Lawinenopfer: "Das Schlimmste war diese Stille"

Mountain Rescue Service practiced rescuing people buried by an avalanche in the Krkonose Mountains
Mountain Rescue Service practiced rescuing people buried by an avalanche in the Krkonose Mountainsimago/CTK Photo
  • Drucken

Der Gasteiner Manfred Brandtner wurde vor 30 Jahren bei einem Lawinenabgang auf dem Kreuzkogel verschüttet. Mit viel Glück hat er überlebt.

Es war das erste Mal, dass Manfred Brandtner seinen in die Jahre gekommenen Schäferhund Prinz daheim ließ und allein auf Skitour ging. Prinz war immerhin schon 13 Jahre alt, und sein damals 35-jähriger Besitzer wollte seinen treuen Begleiter schonen. Doch das war ein Fehler: Der Heilmasseur aus Bad Gastein wurde bei der Abfahrt vom Kreuzkogel von einer Lawine erfasst und mitgerissen. Noch heute ist er sich sicher, dass das Unglück mit Hund nicht passiert wäre. „Die Tiere haben einen eigenen Instinkt. Wo der Hund nicht reingeht, da hat der Mensch erst recht nichts verloren“, erzählt der Bad Gasteiner.

Schon als junger Bursch ging er zur Bergrettung. Gemeinsam mit Prinz hatte er unzählige Einsätze absolviert, die beiden waren auf dem Berg ein eingeschworenes Team. „Ich habe den Hund oft vorausgeschickt und gewartet, was er tut“, erinnert sich Brandtner. Wenn Prinz sich geduckt hat und zu seinem Herrl zurückgekehrt ist, dann wusste er: Stopp, das Risiko ist zu groß. Und dann kam der 27.März 1985. Die erste Tour ohne Hund. Brandtner war allein auf der Nordseite des Kreuzkogels unterwegs, es war ein wunderschöner, sonniger Spätwintertag. „Ich habe schon beim Beginn der Abfahrt gemerkt, dass der Schnee nicht passt. Aber zurück wollte ich auch nicht mehr aufsteigen“, erinnert sich der Gasteiner. Also suchte er sich eine Spur auf dem schneearmen Hangrücken, die ihm sicher erschien.


Keine Zeit, um nachzudenken. Als er kurz vor der Waldgrenze stehen blieb, passierte es: „Der ganze Hang ist runtergekommen.“ Es ging so schnell, dass Brandtner zuerst gar nicht realisierte, was eigentlich los war. Er wurde rauf- und runtergeschleudert, die Schneemassen rissen ihn mit. „Solange ich in Bewegung war, hatte ich kein Gefühl der Panik. Ich hatte gar keine Zeit zum Nachdenken“, erzählt er. Doch dann kam die Lawine zum Stillstand. Und damit endete nicht nur die Bewegung der Lawine, auch für Brandtner war damit Stillstand angesagt. Festgepresst wie in einem Gipsbett lag er irgendwo unter dem Schnee.

„Es war ein ungeheurer Druck, es wurde immer enger. Ich konnte mich nicht bewegen.“ Um wenigstens zu wissen, wo oben und unten ist, versuchte Brandtner, Speichel auszuspucken. Doch das ging nicht. Sein Mund war voller Schnee. Selbst die Augen ließen sich nicht mehr öffnen, weil der Schnee so stark auf die Lider drückte. „Das Schlimmste aber war diese unheimliche Stille“, erinnert sich der Tourengeher. Eine Panikwelle nach der anderen habe ihn erfasst. „Jetzt geht's dahin“, dachte er sich, kurz bevor er ohnmächtig wurde.

Zur selben Zeit war Hans Schmidl aus Bad Hofgastein mit seinem Sohn in Sportgastein unterwegs. Der neunjährige Bub war in die Nordflanke des Kreuzkogels gefahren, sein Vater, im Hauptberuf Wetterwart am Sonnblick und erfahrener Bergretter, folgte dem Buben nach. Die beiden Skifahrer querten den Hang, genau dort, wo kurz zuvor das Schneebrett abgegangen war. Als Schmidl einen Skistock im Lawinenkegel bemerkte, war er alarmiert. Brandtners Glück: Die Fingerspitzen seiner rechten Hand ragten aus dem Schnee. Der Hofgasteiner Bergretter wusste, was zu tun war. Er schaffte es, sich mit seinen zu Schaufeln umfunktionierten Skiern durch den festgepressten Schnee zum Verschütteten vorzuarbeiten.

