Fall "Leonie": Haftstrafen nach "Strafdusche"

Fotoscheu zeigten sich die angeklagten Eltern am Freitag im Straflandesgericht Wien: Vater S. (28) und seine damalige Lebensgefährtin (27).
Fotoscheu zeigten sich die angeklagten Eltern am Freitag im Straflandesgericht Wien: Vater S. (28) und seine damalige Lebensgefährtin (27).APA/Georg Hochmuth
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Wegen Kindesmisshandlung mit Todesfolge wurde der Familienvater verurteilt, der seine zweijährige Tochter mit heißem Wasser verbrannt hatte. Das Kind starb. Nun bekam der Vater viereinhalb Jahre Haft. Die Mutter bekam ein Jahr teilbedingte Haft.

Mord? Nein, dieses Verbrechen wurde den Eltern am Freitag im Straflandesgericht Wien nicht zur Last gelegt. Vielmehr mussten sie Kindesmisshandlung verantworten. Der Vater, Wiener, 28 Jahre alt, unbescholten, in einem Call Center beschäftigt, hatte am 25. Oktober 2014 seine Tochter - das Kind war damals zwei Jahre und zehn Monate alt - unter die Dusche gestellt und mit heißem Wasser schwer verbrannt. Zwei Wochen später starb  die kleine Leonie im Wiener SMZ Ost. Die Todesfolge wurde nun dem Vater angelastet.

Der Mutter wurde nun ebenfalls Kindesmisshandlung zur Last gelegt - wenngleich ihr die Todesfolge nicht vorgeworfen wurde. Aber die Anklage prangerte an, dass die Eltern es unterließen, sofort für fachgerechte ärztliche Behandlung zu sorgen.

Leonie hatte die Verletzungen am frühen Abend des Tattages davon getragen. Erst am späten Abend des nächsten Tages fuhr der Vater mit ihr ins Krankenhaus. Davor hatte er die Brandverletzungen am Rücken des Kindes mit einem Wundspray selbst behandelt. Den Spray hatte er in einer Apotheke besorgt.

Neue Verteidigungslinie

Für Erstaunen sorgte der von Verteidiger Roland Friis vertretene Angeklagte, als er erklärte, das Abduschen sei gar nicht als Bestrafung bzw. Disziplinierung des Kindes gedacht gewesen. Er habe das Kind an diesem Tag auf Bitten der Mutter ganz einfach waschen - also abduschen - wollen. Diese Linie war neu.

Richterin Elisabeth Reich hielt dem Vater vor, dass er im Ermittlungsverfahren noch von "Maßregeln" gesprochen habe. Und dass er sogar ausdrücklich erklärt habe, das Abduschen (vor Gericht verwendeten die Eltern den Begriff "Abspritzen") sei erfolgt, "damit sie nach einem hysterischen Anfall zur Besinnung kommt". 

Auf diesen Widerspruch angesprochen sagte nun S. zum Erstaunen der Zuhörer: "Ich weiß nicht, wie ich auf diese Geschichte gekommen bin."

Richterin: "Das ist menschenunwürdig"

Letztlich glaubte die Richterin die neue Version aber nicht. In ihrer Urteilsbegründung ging sie sehr wohl davon aus, dass es sich um eine "Strafdusche" gehandelt habe. "Die Todesfolge ist Ihnen zuzurechnen", sagte die Prozessleiterin dem Vater. Das - noch nicht rechtskräftige - Urteil für S.: viereinhalb Jahre Haft.

Viereinhalb Jahre seien bei einer Strafdrohung
von einem bis zu zehn Jahren angemessen, betonte Reich: "Es ist wichtig, dass hier ein Zeichen gesetzt wird. So etwas ist intolerabel. Es darf niemand denken, dass das eine geeignete Erziehungsmaßnahme ist. Das ist menschenunwürdig."

Vor der Urteilsverkündung hatte S. noch erklärt, er habe das Wasser auch nur "weniger als eine Sekunde aufgedreht" und dann sofort wieder abgedreht haben. Bei der Polizei hatte er von "zwei bis drei Sekunden" gesprochen.

