Wien: Die geteilte Stadt

Neustart ohne viel Neues: Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne).
Neustart ohne viel Neues: Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne).(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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2015 war das Jahr, in dem die SPÖ den Mut der Verzweiflung fand, die ÖVP aufgab und Wien in zwei Hälften zerfiel. Das Ergebnis von so viel Drama? Rot-Grün macht weiter wie zuvor.

Im Nachhinein erscheint alles immer logisch. Warum es genau so kommen musste und nicht anders. Hindsight Bias, Rückschaufehler, nennt man diese Tendenz zur Ex-Post-Besserwisserei. Wir alle frönen ihr oder leiden unter ihr. Im Wahljahr 2015 litten vor allem Meinungsforscher und Journalisten. Zu Recht. Manche Prognose ist einem jetzt noch peinlich.
Allerdings: So glasklar war es eben damals nicht, dass die Wiener SPÖ mit ihrer „Wir sind die Guten“-Strategie in der Flüchtlingsfrage erfolgreich sein würde (wobei sich „erfolgreich“ an den niedrigen Erwartungen bemisst). Tatsächlich war es ungewöhnlich, mit so einer Ansage in den Wahlkampf zu gehen. Und ganz sicher war es ein Risiko. Nicht ohne Grund lautete der rote Plan ja ursprünglich: Bitte pst! Man wollte das Flüchtlingsthema meiden, um nicht der FPÖ in die Hände zu spielen, die gerade von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilte. Aber die Ereignisse – Traiskirchen, die Szenen an der Grenze – warfen diese Taktik über den Haufen, und so machte Michael Häupl aus der Not eine Tugend. Bevor sich noch die Grünen mit Verweis auf Rot-Blau im Burgenland als einziges Bollwerk gegen die FPÖ positionieren konnten, gab der Wiener Bürgermeister die Parole „Helfen ohne Wenn und Aber“ aus. Zeitgleich wurde auf dem Wiener Haupt- und Westbahnhof die große Hilfsbereitschaft vieler Bürger sichtbar. Das passte gut. Auch strategisch.

