Niederösterreichs neue Liebe zu Wien

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Niederösterreich hat mit Abwanderung zu kämpfen – Wien mit einer rasant wachsenden Stadt. Um neue Einwohner zu lukrieren, macht sich Niederösterreich die Probleme der Hauptstadt zunutze und wirbt um die Wiener.

Die Stadt Wien hat – gelinde gesagt – keinen besonders guten Ruf in den von ihren Bewohnern so genannten „Bundesländern“. Eines davon, nämlich das die ganze Stadt umfassende Niederösterreich, macht den Wienern nun aber Avancen und wirbt darum, sie als Einwohner zu gewinnen.

Obwohl Niederösterreich seit Jahren bei den Einwohnerzahlen minimal zulegt – 2014 lag der Bevölkerungsstand bei 1,6 Millionen Einwohnern −, kämpft das Bundesland in machen Regionen mit Abwanderung. Stark davon betroffen ist etwa das Waldviertel. Etliche Häuser stehen dort leer und warten auf neue Besitzer.

Wien hat das gegenteilige Problem: Die Stadt gilt als die am schnellsten wachsende im deutschsprachigen Raum. Allein vergangenes Jahr zogen 30.591 Personen zu. Arbeits- und Wohnungsmarkt haben große Schwierigkeiten, diese Entwicklung zu bewältigen – die Mieten im privaten Sektor klettern stetig, weil es zu wenig leistbaren Wohnraum für die Menschenmassen gibt.

Niederösterreich macht sich die Probleme der Hauptstadt zunutze, um Werbung für sich zu machen. Und so kommt es, dass das Land Niederösterreich mit einer Image- und Werbekampagne in Wien um neue Bewohner buhlt. Für die Initiative „Wohnen im Waldviertel“ haben sich 56 Gemeinden zusammengeschlossen, um für die Vorteile des Waldviertels als leistbaren und zugleich qualitativen Wohn- und Lebensstandort zu werben.

Unter der Marke „Wohnen im Waldviertel – Wo das Leben neu beginnt“ werden Aktivitäten gesetzt, um Zuzug in die Region zu fördern und Abwanderung zu bremsen. Auf der gleichnamigen Internetplattform (wohnen-im-waldviertel.at) finden sich etwa Immobilien- und Jobangebote in der Umgebung sowie Informationen zu Freizeit und Infrastruktur. Die Initiative ist auf Messen in Wien vertreten und verteilt ein eigenes Magazin.

Eine, auf die das Eindruck gemacht hat, ist Martina Noé. Die 40-Jährige ist in Wien geboren und lebte dort bis vor fünf Jahren. Als sie sich von ihrem Mann scheiden ließ, fasste sie 2011 den Entschluss, hier mit ihren Kindern ein neues Leben in Horn anzufangen.

Das Waldviertel kannte sie schon von Urlauben, bei denen sie sich in die Region und ihre Bewohner, die ihr immer gut zugeredet hatten, doch herzuziehen, verliebt hatte. Die studierte Wirtschafterin hatte Glück, da sie relativ schnell einen Job fand. Sie ist Geschäftsführerin des Wirtschaftsforum Waldviertel, dem rund 180 Waldviertler Betriebe angehören. Von ihrem neuen Leben spricht sie nur in den höchsten Tönen: „Das Waldviertel ist der ideale Platz für Familien, der Platz, wo Kinder im Einklang mit der Natur groß werden und Erfahrungen sammeln können.“


Viele Sterne, wenig Jobs. Ganz so romantisch ist es allerdings nicht immer – das Waldviertel mag zwar landschaftlich schön sein, allerdings hat die Region massive Probleme. Eines der größten ist der Arbeitsmarkt: Die Bevölkerung wird älter, für die Jungen gibt es viel zu wenige Jobs. Namhafte Betriebsneuansiedelungen gibt es kaum, dafür fehlt die Infrastruktur. Wer in das Waldviertel ziehen möchte, findet zwar schnell günstigen und auch schönen Wohnraum – ein Arbeitsplatz ist aber oft schwierig.

Das führt dazu, dass jene, die trotzdem hierherziehen, meist ihren Lebensmittelpunkt in Wien behalten. Viele pendeln und melden im Waldviertel nur den Zweitwohnsitz an, um das Wiener Parkpickerl bekommen zu können. Das aber bringt der Region außer der Grundsteuer wenig: Laut dem Bevölkerungsschlüssel, nach dem Gelder vom Bund an die Länder verteilt werden, ist jemand mit einem Hauptwohnsitz zwischen 600 bis 700 Euro wert – für einen Zweitwohnsitzler bekommt das Land aber keinen Cent. Auch die Kommunalsteuer wird dort abgeführt, wo die Menschen arbeiten – bei Pendlern also in Wien.

„Wir wollten genau das nicht, sondern unseren Lebensmittelpunkt hierher verlagern“, sagt Veronika Schmidt. Auch sie ist eine „Zuagroaste“, die 2009 mit ihrem Mann in Spital einen Bauernhof übernahm. „Es war hart, aber wir haben es wirtschaftlich hinbekommen – das gelingt vielen anderen hier leider nicht“, erzählt die 35-Jährige, die vor ihrem Leben als Bäuerin Sozialarbeiterin war. Mittlerweile läuft der Bio-Bauernhof gut, die großen Bio-Eier sind in der ganzen Region beliebt und finden viele Abnehmer. „Es gibt Dinge, die ich vermisse, seitdem ich nicht mehr in der Stadt wohne, aber die Vorteile, auf dem Land zu leben, überwiegen“, sagt sie. Sie schätze die Stille, und dass nicht an jeder Ecke Werbeplakate hängen. „Aber das schönste sind die Sterne. Wegen der Lichtverschmutzung sieht man die in der Stadt oft gar nicht“, sagt sie.

