Patientenanwältin Pilz: "Suizidbeihilfe-Debatte wird kommen“

Patientenanwältin Sigrid Pilz
Patientenanwältin Sigrid Pilz Clemens Fabry / Die Presse
  • Drucken

Zu wenig Geld für Hospize und Palliativmedizin: Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz befürchtet, dass die kürzlich zu Ende gegangene Enquetekommission zum Thema „Sterben in Würde“ an der Praxis wenig ändern wird.

Die Presse: Seit einigen Wochen liegt das Ergebnis der parlamentarischen Enquetekommission zum Thema „Sterben in Würde“ auf dem Tisch. Sind Sie aus Patientensicht mit dem Ausgang zufrieden?

Sigrid Pilz: Nein. Einerseits ist man im Bekenntnis zu einer besseren Versorgung im Hospizbereich und bei der Palliativmedizin recht unbestimmt geblieben. Andererseits habe ich noch die lapidare Antwort der Gesundheitsministerin und des Sozialministers im Ohr, dass derzeit keine Mittel vorgesehen sind. Auch von den Ländern habe ich nichts zur Finanzierung gehört. Meine Sorge ist, dass alle gut gemeinte Lippenbekenntnisse abgeben, aber niemand Geld für die Umsetzung bereitstellt.

Schon 2001 gab es ja einen Allparteienbeschluss für eine bessere Versorgung. Sehen Sie aktuell gar keine Chance auf Realisierung?

Das wäre zu hart formuliert. Ich sehe sie aber erst, wenn es eine klare vertragliche Verpflichtung von Ministerium, Ländern und Sozialversicherung darüber gibt, wer was bezahlt. Dass die Versorgung zum Teil von Spenden abhängt, ist doch absurd: Wenn Sie oder ich eine Bilddarmoperation brauchen, gehen wir auch nicht sammeln. Dabei kämen hier Investitionen dem Gesundheitssystem langfristig günstiger. Derzeit werden Menschen immer wieder zum Sterben vom Pflegeheim auf die Intensivstation gebracht. Das ist teuer und unnötig.

Sie sprechen die sogenannte Übertherapie an, also dass bis zum Schluss alle Möglichkeiten der Medizin ausgereizt werden. Übertherapie kann man via Patientenverfügung hintanhalten. Wie nützlich sind solche Vorab-Willenserklärungen Ihrer Erfahrung nach?

Sie sind wichtig, aber selten genügt es, zu einem Zeitpunkt X seinen finalen Willen festzulegen. Die Patientenverfügung sollte entsprechend dem Gesundheitszustand im Rahmen eines Vorsorgedialogs öfter angepasst werden. Außerdem fehlt bei manchen Ärzten die nötige Akzeptanz. Mir hat einmal ein Oberarzt auf die Frage, wie er mit Patientenverfügungen umgeht, geantwortet: „An meiner Abteilung gelten die nicht.“

Manche Experten argumentieren: Wenn mehr Menschen eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht hätten und es zudem eine gute palliativmedizinische Versorgung gäbe, wäre die Debatte über Sterbehilfe überflüssig. Glauben Sie das auch?

Nein, denn es kann trotzdem zu Situationen kommen, wo das nicht reicht.

Die Bioethikkommission, die sich parallel zur Ethikkommission mit „Sterben in Würde“ befasst hat, empfiehlt – wenn auch unter strengen Bedingungen – mehrheitlich eine Straflosigkeit für die Beihilfe zum Suizid. Die parlamentarische Kommission hat das Thema hingegen ausgespart. Wer hat recht?

Ich hätte mir schon erwartet, dass das Thema auch im Parlament diskutiert wird. Tatsächlich wurde auch am Rande des offiziellen Programms darüber ziemlich erbittert debattiert – leider aber öfter mit Totschlagargumenten. Die Arbeitsgemeinschaft der Patientenanwälte hat sich jedenfalls einstimmig zu einer offenen Diskussion darüber bekannt.

Was ist Ihre persönliche Meinung zur Suizid-Assistenz?

Ich finde den Mehrheitsvorschlag der Bioethikkommission klug.

Sollten auch Ärzte beim Suizid helfen dürfen? Die Ärztekammer sagt Nein.

Gegen den Widerstand der Ärzte etwas zu machen, ist sinnlos. Allerdings sehen wir bei einer ähnlichen Debatte in Deutschland, dass die Meinung der Kammer nicht unbedingt jener ihrer Mitglieder entspricht. In Deutschland sind viele Funktionäre kategorisch gegen eine Mitwirkung am Suizid, während Umfragen zufolge die Mehrheit der Allgemeinmediziner dafür wäre.

Sehen Sie überhaupt keine Gefahr, dass eine Straflosigkeit der Beihilfe dazu führen könnte, dass Menschen diese Option deshalb wählen, weil sie ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen – auch finanziell?

