NÖ: Wo die Jugend am Weltfrieden arbeitet

(c) AP (Lefteris Pitarakis)
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Jugendliche aus Wien, Budapest, Haifa und Nazareth sprachen im „Peacecamp“ über Konflikte. Dabei mochten sie einander fast schon zu sehr.

Reibers im Waldviertel ist ein Ort, den sich kein Jugendlicher als Urlaubsziel aussuchen würde. Es gibt eine Kirche und ein Gasthaus, Blumenbeete vor den Häusern. Autos fahren nur selten vorbei. Eine Katze trottet in der Mitte der Straße daher, am Jugendgästehaus vorbei. Ein zweistöckiges Gebäude, das viel zu groß scheint für den Ort. Dahinter liegen Wiesen, Felder, Wald und die tschechische Grenze.

Für Evelyn Böhmer-Laufer jedoch ist Reibers perfekt. Im Wald zum Beispiel können ihre Gäste bei Outdoor-Aufgaben Berührungsängste abbauen, die Grenze nutzt sie als unsichtbares Anschauungsmaterial dafür, „dass keine Mauer für immer sein muss“. Und den Ort selbst, der sei wie ein Therapiezentrum. „Es gibt keine Ablenkung, man kann sich auf das konzentrieren, wofür man da ist.“

Da sind 32 Jugendliche; Österreicher, Ungarn und Israelis, jüdische und arabische, die im Hof hinter der Herberge im Kreis hocken und merkwürdige Bewegungen mit Faust und flacher Hand vollführen. „Body Drums“, erklärt Gregor aus Wien. „Stammt von einer israelischen A-cappella-Gruppe.“

Es sind ganz normale, vielleicht überdurchschnittlich interessierte Jugendliche, die keine Therapie brauchen, aber einen Ort, an dem sie über das reden können, was sie beschäftigt. Die Welt, in der sie leben – und eine Zukunft, die anders aussehen soll. Und weil Evelyn Böhmer-Laufer Jüdin ist und Psychotherapeutin, und weil auch sie an eine andere Zukunft glaubt, hat sie die Jugendlichen hierher eingeladen. Und mit ihnen haben in Reibers der Holocaust und der Nahost-Konflikt sowie Roma-Hetze und Ausländerfeindlichkeit Einzug gehalten.

Diskutieren für eine bessere Welt

Böhmer-Laufer sitzt im Gasthaus „Boden“ und erzählt, wie sie als Tochter von Holocaust-Überlebenden als jüdisches Kind in Wien aufwuchs. Wie sie in den Menschen in der Straßenbahn die „Mörder meiner Familie“ zu erkennen glaubte. Wie sie nach Israel floh, nur um dort festzustellen, dass es auch im Gelobten Land Konflikte gab, denen sie nicht entkommen konnte.

Anstoß für ihr EU-gefördertes „Peacecamp“ gab schließlich die zweite Intifada, als Freunde in Israel ihre Kinder nicht in die Schule schickten, ohne sich deren Kleidung eingeprägt zu haben – für den Fall, dass sie sie später identifizieren müssen. „Ich wollte nicht einfach nur den Kopf schütteln“, erklärt sie, „sondern einen Beitrag leisten, damit Jugendliche eine bessere Welt gestalten können.“

Diese Werkzeuge sind im Grunde auch die Mittel ihres Berufs: reden und erzählen. Denn es gebe keine Geschichte, nur Geschichten. Am Ende, das ist das Ziel, sollte sich die Problemstellung verlagert haben: Nicht: „Du bist mein Problem“, sondern: „Wir haben ein Problem.“

Am Donnerstag, es ist Tag sieben des Peacecamps, hat das bereits gut funktioniert. Tags zuvor hatte es zwar einen kleinen Eklat gegeben. Da hatten die arabischen Jugendlichen ihre Version der Geschichte präsentiert, samt einer umfassenden Liste jüdisch-israelischer „Acts of Aggression“, die die jüdische Gruppe auf die Palme gebracht hatte. Deren vorsichtige, diplomatische „Gegendarstellung“ am nächsten Tag hat die Wogen aber wieder geglättet.

„Ihr wollt, dass wir streiten“

Nun sollen in einer Großgruppe die Konflikte noch einmal angesprochen werden, doch die Jugendlichen spielen nicht mit. „Ich habe den Eindruck, ihr wollt, dass wir streiten“, meint jemand. Die Stimmung schwankt zwischen Schweigen und plötzlichem, überdrehtem Gelächter. Rajmi, ein dunkel gelockter Ungar, hat einen Erklärungsansatz: „Ich glaube, wir haben Angst zu diskutieren, weil wir uns mögen.“

Silvio Gutkowski, Psychiater und Moderator, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Zu Hause in Jerusalem arbeitet er in einer psychologischen Notfallambulanz, normalerweise versucht er, gutzumachen, was der Terror angerichtet hat. „Ich weiß, dass ihr aus Familien kommt, in denen ihr gelernt habt, was man sagt und was nicht“, meint er. „Aber ihr seid hier, um etwas zu lernen. Ihr könnt offen reden.“

Nudeln statt Schnitzel

Shri, eine Jüdin aus einem Kibbuz, die zu Mittag das Wiener Schnitzel links liegen gelassen und ihre mitgebrachten, koscheren Instant-Nudeln ausgepackt hat, weigert sich dennoch standhaft: „Ich mag die arabischen Jugendlichen inzwischen gern, alle von ihnen. Und wenn ich mit ihnen zusammen bin, denke ich lieber nicht daran, dass wir eigentlich im Krieg sind.“

Auch die Ungarn wollen heute nicht über die Roma reden. Die Sache mit den „Gypsies“, den Zigeunern, sei doch klar. „Wir haben nichts gegen sie“, sagt Rajmi. Wohl aber etwas gegen Kriminelle. Und die meisten Kriminellen in Ungarn seien nun einmal Zigeuner, erklärt er später. „Das sagt die Statistik, das ist eine Tatsache.“ „Mir wollten zwei Zwölfjährige einmal mein Handy stehlen“, ergänzt Bence. Und arbeiten würden sie auch nicht wollen, meinen beide. Ob sie denn Roma kennen? Sicher, und allein seien sie auch nett. Aber in der Gruppe doch ziemlich unhöflich, finden die zwei, bevor sie zum Abendessen stürmen. Vielleicht sollten auch einmal ein paar „Zigeuner“ nach Reibers eingeladen werden. Und ihre Geschichte erzählen.

Auf einen Blick

Das Peacecamp 2009 fand vom 3. bis 13. Juli in Reibers im niederösterreichischen Waldviertel statt. Unter psychoanalytischer Begleitung trafen sich Jugendliche aus Österreich, Ungarn und Israel, um über die Konflikte in ihren Heimatländern zu diskutieren. Hintergrund des Projekts ist kein therapeutischer Gedanke, sondern das aktive Mitgestalten einer friedlichen Zukunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2009)

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