Wiener Gürtel: Zerschlagung der Sexmeile

Wiener Guertel Zerschlagung Sexmeile
Wiener Guertel Zerschlagung Sexmeile(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Zwölf Rochtlichtbosse wurden zeitgleich inhaftiert. Acht von ihnen werden nun im "Gürtel-Akt" geführt, einer stetig wachsenden Sammlung von Abhör- und Einvernahmeprotokollen. Die alte Ordnung ist tot.

Der „Gürtel-Akt“ ist Verschlusssache. Alles streng geheim. Doch die Nervosität der Behörden lässt bereits nach. Außergewöhnlich ist der „Gürtel-Akt“ – also jene stetig wachsende Sammlung von Abhör- und Einvernahmeprotokollen der Wiener Rotlichtbosse – auf jeden Fall. Dafür spricht auch ein untrügliches Zeichen: Sowohl das Bundeskriminalamt, jene Polizeibehörde, die am Ostersonntag zwölf Festnahmen koordinierte, als auch die Staatsanwaltschaft Wien betonen auffällig oft, dass nur „eine ganz normale Amtshandlung“ vorliege. Diese „ganz normale Amtshandlung“ markiert immerhin das Ende der alten Ordnung des Rotlichtmilieus am Wiener Gürtel.

„Es muss ein Gesamtplan dahinterstecken, es muss sich etwas dramatisch zugespitzt haben.“ So erklärt sich Anwalt Christian Werner die zeitgleiche Inhaftierung von zwölf Rotlichtgrößen. Acht von ihnen werden nun im „Gürtel-Akt“ geführt. Der Gesamtplan sah zunächst vor, die alten Verdachtsmomente (Menschenhandel, Erpressung etc.) zu erhärten – unter Einsatz eines Großen Lauschangriffs auf eines der größten Rotlichtlokale Wiens, das Platin World am Neubaugürtel.

Geheime Lauscher. Viele Wochen war das Etablissement verwanzt. Zuletzt bekam die Szene aber einen Tipp – und wusste, dass sie abgehört wurde. Dennoch versichert man in der Wiener Anklagebehörde, wo Staatsanwältin Susanne Kerbl-Cortella den Akt bearbeitet, dass der Zugriff nicht notgedrungen, sondern zum richtigen Zeitpunkt erfolgt sei. Ermittelt wird gegen die Verdächtigen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation (dies wird übrigens auch 13 dieser Tage in Wiener Neustadt vor Gericht stehenden Tierschützern vorgeworfen). Weitere Vorwürfe: schwere (Schutzgeld-)Erpressung, schwere Nötigung, Freiheitsentziehung, schwerer Betrug, betrügerische Krida, schwere Sachbeschädigung und Geldwäscherei.

Anwalt Christian Werner vertritt jenen Mann, der als unumschränkter Gürtel-Boss gilt – und gegen den auch seit Sommer 2008 ein Strafverfahren läuft. Die Rede ist von Richard St. (39), einem Geschäftsmann kroatischer Abstammung, dem der vielsagende Spruch zugeschrieben wird: „Wenn jemand Probleme hat, kommt er zu mir.“

Das abgehörte Platin World, Tummelplatz für „internationale und fast tabulose Traumgirls“ und auch das „Reich atemberaubender Fantasien“ – es gehört Richard St. Der Boss, ein Schöngeist, der sich gern der Lektüre großer Philosophen hingibt, sich vegan ernährt, teure Sportwagen liebt und unter anderem ein Domizil in der Dominikanischen Republik sein Eigen nennt, wurde am Flughafen München festgenommen und wartet auf die für Dienstag geplante Auslieferung nach Wien. St. regiert die Szene nach dem Motto „divide et impera“. Seine rechte Hand ist der kleinwüchsige Exboxer Dusko R., alias Rocky. Ihm wurde schon einmal wegen einschlägiger Vorwürfe der Prozess gemacht. Fazit: Freispruch. Rockys damaliger Anwalt: Christian Werner. Letzterer führt nun die Verteidigerriege der inhaftierten Bosse an. Diese Riege stellt das „Who's who“ der Wiener Strafverteidiger dar: eben Werner, Rudolf Mayer und nicht zuletzt „Altstar“ Peter Philipp.

Außer St. und Rocky rangieren weitere Szenelegenden unter den Verdächtigen: etwa Peter, der Lange (Körpergröße 2,13 Meter, ein Garant für „Security“, der gern mit dem 1,60-Meter-Mann Rocky auftritt), oder Easy, der Tätowierte (ihm stand mitunter Alex, das Peitscherl, zur Seite). Ferner zählen Männer zu den Inhaftierten, die von Anwalt Mayer so ganz anders als von der Polizei gesehen werden: „unbedeutende, unschuldige Türken“.

