"Wir sind international weit abgeschlagen"

Edda Bolten leitet die Justizanstalt Mittersteig für geistig abnorme Rechtsbrecher. Sie begrüßt den Reformvorschlag des Justizministeriums, sieht aber "noch viele Großbaustellen".

Frau Bolten, Sie sind Leiterin der Anstalt am Mittersteig für geistig abnorme Rechtsbrecher. Was halten Sie vom Vorschlag von Justizminister Brandstetter, dass psychisch kranke Menschen künftig nicht mehr im Gefängnis behandelt werden sollten, sondern in einem Spital – beziehungsweise in speziellen Einrichtungen wie Ihrer?

Edda Bolten: Alles, was in dem vom Minister vorgelegten Expertenpapier steht, ist wünschenswert, das, was wir seit Jahren predigen. Wir unterstützten das zu 100 Prozent. Es ist hoch an der Zeit, dass wir uns endlich an internationale Standards annähern. Wir wünschen uns das alles, legistisch ist es einfach zu lösen, aber es gibt da doch sehr viele Haken an der Sache. Bis zur Umsetzung wird aber, glaube ich, noch sehr viel Zeit vergehen. Da gibt es einige Großbaustellen.

Welche Großbaustellen sind das?

Die Probleme sind vielschichtig. Es beginnt damit, dass es gesellschaftlich schwer umzusetzen sein wird, dass psychisch kranke Straftäter in ein Spital kommen – und nicht im Gefängnis sitzen. Ein Krankenhausaufenthalt, auch wenn die Menschen dann nicht hinaus dürfen, wird nicht als Strafe gesehen. Dazu wird man viel Steuergeld in die Hand nehmen müssen, um die nötigen Strukturen zu schaffen – und da ist wirklich viel zu tun. Dazu wird viel politisches Geschick vonnöten sein, denn ohne die Länder wird es nicht möglich sein, die Vorschläge umzusetzen. Auch sie werden mitzahlen müssen, und wie wir alle wissen, sind daran schon ganz andere Dinge gescheitert.

Woran mangelt es denn derzeit? Und was brauchte es, damit das funktioniert?

In erster Linie mangelt es an Geld und dann an allem, was damit einhergeht. Dazu an personellen Ressourcen beziehungsweise dem Nachwuchs. Es gibt in Österreich keinen Lehrstuhl für forensische Psychiatrie, das will man jetzt einführen. Aber bis da die Ersten abgeschlossen haben, vergehen wieder Jahre. Es gibt aber auch viel zu wenig spezielle Weiterbildung für Sozialarbeiter, Psychologen und Wachpersonal. Man hat die letzten Jahrzehnte verabsäumt, sich darum zu kümmern. Wir sind international weit abgeschlagen.

Wo bilden sich jetzt Ihre Mitarbeiter weiter? Welche Ausbildung haben sie?

Wir haben hier 90 Plätze für Menschen, die nach Paragraf21, Absatz2 Strafgesetzbuch verurteilt wurden. Das sind zurechnungsfähige Täter mit einer psychischen Erkrankung. Sie bekommen eine zeitlich begrenzte Haftstrafe und eine sogenannte Maßnahme – das heißt, sie werden erst entlassen, wenn ihre spezifische Gefährlichkeit nach Begutachtung reduziert ist. Dementsprechend arbeiten bei mir Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter. Im Moment bilden sie sich meist auf Eigeninitiative und zum größten Teil auf eigene Kosten im Ausland fort.

Sprechen wir noch einmal vom Geld. Sehen Sie auch Möglichkeiten, wo innerhalb der Justiz umgeschichtet werden kann?

Ganz wichtig wäre, dass die Häftlinge in das Sozialversicherungssystem aufgenommen werden – Insassen sind nicht krankenversichert. Wenn ich also mit einem Insassen ins Spital fahre, bleche ich. Und zwar absurderweise den Tageshöchstsatz, also das, was ein Privatpatient bezahlt. Es wäre schon geholfen, wenn wir den Normaltarif an die Krankenkassen abführen könnten. Jede Leistung, die wir zukaufen, ist sehr teuer. Ein Tag Krankenhausaufenthalt kostet uns im Schnitt 400 Euro. Wenn wir Häftlinge zum Probewohnen in Heime geben – das machen wir vor ihrer bedingten Entlassung oft viele Wochen, um zu erproben, ob sie sich im Heim integrieren können –, kostet das pro Tag 150 Euro. Das sind 4500 Euro im Monat.

Was wünschen Sie sich für Ihr Haus und Ihre Klienten?

Für meine Klienten und uns wünsche ich mir, dass wir irgendwann finanzielle und personelle Ressourcen haben, um begleitende Forschung machen zu können, um die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Manche glauben, ein Maßnahmenvollzug ist gemütlicher als ein reguläres Gefängnis, weil die Menschen hier ein bisschen mehr Freiheiten haben. Ich finde, es ist eine sehr harte Form des Vollzugs, weil sie sich in ihrer Zeit hier einer Therapie unterziehen und sich intensiv mit sich und ihren Taten auseinandersetzen müssen. Dazu gibt es sehr viele, die hier deutlich länger sitzen, als ihre Haftstrafe ist, weil sie als zu gefährlich für die Gesellschaft eingestuft werden. Wenn wir für unsere Sicherheit Menschen wegsperren, dann müssen die Bedingungen in Gefangenschaft zumindest so gut wie möglich sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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