Warum Martina R. ihre ganze Familie, davon drei Kinder, erschossen haben soll, ist nach wie vor unklar. Ihre Mutter soll vor dem Familiendrama eine Krebsdiagnose erhalten haben.
Böheimkirchen. Der 5000-Seelen-Ort Böheimkirchen war am Freitag noch stiller als sonst. Man sah nur wenige Bürger auf der Straße, niemand sprach laut. Vor einem großen weißen Haus, das mit einem Absperrband abgeriegelt war, brannten mehrere Kerzen.
Hinter diesen Mauern des ehemaligen Gasthauses Haiderer soll die 35-jährige arbeitslose Martina R. ihre ganze Familie, darunter drei Kinder, und sich selbst getötet haben. Das sind die ersten Erkenntnisse, nachdem die Polizei am Donnerstag sechs Leichen in einem ehemaligen Gasthaus in Böheimkirchen, Bezirk St. Pölten, gefunden hat. Warum die Frau ihren Bruder Peter (40), ihre Mutter Mathilde (59) und ihre drei Kinder, zwei Buben (9 und 10) und ein Mädchen (7) sowie ihren Hund erschossen haben soll, ist nach wie vor völlig unklar.
Die Staatsanwaltschaft tappt nach wie vor im Dunklen: „Wir arbeiten auf Hochtouren“, sagte die St. Pöltner Staatsanwältin Michaela Schnell zur „Presse.“ Auch die Bewohner des Ortes sind bei der Suche nach dem Tatmotiv wenig hilfreich – denn sie können kaum etwas zu der Familie erzählen. Das verwundert insofern, da in Orten wie Böheimkirchen, der 5000 Einwohner zählt, normalerweise eigentlich jeder jeden kennt.
Man habe die Frau nur selten auf der Straße gesehen, sagen die Nachbarn. Auch die Kinder seien kaum zum Spielen herausgekommen. Die Familie habe sehr zurückgezogen gelebt und sich nicht wirklich in den Ort integriert. Familie R. war erst im April 2015 von Kirchstetten hierhergezogen. Das Geschwisterpaar Martina und Peter hatte das große ehemalige Gasthaus zusammen gekauft – Mutter Mathilde, die beim Baumarkt arbeitete, hatte Wohnrecht auf Lebenszeit.
Krebs-Diagnose der Mutter
Laut ORF soll die Mutter der mutmaßlichen Täterin vor knapp zwei Wochen eine Krebsdiagnose erhalten haben. Martina R. hat ihre Kinder wenige Tage vor der Tat von der Schule entschuldigt, mit der Begründung, die Oma sei gestorben.
Die Volksschuldirektorin, Silvia Riedler, beschrieb die Kinder bei einer Pressekonferenz am Freitag als „gut integriert“. Die beiden Buben besuchten die dritte und vierte Klasse, das Mädchen die erste Klasse. Auch der Kontakt zwischen Lehrern und der Mutter sei bisher ganz gut gewesen. Mit dieser habe die Schule zuletzt vor ein paar Tagen geredet, als Martina R. ihre Kinder entschuldigt hatte. „Wir haben uns nichts dabei gedacht“, so Riedler. Vor der Volksschule wehte am Freitag die schwarze Fahne. „Wir sind zutiefst betroffen, viele Schüler haben geweint“, erzählt die Direktorin. Die Mitschüler werden nun psychologisch betreut – ihnen wurden Einzel- und Gruppengespräche angeboten.
Was man aber aus der Entschuldigung der Kinder ableiten kann, ist, dass die Tat geplant war. Wann die Frau ihre Familie aber ermordet haben soll, das ist nun Gegenstand der Obduktion, die von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde. Die Ergebnisse werden erst in einigen Tagen vorliegen.
Obwohl alle Leichen laut Ermittlern mehrere Schusswunden aufweisen, geben Nachbarn an, keine Schüsse gehört zu haben. Das könnte auch an der Waffe liegen – eine Walther PPK 765, die auf Mathilde R. zugelassen war. Die Schüsse der kleinkalibrigen Pistole sind eher leise. Die Polizei fand die Leichen am Donnerstag, nachdem der Arbeitgeber von Peter R. sich Sorgen machte. Der zuverlässige Mitarbeiter war bereits mehrere Tage nicht zur Arbeit erschienen – unentschuldigt zu fehlen, das war sonst nicht seine Art. Die Beamten verschafften sich über eine Leiter Zutritt in den ersten Stock, da alle Zugänge von innen versperrt waren. Noch am Freitag arbeitete die Spurensicherung des Landeskriminalamtes in dem Haus, das am Donnerstag noch von vielen Schaulustigen, Journalisten und Fernsehteams umringt war. Diese zogen am Freitag langsam aus dem Ort ab, der die Tragödie nun verarbeiten muss. „Wir trauern um die Familie und die Kinder“, sagte SPÖ-Bürgermeister und Nationalratsabgeordneter Johann Hell am Freitag bei einer Pressekonferenz, der sich tief betroffen zeigte. Auch er kannte die Familie nicht persönlich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)