Praterstern: Der notorische Problembahnhof

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Aufwendig modernisiert, dennoch eine absolute Problemzone: Der Praterstern ist Treffpunkt für Dealer, Drogenkranke, Alkoholiker, Gewalttäter, Kleinkriminelle und Obdachlose. Nicht einmal Optimisten meinen, dass sich das rasch ändert.

Großer Bahnhof für die hohen Gäste – und das buchstäblich: Es war der 4. April 2008. Alles war herausgeputzt, alles glänzte. Vorhang auf für die Zeremonie. Rechtzeitig vor der Fußball-Europameisterschaft knüpfte Werner Faymann, damals Verkehrsminister, stolz lächelnd eine überdimensionale rote Masche auf. Symbol dafür, dass die hohe Politik der Wienerstadt ein Präsent machte. Sie schenkte „den Menschen“ einen rundum erneuerten Bahnhof. Den neuen Bahnhof Praterstern. Hundert Millionen Euro waren investiert worden. „Ich bin froh und glücklich, dass dieses Bahnhofsprojekt abgeschlossen wurde“, sagte der zweite Redner, Bürgermeister Michael Häupl.

Acht Jahre später ist der Praterstern wieder das, was er schon vor Beginn der Umbauten war: eine absolute Problemzone. Die Phrase „sozialer Brennpunkt“ wirkt wie ein Euphemismus angesichts der Szenen, die sich hier stündlich abspielen. „Wappler, gib das Handy weg“, befiehlt ein junger, sichtbar nervöser Polizist auf dem Vorplatz des Bahnhofs einem offensichtlich aus Nordafrika stammenden Mann. Zu einer Ausweiskontrolle kommt es gar nicht, denn der Beamte und seine Kollegen wollen die brenzlige Situation einfach nur rasch auflösen. Zwei offensichtlich betrunkene Einheimische sind kurz zuvor am Stand einer türkischen Imbisskette lautstark mit dem Mann und seinen Begleitern aneinandergeraten. „Wir brauchen hier keine Dealer“, lallt einer von ihnen, droht dabei den Nordafrikanern mit der Faust. Als sich diese formieren, kann man die Aggressionen, die kurz davor sind, sich zu entladen, einen kleinen Moment spüren. Da holt ein Passant die Polizisten zu Hilfe, die wenige Meter weiter in Gespräche verwickelt sind. Die Beamten kommen sofort, die Nordafrikaner drehen sich um, greifen zu ihren Handys und tun so, als würden sie telefonieren. Die Einsatzkräfte erteilen Platzverbote. „Heute nix mehr Praterstern.“

Die Arbeit, die die Frauen und Männer in Uniform hier machen, hat mit dem klinisch reinen Berufsbild, über das die hohen Offiziere und Politiker im Innenministerium bei Pressekonferenzen gern sprechen, nichts zu tun. Das hier ist echte Drecksarbeit. Die Einsatzkräfte werden beschimpft, manchmal gestoßen, wissen nie, mit wem sie es zu tun haben oder ob ein Gegenangriff droht. Mit freundlichen Worten ist bei der „Kundschaft“ am Praterstern wenig zu erreichen. Dafür besteht die latente Gefahr, dass das manchmal derbe Vorgehen als kritischer Bericht in den Medien landet.

Das glänzende Bahnhofsprojekt, das der Praterstern werden sollte, ist gescheitert. Er wurde zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Probleme wie Alkohol- und Drogensucht, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit. Zum Tummelplatz für Randgruppen, die sich dem Strom von täglich 110.000 Menschen, die den Verkehrsknotenpunkt nutzen, in den Weg stellen.


Vergewaltigung gezielt geplant. Als vorige Woche drei jugendliche Asylwerber aus Afghanistan eine 21-jährige Studentin in der Toilette überfielen, sie misshandelten und vergewaltigten, wirkte dies wie eine Explosion. Ein an sich schon scheußliches Verbrechen – begangen von jenen, von denen man annahm, sie würden in Österreich Schutz vor Verfolgung suchen. Begangen von zwei 16-Jährigen und einem 17-Jährigen, die sich für die Tat eigens verabredet hatten. Polizeipräsident Gerhard Pürstl sagte, das Verbrechen (freilich liegt derzeit noch keine Anklage, geschweige denn ein Urteil vor) sei „ganz klar geplant“ worden. Die Jugendlichen reisten von ihren Unterkünften in Wien, Nieder- und Oberösterreich gezielt an den Tatort.

