Fall Kampusch: Adamovich zweifelt weiter an Einzeltätertheorie

Ludwig Adamovich
Ludwig Adamovich (c) Presse (Clemens Fabry)
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Der ehmalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs und Leiter der Untersuchungs-Kommission bestätigt einen Exklusivbericht der "Presse" und wirft der Wiener Staatsanwaltschaft Untätigkeit vor.

WIEN (awe). Hat Wolfgang Priklopil Natascha Kampusch alleine entführt und ohne Komplizen oder Mitwisser jahrelang in einem Keller festgehalten? Ludwig Adamovich, Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofs und Leiter jener Evaluierungskommission, die etwaige Fehler der mit dem Fall betrauten Behörden aufdecken soll, hält die Wahrscheinlichkeit dafür für „sehr, sehr gering".
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „profil" bestätigte Adamovich damit einen Bericht der „Presse" vom 6. Mai 2009.

Schon damals hatten Kommissionsinsider festgestellt, dass es „ganz sicher" Mitwisser gegeben haben muss. Staatsanwaltschaft und Polizei hingegen hatten den Jahrhundertfall in der Öffentlichkeit stets als die Tat eines Einzeltäters abgetan.

Im Gespräch mit der „Presse" kritisierte Adamovich gestern vor allem das Verhalten der zuständigen Wiener Staatsanwaltschaft, der der Kommissionsleiter Untätigkeit vorwirft. „Dort hat man ja nicht nur die kritischen Berichte von uns, sondern auch jene des Bundeskriminalamts ignoriert."

Adamovich spielt damit auf die Kritik von Herwig Haidinger, dem früheren Leiter des Bundeskriminalamts (BK), an, der eigenen Angaben zufolge Ermittlungsfehlern nachgehen wollte, dabei aber von der Staatsanwaltschaft behindert und der Politik, genauer gesagt vom Kabinett der inzwischen verstorbenen VP-Innenministerin Liese Prokop, zurückgepfiffen wurde. Adamovich: „Man mag von Haidinger halten, was man will. Tatsache jedoch ist, dass man ihm die Einsicht in Einvernahmeniederschriften verweigert hat. Und er war immerhin Leiter des Bundeskriminalamts."

Obwohl die Aufregung um Adamovich' Äußerungen nun groß ist: Die zugrunde liegenden Fakten sind nicht neu. Im Juni 2008 hatte die U-Kommission ihren 58-seitigen Evaluierungsbericht zum Fall veröffentlicht. Schon in diesem Papier stand, dass die Ermittler auf Basis ihrer eigenen Erkenntnisse von einem oder zwei weiteren Tätern hätten ausgehen müssen. Die Kritik hatte sich damals auf objektivierbare Fehler der Polizei konzentriert, die Priklopil bereits wenige Wochen nach Kampuschs Entführung im März 1998 einen Besuch abgestattet hatte und, obwohl er ins Täterprofil passte und kein glaubhaftes Alibi vorweisen konnte, nicht weiter behelligte.

Staatsanwaltschaft verweigert Ermittlern Einsicht in Vernehmungs-Protokoll

Als eine der Folgen des Evaluierungsberichts wird seit Herbst 2008 der Fall im Bundeskriminalamt noch einmal neu aufgerollt. In einem Detail sind die Ermittlungen jedoch wieder am Endpunkt angelangt: Die Staatsanwaltschaft weigert sich beharrlich, den Ermittlern Einsicht in das Protokoll jener Einvernahme Kampuschs zu gewähren, die unmittelbar nach ihrer Flucht in der Polizeiinspektion in Deutsch-Wagram stattgefunden hat. Die Begründung der Anklagebehörde lautet: Man habe Angst davor, dass private Details von der Polizei an die Boulevardpresse weitergegeben werden könnten.

Auch das war von der Adamovich-Kommission im Juni 2008 mit dem Hinweis darauf kritisiert worden, dass der „Opferschutz (. . .) nicht nur die Interessensphäre des tatbetroffenen Opfers berührt, sondern auch das öffentliche Interesse daran, das Risiko weiterer potenzieller Opfer zu minimieren".

„Offenbar hat niemand diesen Bericht wirklich gelesen", zeigt sich Adamovich heute über die Aufregung verwundert. Tatsache sei, dass man damals „nicht aus Faulheit, sondern aus anderen Gründen" den Bleistift habe fallen lassen. Welche Gründe das waren? Adamovich: „Die Verantwortlichen hatten Angst davor, dass die Fehler öffentlich werden könnten."
Das ist inzwischen geschehen. Demnächst soll der Grazer Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher Einsicht in den Kampusch-Akt nehmen.

(("Presse am Sonntag", 12. 7. 2009))

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