„Er hat meinen Kopf und meinen Mund vom Schnee freimachen können, ich bekam wieder Luft“, erinnert sich Brandtner an den Moment, in dem er seinen Retter bemerkte. Er habe die Augen aufgemacht und in einen blitzblauen Himmel und ein bärtiges Gesicht geschaut, erzählt der Bad Gasteiner über seine Rettung. „Hans, was machst du da?“, habe er gefragt. Und dann sei er wieder bewusstlos geworden.


Eine halbe Stunde unter dem Schnee. Als Kollegen bei der Bergrettung haben sich das Lawinenopfer und sein Retter gut gekannt. Dass er überlebt hat, verdankt Brandtner vor allem der schnellen Reaktion seines Retters. Rund eine halbe Stunde dürfte er unter dem Schnee gelegen haben. Wäre der 35-Jährige damals nicht körperlich in so einer guten Verfassung gewesen, wäre er wohl nicht mehr lebend aus der Lawine geborgen worden.

Er kam mit ein paar gebrochenen Rippen und Prellungen jedenfalls relativ glimpflich davon. Auch im Spital blieb Brandtner nicht lang, er wollte schließlich so schnell wie möglich heim zu seinem Hund. Prinz war es auch, der ihm bei seinem Weg zurück in die Berge geholfen hat. Für Brandtner war immer klar, dass er wieder auf Touren gehen wollte und bei der Bergrettung aktiv bleiben würde. Aber er musste zuerst die Angst überwinden.

Er grub sich Schneelöcher und stieg mit den Füßen, dem Oberkörper und zuletzt mit dem Kopf voraus hinein. Prinz war immer dabei. Auch bei den ersten kleinen Skitouren regierte noch die Angst. „Wenn ein Eiszapfen runtergefallen ist, bin ich so erschrocken, dass ich sofort wieder abgefahren bin“, erinnert sich Brandtner an eine schwierige Zeit.

In der Nacht ließ er das Licht im Zimmer brennen, weil er die Finsternis nicht ertrug. Ganz langsam, Schritt für Schritt gewann er mit der Zeit das Vertrauen in den Schnee zurück. Geholfen hat ihm dabei auch, dass er viel gemalt hat. „Ich bin vorsichtiger geworden“, sagt er im Rückblick. Jenen Menschen, die in den winterlichen Bergen unterwegs sind, rät er, eine Tour nicht nur gut vorzubereiten und die Sicherheitsausrüstung Pieps, Schaufel und Sonde mitzunehmen. Das Wichtigste sei, mit dem Verschüttetensuchgerät auch regelmäßig zu üben und im Kopf regelmäßig durchzudenken, was im Fall eines Lawinenabgangs zu tun sei. Als Bergretter hat er immer wieder erlebt, dass die Verunglückten zwar mit bester Ausrüstung unterwegs waren, es aber an der Bedienung gemangelt hat. „Im Ernstfall zählt jede Sekunde“, mahnt Brandtner.


„Zufrieden, dass ich noch lebe.“ Mit seinem Lebensretter hat sich der Gasteiner auch später noch getroffen. „Wir sind auch immer wieder gemeinsam auf Skitour gegangen“, erzählt er. Bis zum Tod Schmidls – er starb bei einem Radunfall – blieben sie in Verbindung. Und manchmal zieht es Brandtner auch heute noch zu jener Stelle an der Nordseite des Kreuzkogels, wo er vor 30 Jahren nur knapp dem Tod entronnen ist. „Da halte ich inne und bin zufrieden, dass ich noch lebe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der Lawinenairbag vergrößert nach Auslösung sein Volumen um 150 Liter.
Österreich

Wie man unter einer Lawine überleben kann

Die wichtigsten Fragen und Antworten, um im Ernstfall eine Überlebenschance zu haben.
TIROL: ZWEI TODESOPFER NACH LAWINENABGANG IN ST. ANTON
Österreich

Triebschnee und Leichtsinn

In der bisherigen Wintersaison gab es schon mehr Tote durch Lawinen als im gesamten vergangenen Winter.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.