Anwälte kritisieren Schlampereien des Gesetzgebers

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Bei Präsentation ihres traditionellen Wahrnehmungsberichts forderten die österreichischen Anwälte Mindeststandards im Gesetzgebungsverfahren. Außerdem seien die Gerichtsgebühren viel zu hoch.

Mit einer langen Liste an Beschwerden (euphemistisch „Wahrnehmungen“ genannt) trat am Donnerstag der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), der Anwalt Rupert Wolff, an die Öffentlichkeit. Er forderte im Namen des ÖRAK (dies ist der Dachverband der Anwaltskammern) Mindeststandards im Gesetzgebungsverfahren.

Zuletzt seien manche Gesetze (Beispiele: das Deregulierungsgrundsätzegesetz oder das Insolvenzrechtsänderungsgesetz) überhaupt ohne vorherige Begutachtung im Parlament eingebracht bzw. ohne Begutachtung vom Ministerrat beschlossen worden. Indessen sei das Berufsrechtsänderungsgesetz am 13. Jänner 2017 kundgemacht worden, obgleich dessen Inkrafttreten schon für 1. Jänner vorgesehen gewesen sei.

Wolff kritisierte zudem "eine besorgniserregende Flut von geplanten Überwachungsmaßnahmen zu Lasten der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger“. Er tat dies im Rahmen der längst zur Tradition gewordenen Präsentation des sogenannten „Wahrnehmungsberichts“ der österreichischen Rechtsanwälte.

Das Spiel mit der Angst

Als Beispiele für überschießende (wenngleich „nur“ geplante) Maßnahmen nannte Wolff etwa die Gefährder-Überwachung mittels elektronischer Fußfessel (ein Vorschlag von ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka). Oder die geplante Vernetzung privater Videoüberwachungsanlagen.

Die Angst der Bevölkerung vor Terroranschlägen dürfe nicht missbraucht werden, um unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe vorzunehmen. Hinsichtlich der geplanten Online-Überwachung, wonach die Installation von Überwachungsprogrammen ohne Kenntnis des Computerbesitzers erlaubt sein soll, heißt es im ÖRAK-Bericht: „Auch wenn es eine Zeit lang still um diesen Entwurf geworden ist, so sieht das aktuelle Arbeitsprogramm der Bundesregierung explizit eine „Überwachung internetbasierter Kommunikation“ vor. Dagegen spricht sich der ÖRAK entschieden aus. Jedenfalls sollten Berufsgeheimnisträger wie etwa Anwälte oder Journalisten (Redaktionsgeheimnis) von derartigen Maßnahmen ausgenommen werden.

Nächstes Reizthema: die „durch die Decke gehenden“ Gerichtsgebühren. Hier ist Österreich trauriger Spitzenreiter unter den EU-Mitgliedsstaaten. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Gerichtsgebühr bei einem Zivilrechtsstreit über 100 Millionen Euro exakt 329.208 Euro. In Österreich bezahlt man für denselben Rechtsstreit stolze 1,202.987 Euro. Wolff: „Wir fordern eine Deckelung der Gerichtsgebühren bei hohen Streitwerten.“

Mehr Einnahmen als Ausgaben

Eine Studie des Europarates habe zuletzt ein kontinuierliches Ansteigen des österreichischen Justizbudgets ergeben, dennoch würden die Einnahmen aus den Gerichtsgebühren, 915,62 Millionen Euro (Jahr 2014), noch über den Kosten liegen. 111,25 Prozent der Gesamtausgaben der österreichischen Justiz werde mittels Gerichtsgebühren finanziert. Der Betrag, der pro Jahr im Topf verbleibe, werde in den Strafvollzug gesteckt.

Indessen ist die personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaften mäßig. Auf 100.000 Einwohner kommen in Österreich vier (4,0) Staatsanwälte. Der europäische Durchschnitt beträgt 11,3. 

Geradezu vernichtende Kritik erntet die Wiener Magistratsabteilung 35. So teilte beispielsweise ein Anwalt mit (und der Wahrnehmungsbericht enthält dies), dass es regelmäßig zu erheblichen Problemen bei Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsverfahren komme. Oftmals werde die Entgegennahme entsprechender Anträge „rechtswidrig verweigert“.

Ein barocker Wiener Richter

Auch das Dauerthema „Verfahrensverzögerung“ wird erneut angeprangert – und mit etlichen exemplarischen Fällen unterlegt. Unter der Rubrik „Barock“ (O-Ton Rupert Wolff) und damit alles andere als zeitgemäß rangiert eine Begebenheit, die ein St. Pöltner Anwalt dem ÖRAK berichtet. Demnach sei ihm und seinem Rechtsanwaltsanwärter bei einer Verhandlung im Landesgericht für Strafsachen Wien die Benützung der Smartphones untersagt worden. Diese hätten aber dem Abrufen von E-Mails und wegweisender Entscheidungen aus der Judikatur dienen sollen, nicht dem Führen privater Korrespondenz.

Der Richter begründete das Verbot damit, dass das Betätigen der Tasten Störgeräusche verursachen würden. Daraufhin stellte der Anwalt den formalen Antrag auf Benutzungserlaubnis seines Handys, da er Rechtsdatenbanken im Internet nutzen wolle. Der Antrag wurde abgewiesen: Das Verwenden eines Mobiltelefons würde nicht nur stören, sondern auch die Würde des Gerichts untergraben.

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