„Da haben wir genau dasselbe Problem“

Per Ängquist
Per Ängquist(c) Stanislav Jenis
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Wie bewältigt Schweden die Probleme in der Stadtentwicklung? Per Ängquist, Staatssekretär im Umweltministerium, spricht über Energieeffizienz, Wohnungen für Migranten und Paralleldebatten über das Parken.

Die Presse: Wenn es um Stadtentwicklung, etwa umweltfreundlichen Verkehr, geht, orientieren wir uns in Wien gern an Skandinavien. Sie sind nur kurz in der Stadt, aber, dem schnellen Eindruck nach, was ist Ihnen hier aufgefallen?

Per Ängquist: (Denkt lang nach, lacht). Jetzt bin ich nervös, dass ich etwas Falsches sage... Und innerhalb der nordischen Länder ist da Kopenhagen noch viel weiter. Mehr als 50 Prozent fahren dort mit dem Fahrrad zur Arbeit, daran orientieren auch wir uns. Gemeinsam haben Österreich und Schweden sicher die Herausforderungen in der Stadtentwicklung. Gerade bei Verkehr und Energieeffizienz haben wir in Städten die größte Chance, etwas zu ändern, etwa ökologischere Verkehrsmittel besser zu nutzen.

Wo setzen Sie beim Thema Verkehr an?

Wir haben staatliche Fördermittel, die sich etwa auf nachhaltigeren Verkehr von Vororten und Umland in die Städte fokussieren. Damit diese Fördermittel ausgeschüttet werden, müssen die Kommunen aktiv werden, und den Umstieg fördern: etwa Busse und Pendlerparkplätze finanzieren, damit der Autoverkehr in den Städten weniger wird.

Dafür haben Sie in Stockholm auch eine City-Maut, die Staugebühr.

Wir haben diese Staugebühr vor zwölf Jahren in Stockholm eingeführt, damals waren wir die erste Stadt der Welt, in der die Bevölkerung dem in einem Referendum zugestimmt hat. Wie das gelungen ist? Es gab eine kritische Debatte, nach einem mehrmonatigen Pilotprojekt waren die Staus wesentlich weniger, beim Referendum war dann die Mehrheit dafür. Mittlerweile sind auch damalige politischen Gegner großteils dafür und auch Göteborg hat eine Staugebühr eingeführt.

Die Mautidee taucht auch in Wien immer wieder auf. Aber Änderungen im Verkehrsbereich, vor allem beim Autofahren, werden heftig debattiert und oft als Eingriff in persönliche Freiheiten abgelehnt.

Dasselbe erleben wir in Schweden. Wir begegnen dem mit dem Argument der Effizienz und des Nutzens. Wenn die Leute merken, dass es für sie persönlich nützlich ist, stimmen sie einer Veränderung zu. Wir haben zum Beispiel in Stockholm die Debatte über das Parken. In der Innenstadt zahlt man Gebühren, in äußeren Gegenden bisher nicht.

. . .dasselbe Thema haben wir in Wien.

(Lacht). Was für eine intensive Debatte das bei uns war! Aber in Stockholm hat der Stadtrat mit einer Mehrheit dafür gestimmt. Ein Referendum gab es nicht, die Parkgebühr wird dann im neuen Jahr eingeführt.

Anderes Thema, das Stadtplaner in Wien und Stockholm beschäftigt: Städte erleben enormen Zuzug, auch durch die Migranten, die 2015 gekommen sind.

Schweden hat allein voriges Jahr 163.000 Asylwerber aufgenommen. Wie für Österreich ist das für uns eine enorme Challenge. Schweden hat die Kapazität neuer Wohnungen, die jährlich gebaut werden, von 50.000 auf 70.000 erhöht – das ist gut, aber nicht genug. Wir versuchen, diese Rate, auch durch die öffentliche Wohnungswirtschaft, zu steigern. Das ist der eine Ansatz, der andere ist, diese Menschen besser auf das Land zu verteilen, zumindest während des Asylverfahrens. Und, wir erwarten, dass nicht alle Asylwerber anerkannt und bleiben werden.

Der Bedarf nach Wohnungen, der Druck, diesen Raum schnell zu schaffen – muss man auf der ökologischen Seite Abstriche machen, um die Leute unterzubringen?

