Jagen, ja, aber bitte nicht bei mir!

Tobias Anderka
Tobias Anderka(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Tobias Anderka besitzt einen kleinen Wald. Nun kämpft er bei den Behörden dafür, dass dort nicht mehr gejagt werden darf. Bekommt er recht, wackeln die Grundpfeiler des Jagdsystems.

Nur damit Sie mich nicht missverstehen: Vegetarier oder gar Veganer bin ich nicht.“ Tobias Anderka aus Kaltenleutgeben bei Wien kennt die Vorurteile, die Jäger und ihre Kritiker gern strapazieren, dafür verwenden, um den jeweils anderen in die passende ideologische Schublade zu stecken. So entstanden in den Köpfen der staunenden Beobachter während der vergangenen Jahre Bilder, die ungefähr so aussehen: Auf der einen Seite blutrünstige Männer (und Frauen), die mit nervösem Finger am Abzug von Flinte oder Büchse kaum darauf warten können, das nächste Wildtier zu erschießen. Ihnen gegenüber stehen blasse Männer und Frauen aus der Stadt. Den Verzehr von Fleisch lehnen sie ab, und überhaupt haben sie ziemlich wenig Ahnung davon, wie das Ökosystem Wald im Europa des 21.Jahrhunderts funktioniert.

Mit genau solchen Bildern will Anderka jedoch nichts zu tun haben. Wer mit ihm spricht, wird regelmäßig daran erinnert. In seiner Auseinandersetzung mit der örtlichen Jagdgenossenschaft geht es dem 36-Jährigen um die Klärung ganz anderer Fragen. „Warum“, sagt er, „darf ich in einem angeblich freien Land nicht selbstständig über mein Eigentum bestimmen? Warum schreibt mir der Staat hierzulande vor, dass ich, obwohl ich das nicht will, auf meinem eigenen Grund und Boden wildfremde Jäger auf Tiere schießen lassen muss?“ Also, warum eigentlich?

Das hat mit dem österreichischen Jagdgesetz zu tun. Oder genauer, mit den neun Landesjagdgesetzen der Bundesländer. Der große Rahmen ist allen gemein, in den Details unterscheiden sie sich aber. Sozusagen zur DNA des Jagdrechts in Österreich gehört, dass im Prinzip jedes Grundstück im Land bejagt werden muss. Ausgenommen davon sind besiedelte Flächen, Friedhöfe, Verkehrsadern wie Straßen und Eisenbahnen oder Regionen rund um Erholungsheime.

Wer richtig viel Wald oder Wiesen besitzt (115 Hektar oder mehr), muss die Wildtiere darauf entweder selbst bejagen oder darf die Flächen – an wen er will – verpachten. Flächen von Eigentümern, die weniger haben, landen gemeinsam mit anderen in Gemeindejagden, deren Gremien das Jagdrecht in der Regel an Jagdgenossenschaften versteigern oder – per Gemeinderatsbeschluss – direkt vergeben. Und in genau so eine Gemeindejagd ist auch der eine Hektar Wald von Tobias Anderka eingegliedert.

Deutschland als Vorbild. Wie lang noch, das ist offen. So unwahrscheinlich ist es nämlich gar nicht, dass sich diese seit 1848 praktizierte Regelung bald selbst überholt. Anderka hat prominente Unterstützer. Sein Kampf um mehr Selbstbestimmung stützt sich immerhin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte bereits 2012 in einem von einem deutschen Grundeigentümer geführten Verfahren festgestellt, dass Landbesitzer nicht verpflichtet werden dürfen, die Jagd auf ihren Ländereien zu dulden. Insbesondere dann nicht, wenn der Eigentümer die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt. Der EGMR stellte im Verfahren eine Verletzung des Schutzes des Eigentums fest.

Für Österreich hat das Urteil noch keine unmittelbare Auswirkung. Die jüngsten Entwicklungen in Deutschland zeigen jedoch, was auch hierzulande theoretisch möglich ist. Auf Basis des EGMR-Urteils änderte sich in unserem Nachbarland nämlich die Rechtsprechung der Gerichte. Beginnend mit einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts wurden auf Antrag der Eigentümer seither hunderte Grundstücke als jagdfreie Zonen ausgewiesen.

Der eine Hektar Wald von Anderka im beschaulichen Kaltenleutgeben im Wienerwald könnte nun zum österreichischen Präzedenzfall werden. Der Ehemann, zweifache Vater und Hundehalter bekommt auch Unterstützung vom Österreichischen Tierschutzverein. Gemeinsam mit dem in der Tierschützerszene bekannten Unternehmer Christian Nittmann (Initiative zur Abschaffung der Jagd) will man Anderka ein Musterverfahren bis hin zum EGMR finanzieren.

Die Allianz der Jagdgegner ist damit eine bemerkenswert bunte. Während Anderka bürgerliche Freiheit und Selbstbestimmungsrecht im Fokus hat, kämpft Nittmann seit vielen Jahren und fast fanatisch gegen die Jagd an sich. Auf seiner Website appelliert er mit Bildern von Katzenjungen im Fadenkreuz direkt an die Emotionen von Tierfreunden. Dem Österreichischen Tierschutzverein hingegen ist vor allem der gesellschaftliche Zinnober der Jagd als Hobby ein Dorn im Auge. Die Organisation spricht sich deshalb für die totale Professionalisierung der Jagd aus.

Aber was, wenn Anderka andere folgen, er mit seinem Antrag auf Austritt aus der Gemeindejagd durchkommt? „Das würde unser jetziges System in seinen Grundfesten erschüttern.“ Heinz Gach, Landesjägermeister in der Steiermark und Präsident der Internationalen Jagdkonferenz ist sich sicher: Kommen die Kritiker der Jagd mit ihren Wünschen durch, wird das auch für Grundbesitzer negative Folgen haben. Die wenigen Flächen, auf denen schon heute die Jagd ruht, würden vom Wild nämlich geschickt dazu genützt werden, um sich zurückzuziehen und zu vermehren. Die Schäden – zum Beispiel durch Verbiss – bekämen jedoch auch jene zu spüren, die sehr wohl Mitglieder der Gemeindejagd sind.

Noch ist es nicht so weit. Derzeit bearbeitet die Bezirkshauptmannschaft Mödling den von Anderka eingebrachten Antrag. Wird er abgelehnt, folgt eine lange Pirsch durch den Dschungel der Paragrafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

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