"Leonie war ein Sonnenschein"

Er gab allerdings zu, dass er das Kind - Leonie sei ein "Sonnenschein" gewesen - schon früher einige Male, "wenn wir sie nicht beruhigen konnten", in der Badewanne mit kaltem Wasser "abgespritzt" habe. Jedoch sei mit seiner Frau ausgemacht gewesen, diese Praktik nicht mehr anzuwenden.

Warum das Wasser am Tattag gleich von Anfang an heiß aus der Leitung kam, wie S. angab, konnte sich der Mann nur dadurch erklären, dass er selber zuvor heiß geduscht habe und dass möglicherweise noch Restwasser in der Leitung gewesen sei.

Die Mutter - sie und der angeklagte Vater haben noch ein Kleinkind gemeinsam, einen weiteres Kind hatte die Frau in die Beziehung mitgebracht - meinte vor Gericht: "Ich habe einen Schrei gehört." Daraufhin sei sie ins Bad geeilt, wo sie das verbrühte Mädchen gesehen habe. Ihr damaliger Lebensgefährte habe gesagt: "Ich habe Scheiße gebaut." 

Letztlich wurde auch die 27-Jährige wegen Kindesmisshandlung, begangen durch Unterlassen, verurteilt. Sie bekam ein Jahr Haft. Zwei Drittel der Strafe wurden aber bedingt nachgesehen. Auch diese Strafe ist noch nicht rechtskräftig.

Angst vor dem Jugendamt?

Über ihre verstorbene Tochter hatte die Mutter (ebenfalls von Verteidiger Friis vertreten) noch zu Prozessbegin erklärt: "Sie war ein aufgewecktes Kind, ein Wirbelwind sozusagen."

Mehrmals hatte die Richterin die Eltern - diese bekannten sich beide im Sinne der Anklage "nicht schuldig" - gefragt, ob sie nicht deshalb erst mit großer Verspätung ins Krankenhaus gefahren seien, weil sie fürchteten, das Jugendamt würde ihnen die drei Kinder abnehmen. Die Mutter bestritt dies.

Der Vater gestand zu, dass das Jugendamt schon einmal Nachschau gehalten habe, damals zwar keine Missstände gefunden habe, aber trotzdem: "Ich glaube schon, dass ich gleich ins Krankenhaus gefahren wäre, wenn das mit dem Jugendamt nicht passiert wäre."

Dramatische Ausführungen zur Todesursache

Zur Todesursache des Kindes erklärte Gerichtsmediziner Wolfgang Denk in seinem Gutachten: "Zusammenfassend waren bei Leonie somit großflächige, zweit-, dritt- und viertgradige Verbrühungen des Rückens, die auch mit einer Hitzeschädigung der Rückenmuskulatur einhergegangen sind und eine Ausdehnung von rund 15 Prozent der Körperoberfläche umfasst haben, festzustellen."

Dramatisch lesen sich die Angaben zur unmittelbaren Todesursache - diese erklärt sich nämlich auch durch die Verabreichung von Medikamenten, die jedoch sehr wohl indiziert gewesen seien: "Im konkreten Fall ist es somit nicht auszuschließen, dass bei Zusammenwirken der, durch die großflächigen Verbrühungen ausgelösten Kreislaufschwäche und Folgen der verbrühungsbedingten Organschäden auch die Nebenwirkung des, an sich indizierten und nicht überdosierten, schmerzstillenden und entzündungshemmenden Medikaments Paracetamol zu einer fulminanten und letztlich auch irreversiblen Lebergewebsschädigung wesentlich beigetragen hat."

Und: "In Folge konnte die Leberfunktionsstörung trotz Absetzen potentiell leberschädigender Medikamente und intensivmedizinischer Behandlung nicht mehr beherrscht werden." Zur Leberfunktionsstörung sei eine Nierenfunktionsstörung dazugekommen. All dies habe zum Tod des Kindes geführt, dieser trat am 10. November 2014 ein.

Kausalität trotzdem gegeben

Dazu meinte die Staatsanwältin: Auch wenn der Tod möglicherweise unmittelbar auf die starke Medikation zurückzuführen sei, so bestehe dennoch ein Kausalzusammenhang zwischen den "Verfehlungen des Zweitangeklagten" und dem Tod des Kindes. Dem schloss sich das Gericht an.

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