Einkaufen in der Mülltonne

Freeganer holen ihr Essen aus dem Abfall von Supermärkten – aus Protest gegen das System. von MAGDALENA KLEMUN

Felix Hnat hat das Problem der Nahrungsbeschaffung aus seinem Leben eliminiert – und die Problemlösung an seinen Alltag angepasst: Den Inhalt seines Kühlschranks besorgt der 27-Jährige erst, wenn im Büro alles erledigt ist – das kann bis 22 Uhr dauern. Wo der Supermarkt ist, der außerhalb der Geschäftszeiten die Türen öffnet? „Am Parkplatz“ sagt Hnat, „oder im Hinterhof“.

Das muss man erklären: Wenn Hnat „einkauft“, geht er nicht in den Supermarkt, sondern hinter ihn. Vokabel wie „kaufen“ passen eigentlich nicht zu dem, was Hnat tut – er öffnet Müllcontainer von Supermarktfilialen und entwendet, was er braucht: Obst, Gemüse, Backwaren. Vorausgesetzt, die Produkte sind weder schimmlig noch grob beschädigt. Zwei- bis dreimal pro Woche macht er sich mit Taschenlampe und Rucksack auf den Weg. Bevorzugt durchwühlt er Tonnen in der Peripherie, wo Mülltonnen leichter und unbeobachtet zugänglich sind. Etwa zweihundert Euro erspart sich Hnat monatlich durch das „Containern“ – die Entlastung seines Budgets ist für ihn aber nur ein „Nebeneffekt“, Geld zum Leben hat er so auch genug.

Aber was treibt einen in der Computerbranche tätigen Akademiker dazu, den Kopf in jenem Material zu versenken, das Supermarktketten ihren Kunden nicht mehr zumuten wollen? Nun, abgesehen von Begriffen wie „Konsumgesellschaft“ und „Tierrechte“ will er das von Supermarktketten getragene System auf keinen Fall stützen – weil es einwandfreie Waren in den Müll katapultiert. „Dass brauchbare Nahrung weggeschmissen wird, ist ein Symptom eines Systems, in dem sich Verschwendung auszahlt.“ Hnats Kritik: Da die Umweltbelastung durch den Anbau mancher Ressourcen nicht in den Preis einkalkuliert werde, bleibe dieser niedrig – dies mache es Supermärkten möglich, Regale täglich neu mit ofenfrischen Semmeln aufzufüllen, während altes Brot in die Tonne wandert.


Veganes Leben. Menschen, die das unerträglich finden, haben ihre Bewegung „Freegan“ genannt, weil „free“ die Kostenlosigkeit und „-gan“ den Wortstamm „vegan“ unterstreicht. Viele Freeganer sind Veganer, weil sie Tiere nicht zum Konsumgut herabwürdigen wollen.

Über Fleischkonsum und Ethik lässt sich streiten – in einem hat Hnat aber zweifellos recht: Die Mengen weggeworfener, intakter Ware rangieren im Tonnenbereich. Laut einer Boku-Studie aus dem Jahr 2003 landen pro Supermarktfiliale rund 45 Kilo einwandfreier Ware pro Tag im Müll.

Hnat schätzt, dass in Wien rund 150 Menschen „containern“. Mit ein Grund, warum der Freeganer eine Homepage (www.freegan.at) betreibt, die neben ideologischen Standpfeilern Tipps für gefahrenloses „Dumpster Diving“, wie die Amerikaner das Mülltauchen nennen, verbreitet. Vorsicht und Unauffälligkeit werden da propagiert – nicht zu Unrecht. Denn wer containert, bewegt sich in Österreich rechtlich im Graubereich. Ob der Inhalt einer Mülltonne zur freien Entnahme zur Verfügung steht, hängt von der Intention des Müllverursachers ab. Will dieser – also der Supermarkt – die Waren dezidiert der Abfallverwertung zuführen, ist die Entnahme jedenfalls nicht rechtens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2009)

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