Justiz schließt die Akte Natascha Kampusch

(c) Reuters (Heinz-Peter Bader)
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"Wolfgang Priklopil war ein Einzeltäter. Wir sind sicher, dass es keine Mittäter gibt." Zu diesem Ergebnis sind die zuständigen Staatsanwälte und die Kampusch-Sonderkommission gekommen.

WIEN. „Die Mehrtätertheorie ist auszuschließen.“ Mit diesem Kernsatz besiegelte der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, am Freitag in einer groß angelegten Pressekonferenz im Wiener Justizpalast das Ende der Ermittlungen im Entführungsfall Kampusch. 110 Personen seien befragt worden, 30 davon als Zeugen, einer, nämlich Ernst H. (45), der damalige Freund des Entführers Wolfgang Priklopil, als Beschuldigter. Auch das Verfahren gegen H. wegen des Verdachts der Beteiligung an der Entführung sei eingestellt worden.

Offen sei nur noch, ob H. wegen Begünstigung oder wegen Mitwirkung an Priklopils Selbstmord angeklagt werde. Dies bestätigte auch der Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher – er war als Sonderermittler nach Wien zugeteilt worden. In Sachen Ernst H. könne auch ein mögliches Finanzdelikt hängen bleiben, ergänzte Pleischl. Allerdings betreffe keiner dieser Vorwürfe die Entführung selbst, sondern im Wesentlichen das Verhalten, das H. nach der Flucht von Natascha Kampusch gesetzt habe.

Warum entführte Priklopil gerade die damals zehnjährige Schülerin Natascha Kampusch aus Wien-Donaustadt? Der Leiter der Soko Kampusch, Kurt Linzer: „Wir haben keine Erklärung, warum Natascha und keine andere.“ Der ganze Fall sei weltweit praktisch einzigartig (nur ein Entführungsfall in Kalifornien stelle sich ähnlich dar), Vergleiche seien daher unmöglich gewesen. Dass die Polizei „einen großen Fehler“ gemacht habe, weil sie 1998, kurz nach der Entführung, dem Hinweis eines Kollegen (eines Hundeführers) nicht nachging, gestand Ernst Geiger vom Bundeskriminalamt ein.

Mühlbacher über das Motiv des Täters, basierend auf H.s Angaben: Priklopil habe Angst gehabt, keine Partnerin mehr zu finden. Der damals 36-Jährige habe gemeint, es sei „alles zu spät“ für ihn, und sei „in Torschlusspanik verfallen“. So habe er beschlossen, „sich eine Frau selbst zu schaffen und zu formen“. Daher die Entführung einer erst Zehnjährigen.

Wie sind die Hinweise auf mehrere Täter – vorgebracht etwa von Ludwig Adamovich, Chef der Evaluierungskommission – zu werten?

1. Was wurde aus dem Hinweis auf einen zweiten Entführer?

Eine damals 12-Jährige berichtete von dieser Beobachtung am Tag der Entführung. Nach einer Gegenüberstellung mit dem Opfer räumte die mittlerweile Erwachsene ein, sie habe damals kurz den Sichtkontakt verloren, weil sie sich hinter einem Gebüsch versteckt habe. Es dürfe sich wohl wirklich (wie auch Kampusch sagt) um nur einen Täter gehandelt haben.

2. Wie sind Aussagen von Priklopil über „andere“ Täter zu werten?

Nach der Entführung telefonierte Priklopil und sagte zu Kampusch, dass „die anderen“ nicht kämen. Erklärung der Polizei: Der Täter versuchte, sein Opfer zu verwirren.

3. Warum war das Verlies unfertig, als Kampusch eingesperrt wurde?

Belüftung, Waschbecken, Toilette, Licht waren in dem winzigen Raum eingebaut, Möbel fehlten. Der Raum war so weit fertig, dass ein Opfer einige Zeit das Notwendigste vorfand.

4. Wie konnte ein verletzter Priklopil einen 150-Kilo-Tresor heben?

Durch den Einsatz von Stangen (Hebelwirkung), so die Polizei. Der Tresor war vor die Öffnung zum Verlies geschoben. Am Tag nach der Entführung klemmte sich Priklopil den rechten Mittelfinger ein und ließ sich ärztlich behandeln.

5. Was wurde aus den Hinweisen auf eine Beteiligung von Ernst H.?

Vor allem die berufliche Nähe ist auffällig. H. und Priklopil betrieben eine Firma, die sich mit der Sanierung und Neuvermietung von Wohnungen befasste. Doch, so die Erhebungen: Privat seien die beiden einander nicht nahe gestanden.

Die Tatsache, dass H. kurz nach der Entführung 500.000 Schilling (umgerechnet entspricht dies 36.336 Euro) an Priklopil überwies, lässt sich mittlerweile auch erklären. H. sagte zunächst aus, er habe Priklopil das Geld für die Anschaffung eines Porsche geborgt. Das ist unwahr. Vielmehr ließ sich H. – das gibt er nun zu – den Großteil des Geldes unter Zwischenschaltung des Kontos der Mutter von Priklopil wieder überweisen.

Der Grund für die Transaktion: Er wollte den Betrag als Schwarzgeld in die Firma einbringen. Auch der Umstand, dass H. kurz nach der erfolgreichen Flucht von Kampusch und dem Selbstmord des Entführers eine Polizistin fragte: „Hat er sie umgebracht?“, lässt sich (wenn auch ein wenig umständlich) erklären: H. hat von Priklopil erfahren, dass Kampusch geflüchtet sei. H. muss dies aber nicht geglaubt haben, könnte also auch gemutmaßt haben, dass das Opfer in Wahrheit getötet worden sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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