Zahl der Tierversuche steigt stark

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Seit 1999 hat sich die Zahl der Tierversuche fast verdoppelt; innerhalb eines Jahres stieg die Zahl sogar um 11,4 Prozent. Anlässlich eines umstrittenen Falls in Tirol beantwortet die „Presse“ die wichtigsten Fragen.

Dieses Experiment lässt die Wogen hochgehen. Wissenschaftler in Tirol wollten lebende Schweine unter einer künstlich ausgelösten Lawine begraben lassen und danach untersuchen, wie lange der Todeskampf der Tiere dauert – um neue Erkenntnisse für die Überlebenschancen von Lawinenopfern zu bekommen (siehe Bericht unten). Der Proteststurm gegen das vom Wissenschaftsministerium genehmigte Experiment war so groß, dass es gestoppt wurde. Anlässlich dieses Falls hat sich die „Presse“ angesehen, wie Österreich im Bereich von Tierversuchen agiert.

1Wie viele Tierversuche werden jährlich durchgeführt?

Die Zahl der Tierversuche hat sich in den vergangenen Jahren massiv erhöht. Wie die Österreichische Tierversuchsstatistik für das Jahr 2008 zeigt (diese Zahlen liegen erst seit Kurzem vor), ist die Zahl innerhalb eines Jahres um 11,4Prozent gestiegen: 220.456Tiere wurden für Experimente herangezogen, was fast einer Verdopplung seit dem Jahr 1999 entspricht. Damals waren es „nur“ 129.644Tierversuche. Rund 80Prozent der Versuchstiere waren Mäuse (177.544), gefolgt von Kaninchen (18.761) und Ratten (9.928). An Menschenaffen dürfen keine Experimente durchgeführt werden.

2Wieso der massive Anstieg von Tierversuchen in Österreich?

Der massive Anstieg von Tierversuchen ist auf die Intensivierung im Bereich der biomedizinischen Forschung („Life Science“) zurückzuführen, also auf den Boom der Biotechnologie. Laut Wissenschaftsministerium hätten in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Tierkrankheiten (Vogelgrippe, Schweinegrippe etc.) medizinische Maßnahmen erfordert, für die Tierversuche notwendig gewesen wären. Laut Tierschützer ist die Steigerung bei den Tierversuchen noch deutlich größer, da viele Tierversuche wegen gesetzlicher Schlupflöcher nicht als Tierversuche gelten. Beispielsweise muss der Versuchsleiter der Meinung sein, dass das Experiment für die Tiere mit Qualen verbunden ist. Ist der Versuchsleiter nicht davon überzeugt, fließt der Tierversuch nicht in die offizielle Tierversuchsstatistik ein.

3Werden Tiere in Österreich für die Kosmetikindustrie getötet?

Nein. Tierversuche für Kosmetikartikel sind in Österreich verboten. Die meisten Tiere werden in Österreich für den Bereich Forschung und Entwicklung für Produkte und Geräte der Human-, Zahn- und Veterinärmedizin, wie die offizielle Bezeichnung heißt, Versuchen unterzogen. In anderen Worten: Tierversuche für die medizinische Forschung. 2008 war diese Sparte (entgegen dem Trend) mit 83.174Tieren rückläufig. Dagegen ist die Sparte Herstellung und Qualitätskontrolle von Produkten und Geräten der Human- und Zahnmedizin innerhalb eines Jahres um 42,4Prozent auf 70.428Versuchstiere gestiegen. Für die Grundlagenforschung wurden 54.423Tiere den Versuchen unterzogen, was einem Plus von 27,8Prozent innerhalb eines Jahres entspricht.

4Werden alle Versuchstiere bei den Experimenten getötet?

Nein. Zwar enden nahezu alle wissenschaftlichen Experimente für die Versuchstiere letal, trotzdem gibt es Ausnahmen. Laut Wissenschaftsministerium zählt bereits die Blutabnahme einer Kuh für wissenschaftliche Zwecke als Tierversuch.

5Welche Vorschriften gelten in Österreich für Tierversuche?

Tierversuche sind nur zulässig, wenn sie für die Forschung, berufliche Ausbildung, Erprobung künstlich hergestellter Stoffe und medizinische Therapie dienen. Es muss dabei ein „berechtigtes Interesse“ bestehen, d.h. zur Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten, Erreichung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Vermeidung von Umweltgefährdungen.

Tierversuche dürfen jedoch nicht durchgeführt werden, wenn die Ergebnisse des Versuchs für die Wissenschaft bekannt und keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Im Gesetz heißt es dazu: „Es ist die Pflicht jedes Wissenschaftlers, Notwendigkeit und Angemessenheit des Tierversuchs selbst zu prüfen und gegen die Belastung der Versuchstiere abzuwägen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2010)

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