Das sind wie Seiten einer Münze, es ist extrem wichtig, alle Aspekte, sozial, wirtschaftlich und ökologisch, zu bedenken, wenn es um Stadtentwicklung geht: Ist es sozial nicht nachhaltig, akzeptieren Menschen Umweltaspekte nicht. Wie alle Staaten haben wir Gegenden mit guten Wohnmöglichkeiten und wenigen Jobs, und Zentren mit Jobs und wenig Wohnraum. Das gilt es auszugleichen, wir müssen in schwächeren Gegenden Chancen schaffen. Für die Stadtentwicklung heißt das, man muss in einem Viertel arbeiten, wohnen, einkaufen, Kinder zur Schule schicken und sich erholen können. Das Wachsen der Städte kann eine Triebkraft sein, wir arbeiten, wie Wien, mit dem Smart-City-Konzept, mit Wissenschaftlern und IT-Sektor. Wir suchen neue Lösungen, das ist auch eine Chance.

Letzte Frage. Wie adaptieren Sie als Umweltstaatssekretär Ihren Lebensstil, um den hohen Zielen gerecht zu werden?

Ich fahre mit dem Fahrrad, das ganze Jahr. Erst vor zwei Wochen hatten wir 20 Zentimeter Schnee, mit Spikes ist das kein Problem. Es gibt mittlerweile Shops in Stockholm, in denen man im Herbst die Reifen wechseln und einlagern kann. Und, ich fahre oft auch lange Strecken mit dem Zug. Vor Kurzem war ich mit meinen drei Kindern mit dem Auto auf dem Land, erst da ist mir aufgefallen, dass ich es zuvor monatelang nicht genutzt hatte.

Ganz ohne geht es aber doch nicht.

Es sind Schritte. Kleine Schritte, aber die werden mehr. Die Gruppe der Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit fährt, wächst enorm, in den vergangenen 20 Jahren hat sich das sicher verzehnfacht. Auch aus Gesundheitsgründen. Der Marktanteil von Bionahrungsmitteln wächst rasant. Umweltaspekte kommen zunehmend in der Werbung vor, ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen.

Gutes Schlusswort. Danke fürs Gespräch!

Oh! Eines ist mir jetzt doch eingefallen zur Eingangsfrage: Ein Unterschied: Es ist hier viel kälter! Draußen haben wir jetzt ähnliche Temperaturen, aber in den Gebäuden ist es in Wien kälter. (Er steht auf, geht zum Fenster, zeigt den Altbaufensterkasten mit zwei Fensterscheiben in der Bibliothek der schwedischen Botschaft, in der das Interview stattfindet, Anm.) Sehen Sie, wie hier haben wir in Schweden immer zwei Fensterscheiben, in Neubauten sind es drei. Energieeffizienz!

Bei Ihnen wird es auch viel kälter.

Sicher, wir haben oft minus 20 Grad im Winter. Wir haben flächendeckend Fernwärme, bzw. Kogeneration von Energie und Wärme, das ist hocheffizient, auch für die Luftqualität. 25 bis 30 Prozent aller Erkrankungen weltweit hängen mit schlechter Luftqualität zusammen, 6,5 Millionen Menschen sterben daran, ein Riesenproblem. Immerhin gibt es in Schweden so gut wie keine Ölheizungen mehr, die sind wir mit Steuern und Förderungen in den 2000er-Jahren losgeworden.

Noch ein Unterschied zu Österreich.

Ja, in manchen Punkten sind die Strategien der nordischen Länder doch anders, etwa auch die Sicht auf Biotreibstoffe. Ich habe da viele Diskussionen, gerade mit Kollegen aus Österreich, aber bei uns sind sogar Umwelt-NGOs für Biotreibstoffe. Warum? Wir haben riesige Wälder, einen Überfluss an Biomasse. Es spart fossile Energie, auch wenn Biotreibstoffe nicht ganz unproblematisch sind – Stichwort Palmöl – muss man am Ende schauen, was weniger Schaden anrichtet.

ZUR PERSON

Per Ängquist ist Staatssekretär und Vizeminister im schwedischen Ministerium für Umwelt und Energie. Eines seiner Kernthemen ist Nachhaltigkeit in der urbanen Entwicklung. Der 47-Jährige hat Agrarwissenschaften studiert, war zunächst bei der schwedischen Umweltorganisation Society for Nature Conservation, bei einem Kommunikationsunternehmen und schließlich jahrelang Generalsekretär der schwedischen grünen Partei. Diese Woche war Per Ängquist anlässlich einer Konferenz der Vereinten Nationen zu Gast in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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