Das muss man sehr ernst nehmen. Aber nachdem im vorliegenden Entwurf der Bioethikkommision ein finales Erkrankungsstadium die Voraussetzung für die Straflosigkeit ist, reden wir hier doch nicht über 85-Jährige, deren finanzielle Mittel zu Ende gehen. Natürlich gibt es aber einen ganz klaren Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verzweiflung und fehlender Betreuung. Was mich schon erbittert, ist, wenn man sich einerseits der Diskussion über Suizidbeihilfe kategorisch verweigert und laut das hohe Lied der Palliativ- und Hospizversorgung singt, sich anderseits aber weigert, die nötigen Mittel dafür bereitzustellen. 

Ist nach der harten Kritik an der Bioethikkommission die Debatte um den assistierten Suizid nicht ohnehin vom Tisch?

Das glaube ich nicht. Die Debatte wird kommen, sie lässt sich auf Dauer nicht verhindern. Die bessere Therapierbarkeit lebensbedrohlicher Erkrankungen, jedoch ohne Aussicht auf deren Heilung, mündet für manche Kranke in diese Frage.

Wann, schätzen Sie, könnte der assistierte Suizid in Österreich denn erlaubt werden?

Nach der letzten Diskussion nicht so schnell – und man darf nicht vergessen: Wir leben auch in einem katholisch-konservativen Land. 20, 30 Jahre wird es schon dauern.

Ich möchte noch zu einem anderen Thema kommen, das auch sehr emotional debattiert wird: das Impfen. Wie bewerten Sie die Dynamik der Debatte, die nach Masernausbrüchen in den USA, Deutschland und Österreich begonnen hat?

Ich bin besorgt, weil die Österreicher offenbar schlecht informiert sind. FSME zeigt, dass man mit Werbung viel erreichen könnte. Der Zeck gilt als gefährlich, Masern nicht.

Zu Masern läuft aber auch eine Kampagne.

Aber offenbar wirkt sie nicht.

Wobei man prinzipiell fragen kann, ob solche Kampagnen überhaupt das richtige Mittel zur Aufklärung sind. Impfskeptiker werfen Behörden, Medien und der Pharmaindustrie ja genau das vor: Dass man kampagnisiert.

Bei Masern fehlt in erster Linie das Wissen, was diese Krankheit anrichten kann. Damals als ich meine Kinder impfen ließ, wusste ich auch nicht, dass Masern tödliche Spätfolgen haben können. Es bräuchte bereits in der Schwangerschaft im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung eine verständliche, neutrale und evidenzbasierte Beratung zu Impffragen. Später sollte das Wissen über Impfungen bei  Elternabenden von gut informierten Schulärzten aufgefrischt werden.

Ein Vorwurf lautet, dass die offizielle Information - wenn sie denn erfolgt - zu einseitig ist. Wird zu wenig über Impfschäden und Nebenwirkungen geredet?

Das glaube ich nicht. Nebenwirkungen gibt es zwar, aber sehr selten. Punkto Impfschaden hatte ich in all den Jahren in der Patientenanwaltschaft keinen einzigen Fall. Um dem massiven Misstrauen, was die Neutralität der Informationen zu  Impfungen  betrifft, entgegen zu wirken, wäre es sinnvoll, wenn das Gesundheitsministerium sich entschließen könnte, ein unabhängiges Institut mit der Einrichtung eines Gesundheitsportals zu Impffragen zu beauftragen.  Darin sollen Interessierte neutrales und  evidenzbasiertes Wissen, das die Vorteile und Risiken der verschiedenen Impfungen laienverständlich darstellt, vorfinden. Außerdem möchte ich auf die „Unabhängige Patienteninformationsstelle“ in der Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft verweisen, wo genau diese Informationen mittels Telefonberatung gegeben werden.

Wären Sie eigentlich für eine "kleine Impflicht" - z. B. als Voraussetzung für den Besuch der Kinderkrippe?

Ich würde lieber einmal bei Kindergärtnern und Krankenschwestern beginnen. Bei denen sollte man über eine Masernimpfung als Einstellungsvoraussetzung reden. Sollte sich die Skepsis gegen Impfungen noch mehr verdichten, muss sich aber die Pharmaindustrie überlegen, woher das kommt.

Und woher kommt das?

Ich glaube, es liegt daran, dass die Pharmaindustrie Werbung zunehmend direkt an den Patienten adressiert. Ich rede da nicht von  Hustensaft, sondern auch von sehr potenten Mitteln wie z. B. über Krebsmittel. Das passiert entweder in Zeitschriften oder über Selbsthilfegruppen und nicht alles ist interessensunabhängige Information, sondern häufig als neutrale Information getarnte Produktwerbung. Die Skepsis, die sich dadurch zu Recht aufbaut, schwappt dann auf andere Themen, wie auch den Nutzen von Impfungen über.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.