Aber noch einmal: Warum jetzt? Das „Jetzt“ relativiert sich durch den Umstand, dass die Bosse seit vielen Monaten unter besonderer Beobachtung standen. Den großen Sündenfall, quasi jenes dicke Ding, bei dem die Behörden nicht länger zusehen konnten, gibt es nicht. Auch in der Staatsanwaltschaft Wien will man davon nichts wissen. Die Hintergründe des großen Schlages haben irgendwie nicht das Zeug zum ganz großen Krimi: Zum einen wirkt sich die Summe der Verdachtsfälle aus, zum anderen entfaltet die Konsequenz der Behörden (samt dem eingesetzten Überwachungsinstrumentarium) Wirkung. Daher sagt Michaela Schnell von der Staatsanwaltschaft Wien ganz trivial: „Wir haben nicht zugeschaut. Wir haben Ermittlungsergebnisse zusammengetragen.“

Wie stark diese sind, werden etwaige Strafprozesse zeigen. Gut möglich, dass das Prädikat „Verschlusssache“ mehr Nachteile als Vorteile hat: Derzeit sitzen die Verdächtigen in verschiedenen Gefängnissen. Und damit ja keine Absprachen möglich sind, dürfen auch die Anwälte nur überwachte Gespräche mit ihren Klienten führen. Die Folge: Alle Anwälte schwören ihre Mandanten darauf ein, zu schweigen.

„Hure plus Handy“. Und die Rotlichtszene am Gürtel? Die sei schon länger nicht mehr lukrativ, sagt einer, der die Szene bestens kennt, seinen Namen aber hier nicht lesen möchte. „Schutzgeld – dass ich nicht lache. Wer heute ein Rotlichtlokal erpressen will, kriegt gleich die Lokalschlüssel, weil die Stromrechnung noch nicht bezahlt ist.“ Erst eine Flasche sündteuren Sekt bezahlen, ehe man sich zurückzieht, sei als Geschäftsmodell überholt. Reine Zimmervermieter seien besser im Geschäft. Um diese Dinge wird sich nun die nächste Generation von Bossen (wie es aussieht eher Österreicher, keine Tschetschenen, wie kolportiert) am Wiener Gürtel kümmern müssen. Dann nämlich, wenn St. und Co länger in U-Haft bleiben – wovon die Anwälte derzeit ausgehen. Eine (besonders effiziente) Form des Rotlicht-Unternehmertums sei stark im Kommen: „Hure plus Handy“. So würde das Milieu auch ohne Bosse auskommen.

Ca. 1800 Frauen sind in Wien als Prostituierte registriert. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Experten schätzen, dass es in Wien 6000 bis 8000 Frauen gibt, die zumindest zeitweise der Prostitution nachgehen.

Unruhe auf der Straße. Nach den Festnahmen der Bosse seien auch die Sexarbeiterinnen „in großer Unsicherheit“, beklagt Sozialarbeiterin Faika Anna El-Nagashi vom Verein Lefö, der für eine Verbesserung der rechtlichen Stellung der Frauen eintritt.

Sexworker.at stößt ins selbe Horn: „Wir sehen die Entwicklung mit Sorge, weil wir die neuen Betreiber nicht kennen. Einen kommenden offenen Rotlichtkrieg sehe ich nicht, aber es besteht die Gefahr, dass sich nun Monopole bilden, die etwa die Zimmerpreise diktieren“, meint Christian Knappik, Administrator der Plattform.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild Verhaftung
Österreich

"Gürtel-Größen": Verhaftung wegen Mafia-Paragraf §278a

Die Verdächtigen wurden wegen der vermuteten Bildung einer kriminellen Organisation im Sinne das Mafia-Paragrafen § 278a aus dem Verkehr gezogen.
Nach Grossrazzia Wiens Rotlichtszene
Wien

Nach Großrazzia: Wiens Rotlichtszene jetzt führungslos

Der Polizei ist ein Schlag gegen die oberste Ebene des Wiener Gürtelmilieus gelungen. Mehrere Bosse sind in Haft. Die Vorwürfe reichen von Schutzgelderpressung bis Menschenhandel.
Schlag gegen RotlichtSzene Wiener
Wien

Schlag gegen Rotlicht-Szene: Wiener "Gürtel-Größen" in Haft

Bis zu zwölf Personen wurden am Wochenende aus dem Verkehr gezogen. Darunter auch der angebliche Kopf der am Wiener Gürtel etablierten Szene. Verhaftungen gab es auch in Deutschland und Spanien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.