Emotionstraining für Chefs: „Wir haben keinen Bock“

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Emotionstraining fuer Chefs bdquoWir(c) Georgia Meinhart
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Manager lernen im SOS Kinderdorf Mitarbeiterführung. Dabei geht es in erster Linie um Persönlichkeitsentwicklung, erklärt der Gründer der bayerischen Agentur „questo prosulting“.

Altmünster. Oliver H. sitzt ohne Schuhe, in schwarzen Anzugsocken, schwarzer Hose und einem faltenfreien Kapuzenpullover auf einer Kunststoffmatte im SOS Kinderdorf Altmünster. In dem deutschen Unternehmen, für das er arbeitet, ist er für zehn Mitarbeiter verantwortlich, hier soll er mit fünf Mädchen der hiesigen Hauptschule ein Schiff aus Stoff und Holz bauen. Für die Mädchen im Kinderdorf soll es eine Abwechslung vom Alltag sein, für Oliver H. ist es Führungskräftetraining. Erfunden hat die Kinderdorf-Methode Matthias Klein.

Es gehe dabei um Persönlichkeitsentwicklung, erklärt der Gründer der bayerischen Agentur „questo prosulting“: Emotionen zeigen, Vertrauen vermitteln, Nähe zulassen und Grenzen ziehen, Eigen- und Fremdwahrnehmung oder etwa um die Fähigkeit zu delegieren. Zu den Kunden in Kleins Agentur zählen Crédit Suisse, die Hamburger Sparkasse, die Versicherungskammer Bayern, Coca-Cola Deutschland oder die Stuttgarter Versicherungen.

Wer sich dem viertägigen Trainingsprogramm aussetzt, muss mitunter einiges aushalten: „Der erste Tag wird meist als der schlimmste empfunden, es gab schon einige Teilnehmer, die dann abbrechen wollten. Was verständlich ist. Die meisten sind ja direkte Rückmeldungen ihrer Mitarbeiter nicht gewohnt. Wenn die es aber hier nicht schaffen, eine gute Beziehung zu den Kindern zu etablieren, dann heißt es ganz einfach: Wir haben keinen Bock.“ In der „Malhöhle“ im Untergeschoß, wo eine 26-jährige Personalentwicklerin und ein 43-jähriger Banker aus Bayern für das „Marketing“ des Schiffprojekts zuständig sind, wird ein Logo gezeichnet, Einladungen werden entworfen und die Strategien der Öffentlichkeitsarbeit festgelegt.

Im Team von Oliver H. scheint indes tatsächlich niemand Bock zu haben. Auf die meisten seiner Fragen bekommt er keine Antwort. Der 32-Jährige sagt zu Beginn: „Was wir heute hier machen, ist, dass wir, also wir und ihr, klären, wie wir uns diese Begrifflichkeiten vorstellen.“

Wer hat wen geküsst?

Damit landet er schon den ersten Lacher: „Begrifflichkeiten“, äffen die Mädchen ihn nach, ihre Aufmerksamkeit hat er jedoch trotzdem nur kurz. Die schwenkt bald wieder zu Themen wie der letzten Party, dem als ungerecht empfundenen Handyverbot und wer zuletzt wen am Schulhof geküsst hat.

„Bitte“, klagt Oliver H., nachdem er einige Minuten stumm der Konversation der Gruppe gelauscht hat, „es geht doch darum, dass wir bis Mittwoch hier etwas fertigstellen wollen.“ Die Mädchen malen mit dem schwarzen Filzstift, mit dem Oliver H. zuvor die Worte „Achtsamkeit, Toleranz und Wertschätzung“ auf das Flipchart geschrieben hat, Smileys auf ihre Unterarme und Hände.

Klein beobachtet das Geschehen aus der Distanz und macht sich Notizen. Konventionelle Führungsmodelle seien zu kopflastig, glaubt er: „Führung hat viel mit Emotion, Anerkennung und Vertrauen zu tun. Nur wenn die Unternehmensziele für Mitarbeiter so übersetzt werden, dass sie sie verstehen, entsteht Motivation. Das kann man in der Arbeit mit Kindern gut lernen.“

Oliver H. hat indes langsam die Nase voll: „Das ist mir alles zu blöd“, sagt er. Das Flipchart, auf dem die Mädchen ihre Assoziationen zu „Achtsamkeit, Wertschätzung und Aufmerksamkeit“ hätten schreiben sollen, ist auch nach einer knappen Stunde fast leer. Die Gruppe gerät unter Zeitdruck, schließlich soll aus weißem Stoff und Holz noch ein Schiff gebaut werden, auf dem die Begriffe und ihre Erklärungen dann stehen sollen, „ein gutes Schiff, ein klares Schiff“, sagt Oliver H. schon mehr zu sich selbst.

Mit Bohrmaschine und Schere macht er sich schließlich selbst an die Arbeit: Das Projekt muss bis schließlich fertig werden.

Zwei der Mädchen haben irgendwann Mitleid und knien sich zu ihm auf den Boden. Ein anderes sagt in hörbarer Lautstärke: „Also, letztes Jahr war das viel lustiger.“ Und dreht die Musik im Hintergrund lauter.

Oliver H. nimmt die Bohrmaschine in die Hand: „Ich versuche ja, sie zu motivieren, aber das ist halt nicht so einfach.“

Auf einen Blick

■Im SOS Kinderdorf Altmünster werden Führungskräfte trainiert: Die Kinder melden sich freiwillig, die Manager bzw. ihre Unternehmen zahlen 2690 Euro pro Kopf, das Kinderdorf erhält pro Seminar 2000 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2010)

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