Obdachlose: Schwierige Herbergsuche für den Winter

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Die Stadt Wien sucht mit Hochdruck nach Winterquartieren für Obdachlose. Viele Objekte, die vergangenen Winter dafür herangezogen werden konnten, wurden im Herbst für die Flüchtlinge gebraucht.

Thomas dankt Gott jeden Tag, dass der Winter bisher so lange auf sich warten ließ, er genoss die wärmenden Sonnenstrahlen Ende November in vollen Zügen. Während sich Kinder freuen, wenn der erste Schnee fällt, empfindet Thomas nur Beklemmung. Die Kälte mache ihn krank, sagt er. Mit seinem Rheuma sei es dann immer ganz schlimm, wenn ihm diese so in die Knochen kriecht. Thomas ist 48 Jahre alt und obdachlos, und es ist der siebte Winter, den er irgendwie überstehen muss.

Einige hundert Menschen sind in Wien akut obdachlos, wie viele es sind, wird nur geschätzt. Klar ist: Die Tendenz steigt. Grund dafür ist auch die Armutsmigration, die sich auf Wiens Straßen widerspiegelt. Neben Obdachlosen aus ärmeren EU-Ländern wie Ungarn, Bulgarien oder Rumänien gibt es auch mehr junge Italiener, Spanier und Deutsche, die in Österreich ihr Glück versuchen. Gelingt das nicht, landen sie auf der Straße. Zugang zum Sozialsystem haben sie, sofern sie hier nicht gearbeitet haben, nicht.

„Keiner muss in Wien im Winter auf der Straße schlafen“, betont Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) Jahr für Jahr. Aus den Obdachlosen-Einrichtungen hört man da derzeit allerdings anderes. Zumindest einmal waren dem Vernehmen nach vorige Woche schon zu Mittag alle Plätze in Notquartieren, die über die Anlaufstelle P7 vergeben werden, besetzt.


Der milde Herbst als Gnadenfrist. Dabei wurde das jährliche Winterpaket von NGOs und Stadt bereits gestartet, die ersten Quartiere haben mit Anfang des Monats ihre Türen geöffnet. Sie bleiben bis April bestehen. Zusätzlich zu den 300 ganzjährigen Schlafplätzen sollen auch heuer weitere 600 Schlafplätze eingerichtet werden, die Eröffnung der Quartiere erfolgt stufenweise. Bisher stehen 230 Plätze für Männer, 50 für Frauen und 13 für Familien zur Verfügung. Das sind insgesamt rund 300 Plätze – 150 weitere Plätze sind in Vorbereitung.

„Unsere Notquartiere sind schon jetzt immer im Nu voll, wir könnten definitiv mehr Plätze brauchen“, sagt Alexander Tröbinger vom Roten Kreuz. Das Rote Kreuz betreibt 100 Notplätze in einem Pavillon im Otto-Wagner-Spital. Ein zweiter Pavillon, in dem zuvor ebenfalls Obdachlose nächtigen konnten, ist heuer weggefallen, dort betreibt nun der Arbeitersamariterbund ein Flüchtlingsquartier. Das Rote Kreuz hat als Ersatz 100 Plätze im Sophienspital geschaffen – „beide Quartiere sind voll“, sagt Tröbinger.

Ähnliches berichtet Hedi Klima von VinziBett: „Wir sind das ganze Jahr voll und müssen zunehmend Leute wegschicken“, sagt sie. In der Notschlafstelle VinziPort sehe es ähnlich aus. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass man in der Stadt, auch an bisher nicht frequentierten Orten, in Parks, rund um den Westbahnhof oder am Gürtel, zunehmend Obdachlose nachts draußen schlafen sieht.


Erhöhter Platzbedarf.
Bisher haben die milden Temperaturen der Stadt Wien eine gewisse Gnadenfrist beschert – ein spontaner Wintereinbruch hätte sie in den vergangenen Wochen in die Bredouille gebracht. Denn dieses Jahr ist es erheblich schwieriger, passende Notquartiere zu finden. Bisher fehlen noch rund 150 Plätze, um die angekündigten 600 Plätze auch tatsächlich anbieten zu können. „Wir absolvieren gerade ein enormes Raumbeschaffungsprogramm“, sagt Peter Hacker, Chef des Fonds Soziales Wien. Das habe auch mit der Flüchtlingskrise zu tun: Weil sowohl der Bund als auch die Länder noch immer deutlich zu wenig Quartiere schaffen, leben laut Hacker bis zu 8500 Menschen, die im Asylverfahren sind, in Wien in Unterkünften, die eigentlich nur als Transitquartiere für die Weiterreise gedacht waren – oder eben in Quartieren, die vergangenes Jahr ab November für Obdachlose zur Verfügung gestellt wurden. „Ich frage mich wirklich, warum wir eine Verfassungsänderung für ein Durchgriffsrecht beschlossen haben, wenn es dann nicht angewendet wird“, sagt Hacker. Wien ist zwar das einzige Bundesland, das die Quote erfüllt, nämlich zu 120 Prozent, dennoch stranden etliche der Asylwerber hier.

Würden diese nicht zumindest in den teils sehr notdürftigen Quartieren der Stadt ein Dach über dem Kopf finden, gäbe es in Wien Tausende Obdachlose. Dennoch gilt auch für Hacker: Im Winter muss keiner auf der Straße schlafen – egal ob Obdachloser oder Flüchtling. Auch bisher seien, so zumindest die offiziellen Angaben des FSW, die Notquartiere nicht überfüllt gewesen. „Vielleicht hatte das P7 keine freien Plätze, weil sie reserviert waren, am Ende waren die Quartiere aber noch nicht voll“, so ein Sprecher.


Schwierige Quartiersuche. Klar ist aber: Die Winterquartiersuche geht weiter. Einerseits für die Flüchtlinge, die teils in nicht beheizbaren winterfesten Unterkünften schlafen – andererseits, um für die Obdachlosen genügend Plätze schaffen zu können. „Diese haben genauso viel Priorität wie bisher, wir haben auch Objekte in Prüfung, aber dennoch freue ich mich über jeden Vorschlag“, so Hacker, der – genauso wie die Hilfsorganisationen – vermeiden will, dass Obdachlose und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden.

In Zahlen

600Notschlafplätze
Das Winterpaket der Stadt Wien und von NGOs startet jedes Jahr im November und geht bis April. Insgesamt sind zusätzlich zu den 300 ganzjährigen Plätzen 600 weitere geplant.

8500Asylwerber
leben derzeit in Wien in Quartieren, die nur als Transitquartiere gedacht waren. Grund dafür ist, dass Bund und Länder nicht genug Plätze schaffen. Wien ist das einzige Bundesland, das mit 120 Prozent deutlich über der vorgeschriebenen Quote liegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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