Gratisgrundstücke. Auch in Rappottenstein im Bezirk Zwettl ist der Sternenhimmel fantastisch – die Ruhe allerdings fast gespenstisch. Bürgermeister Josef Wagner (ÖVP) würde etwas Lärm wohl gern in Kauf nehmen, wenn sein Ort dann nur etwas belebter wäre. In Rappottenstein leben rund 1700 Menschen, man versucht hier viel, um diese von Abwanderung abzuhalten und neue Bewohner zu gewinnen.

Sogar so viel, dass die Gemeinde Baugrundstücke verschenkt. Weil aber nichts im Leben wirklich geschenkt ist, ist auch das an eine Bedingung geknüpft: Innerhalb von zehn Jahren muss auf dem Grundstück gebaut und eine Familie gegründet werden. „Es ist als Familienförderung konzipiert, aber weil es ja auch eingetragene Partnerschaften gibt, müssen es dann drei Hauptwohnsitze sein“, sagt Wagner. Diese Aktion gibt es jetzt schon seit einigen Jahren – bisher hat nur eine einzige Person dieses verlockende Angebot angenommen. „Damit unsere Gemeinde halbwegs bestehen bleibt, versuchen wir viel“, sagt Wagner. Die Bindung funktioniere gut über Vereine. Auch dann, wenn junge Leute eine Familie gründen, wären die Chancen besser. Wirtschaftlich sieht es in Rappottenstein schlecht aus. „Zum Arbeiten pendeln eigentlich alle, und wir versuchen, die wenigen Betriebe, die wir haben, gut zu fördern. Neuansiedlungen gibt es eigentlich nicht“, sagt Wagner.

In Rapottenstein gibt es den Grund für Familien gänzlich gratis, in den umliegenden Gemeinden fast – ab drei Euro aufwärts gebe es Baugründe, sagt Wagner.


Niederösterreich gewinnt. Trotz dieser guten Angebote und der Werbung dafür gelingt es nur im Kleinen, Wiener ins Waldviertel zu holen – es überwiegt immer noch die Abwanderung. Laut Statistik Austria gab es von 2010 bis 2014 von Wien insgesamt 3618 Umzüge in das Waldviertel (Bezirke Gmünd, Horn, Waidhofen, Zwettl). Von hier gen Wien wanderten 4153 Menschen.

Sieht man sich die Gesamtbilanz für das Bundesland an, schaut es anders aus. Im selben Zeitraum zogen 79.478 Personen von Niederösterreich nach Wien – dem gegenüber stehen 99.346 Personen, die aufs Land zogen. Insgesamt konnte Niederösterreich somit also knapp 20.000 Wiener gewinnen. Die meisten Zuzüge aus Wien verzeichnet Klosterneuburg (4217) zwischen 2010 und 2014, gefolgt von Schwechat (2270) und Groß-Enzersdorf (2150). Die meisten Wegzüge nach Wien verzeichnen Klosterneuburg (2695), St. Pölten (2314) und Wiener Neustadt (2103).

Neben dem Waldviertel versucht auch St. Pölten, diesen Entwicklungen gegenzusteuern – und so kam es, dass Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) vor wenigen Wochen in Wien eine Pressekonferenz gab, um dort zu verkünden, dass vor den Toren Wiens in seiner Stadt 4100 leistbare Wohnungen gebaut würden. Eine große Wohnbauoffensive werde gestartet, um Platz für willige Wiener zu schaffen. „St. Pölten hat eine sehr hohe Lebensqualität, die Wohnkosten sind im Vergleich zu den anderen Landeshauptstädten deutlich günstiger“, sagt Stadler. Man sei von hier aus schneller im Zentrum von Wien als von so manchem Außenbezirk, warb er. Der Zug nach Wien braucht rund 25 Minuten und fährt zweimal pro Stunde. Erst im September wurde eine neue Park-&-Ride-Anlage mit mehr als 700 Stellplätzen am Bahnhof eröffnet.

In St. Pölten stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis, ist sich Stadler sicher. Der Nettomietpreis liegt bei 7,30 Euro pro Quadratmeter – in Wien geht es laut Immobilienpreisspiegel ab 8,10 Euro los. Der Quadratmeterpreis für Eigentumswohnungen liegt in St. Pölten bei 1963 Euro, in Wien gibt es die billigsten Wohnungen in der Brigittenau ab 2800 Euro pro Quadratmeter. Stadler hofft auf einen Paradigmenwechsel und eine bald florierende Landeshauptstadt mithilfe der Wiener. „Früher hatte St. Pölten das Image: Nix los, fad, und es stinkt“, sagt Stadler. Mittlerweile tue sich hier viel, die Stadt hat mehr als 58.000 Einwohner. Stadlers Slogan: „St. Pölten ist der Wohnsinn.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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