasse (fünf).

Warum bestimmte Regionen schwächeln und manche Lokale wahre Ladenhüter sind, hat Wolfgang Niederwieser als Leiter des Projekts „making it“ zur Wiederbelebung urbaner Grätzel selbst erlebt. Einerseits habe sich der Flächenbedarf des durchschnittlichen Nahversorgers in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. „Diese Betriebe ziehen heute an den Stadtrand.“ Andererseits, so Niederwieser, entscheiden über die Attraktivität eines Standorts eine Reihe anderer Faktoren: regionale Infrastruktur, Zustand und Erscheinungsbild des Lokals, Verkehrsanbindung und nicht zuletzt die Höhe der Miete.

Die meisten Initiativen scheitern am letzten Punkt. Im Rahmen von „making it“ erhielten neun Architekten und Künstler die Gelegenheit, für ein Jahr und zu vergünstigten Konditionen ein Gassenlokal in der Schönbrunner Straße zu beziehen. „Für die Projektdauer hat das auch gut funktioniert“, erinnert sich Niederwieser. Als das Projekt jedoch auslief, und die Vermieter wieder die marktüblichen Mieten forderten, zogen die Kreativen aus. Für sie waren die Standorte nicht mehr leistbar. Allerdings wurde durch das Projekt die Region bekannter. Alle Lokale fanden Nachmieter.

Drastischer stellt die Wiener ÖVP die Lage dar. Landtagsabgeordneter Wolfgang Ulm ortet in vielen Grätzeln „zunehmende Verslumungstendenzen“ und spricht von bis zu 200 leer stehenden Lokalen allein auf der Schönbrunner Straße (laut Einkaufsstraßen-Datenbank sind es vier). Lösen will die ÖVP das Problem mit einem eigenen Auslagengesetz, das Immobilienbesitzer dazu verpflichtet, Gassenlokal und Auslage in einem „ansprechenden Zustand“ zu halten.

Verslumung? Nicht in Wien!

Ist es wirklich so schlimm? „Mit dem Begriff Verslumung kann ich in Wien nichts anfangen“, relativiert Rudolf Giffinger vom Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung an der TU Wien. Natürlich würden wechselnde Wirtschaftsbedingungen immer wieder auch zu leer stehenden Geschäften führen, doch gebe es auch Erfolgsgeschichten, bei denen ganze Stadtviertel wieder aufgewertet wurden. „Die Gebietsbetreuungen spielen hier eine wichtige Rolle, aber auch Privatinitiativen“, sagt Giffinger. Und auch durch infrastrukturelle Maßnahmen wie den U-Bahn-Bau oder das Stärken lokaler Initiativen käme neuer Auftrieb für brachliegende Geschäftsstraßen.

Eine Initiative, um leer stehende Lokale zu beleben, läuft seit Mai 2006: Plakate in leeren Auslagen machen mit Slogans wie „Suche umtriebige Geschäftsfrau“ eindringlich auf freie Geschäftslokale aufmerksam. Bis Mai 2008 konnte man so für 85 Prozent der mehr als 460 betroffenen Lokale neue Nutzer finden.

IN ZAHLEN

In Wien sind zurzeit 753 Geschäftslokale als leer stehend gemeldet. Im Vorjahr waren es laut den Wiener Einkaufsstraßen 652.

Besonders viele leere Lokale gibt es mit 25 am Rennweg im dritten Bezirk. Je neun Geschäftslokale stehen in der Hernalser Hauptstraße und in der Liechtensteinstraße leer. In der Burggasse sind es laut Statistik acht, in der Gumpendorfer Straße sechs, in der Neustiftgasse fünf leere Lokale.

www.freielokale.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2008)

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