Dampfsonden als Hoffnung für Lawinenopfer

(c) EPA (Lydia Vojtakov)
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Eine Erfindung des Tirolers Stefan Lackner könnte die Suche nach Lawinenopfern revolutionieren. Bisher wurde die Dampfsonde aber nur für Totbergungen eingesetzt. Dampfnachschub ist im Überfluss vorhanden.

Innsbruck. „Einfach senkrecht am Schnee aufsetzen und hinuntergleiten lassen, bis sie ansteht.“ Stefan Lackner gibt letzte Anweisungen zum Praxistest der Lawinendampfsonde. Auf einem meterhohen Kunstschneehügel in Stans im Tiroler Unterland entzündet er den Brenner unter dem tragbaren Dampfkessel, den eine handelsübliche Gaskartusche speist. Dampfnachschub ist im Überfluss vorhanden. Den liefert der Schnee, der zum Schmelzen einfach in eine kleine Wanne auf dem Gerät gelegt wird.

Lackner, Elektriker mit jahrelanger Erfahrung als Berg- und Flugretter, öffnet den Hebel der Dampfzufuhr. Plötzlich verschwindet der schwarze Metallstab wie von selbst mit leisem Zischen im harten Schneehaufen. Schon nach wenigen Sekunden ist das gut zwei Meter tief vergrabene „Übungslawinenopfer“ – ein Rucksack – erreicht. Die Sonde stoppt und wird aus dem wenige Zentimeter breiten Loch herausgezogen. Nun gilt es, Nachschau zu halten. Dazu hängt sich Lackner eine tragbare Bedienkonsole um und führt eine Minikamera in das zuvor freigedampfte Loch ein. Mittels Konsole kann er nun Scheinwerfer zuschalten und das Kameraobjektiv schwenken. „Gefunden!“, ruft er und deutet auf seinen Monitor. „Man sieht ganz deutlich den Schriftzug am Rucksack.“ Im Ernstfall könnten die Retter nun damit beginnen, den Verschütteten freizuschaufeln. „In der Zwischenzeit könnte man mit der Sonde das Lawinenopfer freidampfen und so den Körper von der Schneelast befreien und sogar Sauerstoff zuführen“, erklärt Lackner.

Jede Minute zählt

Bei der Bergung Verschütteter zählt jede Minute. Schon nach 15 Minuten unter den Schneemassen sinken die Überlebenschancen deutlich. Nach einer halben Stunde, so die Statistik, liegen sie bei nur mehr 40 Prozent. Genau hier kommt die Lawinendampfsonde zum Tragen, so Lackner: „Auf dem Lawinenkegel suchen die Retter mittels herkömmlicher Metallsonden. Stoßen sie dabei auf Widerstand, muss gegraben werden, um den Verdachtspunkt abzuklären.“ Doch das dauert, für ein drei Meter tiefes Loch schuften mehrere Bergretter zwei bis drei Stunden. Nicht selten kommt nach der schweißtreibenden Grabung aber kein Lawinenopfer, sondern nur ein Baumstamm oder Eisbrocken zum Vorschein. Für die Retter frustrierend und verunsichernd zugleich, weiß Lackner aus Erfahrung: „Wer einmal Fehlalarm ausgelöst hat, wird beim nächsten Verdachtspunkt zögern, die Kameraden wieder schaufeln zu lassen.“ Mittels Dampfsonde könnten derlei Verdachtspunkte binnen Minuten abgeklärt werden.

„Doch das ist Zukunftsmusik“, wie Lackners Neffe Stefan Fischer anmerkt. Der 29-jährige Geograf arbeitet seit Jahren mit seinem Onkel an der Weiterentwicklung des Geräts. Im Moment kommt die Dampfsonde aber nur für Totbergungen zum Einsatz. Früher ließ man unauffindbar tief verschüttete Lawinenopfer „ausapern“ – also in ihrem kalten Grab, bis die Schneeschmelze sie wieder freigab. Heute wird das Team um Lackner und Fischer geholt. Zwar würde auch er lieber lebende Lawinenopfer bergen, dennoch weiß Fischer um die Bedeutung dieser Arbeit: „Für die Angehörigen ist es psychologisch wichtig, Abschied nehmen zu können. Zudem erhalten die Hinterbliebenen keinerlei Rente oder Versicherungsleistung, solange der Verschüttete als vermisst gilt.“ Daneben nutzen Onkel und Neffe die Suche nach Toten als Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Denn irgendwann, hoffen die beiden, wird die Sonde zur Standardausrüstung der Ersthelfer gehören.

Vorbild Defibrillator

Derzeit existieren vier einsatzbereite Lawinendampfsonden in Österreich. Zwei davon besitzt Erfinder Lackner, die beiden anderen die Tiroler Bergrettung – wenn auch nur zu Übungszwecken. Um sie für die Suche nach Lebendverschütteten einsetzen zu können, müsste an jeder Bergrettungsdienststelle ein solches Gerät vorhanden sein. Das scheitert aber noch an den Kosten: ein Dampfsondenset samt Kamera kommt auf 12.000 Euro. Für die Bergretter, die meist sogar ihre Einsatzkleidung selbst kaufen müssen, unerschwinglich. Stefan Fischer hofft auf eine Entwicklung wie bei den Defibrillatoren der Rettung: „Dank Sponsoren sind die heute an jeder Dienststelle.“

Neben der Finanzierung gilt es aber auch noch, Überzeugungsarbeit zu leisten, wie Dampfsondenerfinder Stefan Lackner weiß: „Wir wollen niemanden ersetzen, sondern verstehen uns als Ergänzung in der Rettungskette. Weil durch die Dampfsonde wertvolle Zeit gewonnen werden kann.“ Lackner hat seine Erfindung übrigens nicht patentieren lassen. Es gehe ihm nicht ums Geld, sondern darum, Leben zu retten: „Mein schönster Erfolg wäre, wenn irgendwann einmal ein Verschütteter nach der Sonde greift.“

AUF EINEN BLICK

Der Tiroler Bergretter S. Lacknerhat die Dampfsonde erfunden, ein Gerät, mit dem Lawinenopfer leichter entdeckt werden können. Dabei wird mittels Dampf ein kleines Loch in den Schnee geschmolzen, durch das ein Stab mit einer Kamera eingeführt wird. Noch wird die Sonde nur bei Totbergungen verwendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2010)

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