Definiere „Leihstimme“. So wurde aus einem schlichten Landtagswahlkampf ein Duell „Gut gegen Böse“ mit klarer Rollenverteilung, und es ging auch nicht mehr nur um Wien, sondern um ganz Österreich. Da bei Dramen keiner kleinlich sein will, verdrängte die Flüchtlingsfrage fortan auch alle anderen, der SPÖ oft lästige Themen. Und ja, die Medien halfen dabei mit.
Und so trat ein, worauf die SPÖ spekuliert hatte: Aus Angst vor einem plötzlich realen Bürgermeister Heinz-Christian Strache wählten auch Menschen rot, die sonst den Grünen oder der ÖVP ihre Stimme gegeben hätten. Seither gehört der nicht ganz sauber definierte Begriff „Leihstimmeneffekt“ zum allgemeinen Wortschatz. Dass Strache, selbst wenn er Erster geworden wäre, keine Koalition hätte bilden können, spielte keine Rolle. Strache-Verhindern wurde dennoch zu einem zentralen Wahlmotiv. Laut Wahlforschern stimmte jeder vierte SPÖ-Wähler weniger für die SPÖ als gegen die FPÖ.
Doch danach fragt am Wahlabend keiner, Hauptsache, Platz eins. Ob Häupls Anti-Strache-Rezept allerdings nachhaltig funktioniert, ist offen. Denn genauso wie der „rote Sieg“ nicht ganz der Wahrheit entspricht – die FPÖ hat massiv dazugewonnen, die SPÖ viel verloren – , so hat auch die rote Strategie nur halb funktioniert. Wien war im Oktober 2015 eine geteilte, eine polarisierte Stadt: Grob gesagt, verlief der Graben zwischen den inneren und den äußeren Bezirken. In den Flächenbezirken – SPÖ-Kerngebiet – färbten sich rote Grätzeln blau, etwa im Stadterweiterungsgebiet Aspern. Und Simmering gehört der FPÖ seit Oktober ganz. Sie stellt dort ihren ersten Bezirkschef.
Das bedeutet aber auch: Ohne die innerstädtischen „Bobo“-Wähler, über die sich die SPÖ gern lustig macht, hätte das Wahlergebnis anders ausgesehen. Denn in der klassischen roten Zielgruppe hat der Wahlkampf eher den Eindruck verfestigt, dass die SPÖ immer nur für die anderen da ist. Ob das nun die inneren Bezirke sind, denen man eine neue Mariahilfer Straße bezahlt und in denen man Radfahrerdebatten wälzt. Oder eben nun die Flüchtlinge.
Diese Kernwähler will/muss die SPÖ nun zurückgewinnen. Allerdings darf sie ihre Wahlkampfmoral nicht verleugnen, so sie nicht unglaubwürdig werden will. Keine leichte Übung. Circa 80 Prozent aller in Österreich anerkannten Flüchtlinge werden in Wien landen, schätzt die Sozialstadträtin. Das bedeutet Kosten und Platzbedarf. Und das in einer Stadt, die sowieso unter Wachstumsschmerzen leidet. Die SPÖ will den Spagat zwischen Ideal und Alltag mit „neuer Ehrlichkeit“ schaffen. Soll heißen: Man will Probleme künftig offen ansprechen (bisher tat man das also nicht.) So richtig funktioniert das aber noch nicht. Bei der von der Bundes-ÖVP lancierten Debatte über islamische Wiener Kindergärten machte die rote Stadtregierung keine gute Figur.
Dabei muss die SPÖ künftig öfter mit solchen Manövern rechnen. Die zwischen dem Häupl/Strache-Duell und den Neos aufgeriebene, nur noch einstellige ÖVP plant einen strammen Oppositionskurs. Und weil der neue Chef, Gernot Blümel, vorher Bundes-ÖVP-Generalsekretär war und sich mit Integrationsminister Sebastian Kurz gut versteht, wird der Bund dabei kräftig mithelfen. Insofern kann man vielleicht an der Wiener ÖVP studieren, wie eine Bundes-ÖVP mit Kurz als Chef aussehen würde.

Grüne Stille. Wie man sich Rot-Grün II vorstellen kann, ist einfach: ähnlich wie Teil I. Was Michael Häupl mit dem Satz meinte „Ich werte dieses Wahlergebnis nicht als Auftrag, so weiterzumachen wie bisher“, ist bis dato ein Rätsel. Die Regierungsmannschaft ist fast identisch, der Koalitionspakt liest sich wie eine Fortsetzung des vorangegangen. Die einzige große Innovation ist die Zusammenlegung der Ressorts Integration und Bildung. Sie ist allerdings eher Zufall, und das erste große Bildungsprojekt ist auch schon gescheitert: Aus einer wienweiten Modellregion zur Gesamtschule wird nichts. Tatsächlich heißt das wichtigste Projekt von Rot-Grün II wohl schlicht: Finanzausgleich.
Auch sonst verlief der Start holprig. Die neue Koalition beginnt, wie die alte geendet hat: Dem (nun beigelegten) Streit über ein neues Wahlrecht folgt der Streit über den Lobautunnel. Auch sonst drücken Gerüchte über Nebenabsprachen (Stichwort: Frankenkredite) die Stimmung bei der Basis. Die internen Abstimmungsergebnisse waren bescheiden. Bei den Grünen wurde ein Chefverhandler, der Landessprecher, weggeputscht. Der neue, Joachim Kovacs, will die Partei „weniger abgehoben“ positionieren, mehr „echtes Leben“ quasi. Zu der Debatte über islamische Kindergärten sagte man trotzdem wenig. Überhaupt ist es um die Grünen, einst im Zentrum der Aufmerksamkeit, still geworden. Warum? Man weiß es nicht so genau. Aber spätestens 2016 wird das alles ganz logisch sein.

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