Diskriminierung: Mängel bei Barrierefreiheit

(c) Stanislav Jenis
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Viele Unternehmen haben ihre Räumlichkeiten noch nicht barrierefrei adaptiert – obwohl das ab 2016 verpflichtend ist.

Wien. In drei Wochen sollte die Welt für alle Rollstuhlfahrer, alte Menschen und Mütter mit Kinderwägen eine bessere sein. Denn mit 1.Jänner 2016 sollen bestehende öffentlich zugängliche Gebäude per Behindertengleichstellungsgesetz weitgehend barrierefrei sein.

Zehn Jahre Übergangsfrist sah das bereits 2006 beschlossene Behindertengleichstellungsgesetz für diese Maßnahmen vor – ein „Presse“-Lokalaugenschein in der Inneren Stadt sowie in der eigentlich barrierefreien Mariahilfer Straße zeigen aber: Bisher ist kaum etwas passiert. Etliche Geschäfte haben noch immer keine Adaptierungen vorgenommen – bei den Restaurants und Cafés ist es oft noch schlimmer. Gerade dort, wo die Mariahilfer Straße abfällt, also etwa ab der Kirchengasse, haben fast alle Geschäfte Stufen.

Das bestätigt auch Martin Ladstätter, Obmann des Behindertenverbands Bizeps. „Bis auf wenige schillernde Vorbilder wurde das Gesetz von der Privatwirtschaft weitgehend ignoriert“, sagt er. Als eines dieser positiven Beispiele führt er die Bank Austria an, die sich vor dem Umbau ihrer Filialen Beratung von Behindertenvertretern geholt habe. Die Bank biete darüber hinaus sogar Beratung in Gebärdensprache an.

Ausnahmen bei Altbauten

Die Wirtschaftskammer verweist auf „Presse“-Anfrage darauf, dass nicht jedes Geschäft, das keine Rampe hat, automatisch gegen das Gesetz verstößt: „In Wien gibt es viele Altbauten, wo ein Umbau schwierig oder zu teuer wäre – wir wissen von vielen, dass sie Ausnahmegenehmigungen haben“, heißt es. Das Interesse der Unternehmer bei den Informationsveranstaltungen rund um das Thema Barrierefreiheit sei groß gewesen, man habe auch Beratung für Geschäfte angeboten. Rund 150-mal sei dieses Angebot von Firmen auch angenommen worden.

Daneben hat die Wirtschaftskammer Wien noch ein weiteres Projekt initiiert – sie verschenkt derzeit hundert mobile Rampen, also solche, die nur aufgebaut werden, wenn jemand in ein Gebäude möchte, und die danach wieder wegräumt werden. Eine Zwischenlösung zumindest.

Teilweise noch schlechter als in der Privatwirtschaft sieht es mit der Barrierefreiheit in Gebäuden der öffentlichen Hand aus – in Wien hat man sich selbst etwa überhaupt eine Übergangsfrist bis 2042 gewährt. Die Stadt Wien möchte die Umbauten von rund 1100 Gebäuden in drei Blöcke teilen – jeweils ein Teil soll bis 2022, 2032 und 2042 adaptiert werden. Geschätzte Kosten: 162 Millionen Euro. „Fast die Hälfte der Gebäude fällt in die Kategorie drei. Das sagt viel über die Wertigkeit aus – ganz davon zu schweigen, dass viele von uns in 30 Jahren nicht mehr leben“, sagt Ladstätter.

Für die Wiener Linien findet er allerdings lobende Worte – man sei dort bemüht, Probleme zu lösen. Bei der U-Bahn funktioniere es schon recht gut, und auch die alten Straßenbahnen werden nach und nach durch Niederflurstraßenbahnen ersetzt, die auch Rollstuhlfahrer benutzen können. Dieses Bemühen, klagt Ladstätter, fehle bei Verkehrsbetrieben in anderen Bundesländern manchmal. So hatte etwa das Verkehrsunternehmen Stern & Hafferl, das in der Region Steyr/Kremstal seit 2014 den Buslinienverkehr überhat, 33 Überlandbusse angeschafft. Allerdings seien fast alle dieser Busse nicht barrierefrei gewesen, sondern nur über Stufen nutzbar. Und das, obwohl in der Ausschreibung des Landes explizit festgehalten wurde, dass das Behindertengleichstellungsgesetz einzuhalten ist.

Diskriminierte müssten klagen

Warum wird das Gesetz so häufig ignoriert? „Das Problem ist, dass jeder, der diskriminiert wird, klagen müsste“, sagt Ladstätter. „Allerdings bekommt man nur einen geringen Schadenersatz, das betreffende Unternehmen wird dadurch auch nicht genötigt, sich an das Gesetz zu halten. Es wird halt gepokert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2015)

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