Die Menschen, die rund um den Praterstern wohnen, stellen seitdem unangenehme Fragen: „Wo waren sie alle, die Hundertschaften der Polizei, die Sozialarbeiter der Stadt, die Security-Leute der ÖBB, die Angestellten der Wiener Linien vor den Überwachungs-Monitoren, die couragierten Passanten?“, ist zu hören. Polizeipräsident Gerhard Pürstl sagt inzwischen offen: „Gegen das gezielte Handeln bestimmter Täter ist oft kein Kraut gewachsen.“ Nun soll der Praterstern mit einem Spezialfahrzeug vollständig videoüberwacht werden. In der kritischsten Tageszeit (19 Uhr bis ein Uhr früh) wird die Polizeipräsenz massiv erhöht.

Im Jahr 2014 noch, so steht es in einer Information des Innenministeriums an das Parlament, gab es am Praterstern 4007 Polizeieinsätze, in 106 Fällen mit Unterstützung der schnellen Eingreiftruppe WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) für besonders gefährliche Amtshandlungen. 2015 waren es dann 6265 Einsätze. Die WEGA rückte 141 Mal aus. Ein Zuwachs von jeweils etwa 50 Prozent.

Speziell die nordafrikanischen Dealer sind das Problem, die aufgrund ihrer Zahl inzwischen massiv miteinander konkurrieren, im Kampf um Kunden auch zu Gewalt greifen. Ihren Ausgang nahm die Entwicklung vor Monaten an Stationen der U-Bahn-Linie U6, als der offene Drogenhandel voll anlief. Die Polizei jammerte über mangelnde rechtliche Handhabe. Denn mit Jahresbeginn wurde das Suchtmittelgesetz entschärft und die (für alle Delikte pauschal geltende) Gewerbsmäßigkeit erheblich liberalisiert.


Rechtslücke ging plötzlich auf. Eigentlich wollte die Politik damit erreichen, dass Haftrichter nicht mehr unzählige Ladendiebe in U-Haft nehmen müssen. Also Kleinkriminelle, die zwar Straftaten begehen, deren Einfluss auf die öffentliche Sicherheit (verglichen mit Gewalttätern) aber eher gering ist. Dabei vergaßen die Spitzenjuristen in den Ministerien auf die Drogendealer. Plötzlich lag die Latte für die Verhängung einer U-Haft enorm hoch. Die Polizei muss nun einen Täter bei drei Taten erwischen. Oder sie muss beweisen, dass ein Täter zwei weitere Taten bereits geplant hat. Welche Polizei soll das schaffen? Diese Frage stellten sich auch Dealer und begannen, ungeniert ihre Drogen offen, auch tagsüber, auf belebten Plätzen, anzubieten.

Zwar ist Anlassgesetzgebung kein Ruhmesblatt, aber der mit 1. Juni gültige Paragraf („Drogenhandel im öffentlichen Raum“), von dem sich die Drogenfahnder einiges erhoffen, ist genau das: die eilige Schaffung eines Instruments, um Dealer zumindest für einige Wochen oder Monate wieder aus dem Verkehr ziehen zu können.

Indes entwickelt sich am Praterstern ein zusätzliches Problem. Im angrenzenden Park, der Venediger Au, hielten sich zuletzt vermehrt junge Asylwerber aus Afghanistan auf. Männer ohne Perspektive, die nach Angaben von Sozialarbeitern kurz davor sind, in die Kriminalität abzugleiten oder politisch radikalisiert zu werden. Denn auf der anderen Straßenseite befindet sich die radikal-islamistische Altun-Alem-Moschee, in der laut Verfassungsschutz bereits mehrere Dutzend junge Kämpfer für Syrien angeworben wurden. In Staatsschutzkreisen hörte man zuletzt als Begründung für den Erfolg der Menschenfänger immer wieder: „Sie geben den Benachteiligten Hoffnung. Salafisten sind einfach die besseren Sozialarbeiter.“

Praterstern

1865. Der Nordbahnhof, der wichtigste Bahnhof des Habsburgerreichs, wird eröffnet.

1959. Auf dessen Areal entsteht der Bahnhof Wien Praterstern. Er übernimmt die Aufgaben des Nordbahnhofs.

2004. Der heruntergekommene Bahnhof wird saniert und 2007 eröffnet. Heute ist der Verkehrsknotenpunkt aber wieder eine soziale Problemzone.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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