Betteln mit Kindern: Weniger Kleinkriminalität, mehr Prostitution

(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
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Norbert Ceipek, Leiter des Opferzentrums Drehscheibe, sieht einen Rückgang bettelnder Kinder - aber auch Schattenseiten: mehr Kinderprostitution und Kinderhandel finden statt – mit viel Geldfluss.

„Die Presse“: Was hat das Verbot, mit Kindern zu betteln, das 2008 eingeführt wurde, in Wien gebracht?

Norbert Ceipek: Gleich nach der Einführung haben wir einen rapiden Rückgang erlebt. In Zahlen sind wir von 100 auf fünf Kinder gekommen. Was es noch gibt, ist die Tagesstruktur der Bettler, die von der Slowakei kommen und einen Tag betteln, oder Rumänen, die im Familienverband betteln. Massenzufuhr gibt es aber nicht mehr.

Hat sich die Bettelei in andere Städte verlagert?

Ceipek: Während wir in Wien einen Rückgang von 84 Prozent haben, gibt es in den anderen Städten Zuwächse von über 400 Prozent. Graz war lange überhäuft, obwohl es dort das Bettelverbot schon seit 2006 gibt – dort wird es aber nicht geahndet. Auch in Niederösterreich, etwa in St. Pölten oder in Stockerau, standen Bettler fast vor jedem Supermarkt. Dort war aber weniger Geld zu machen. Dann kam eine massive Welle behinderter Erwachsener. Es wurden elf Fälle aufgedeckt, in denen Behinderte nur zum Betteln verwendet und total ausgebeutet wurden.

Haben Sie denn keine Kinder mehr bei der Drehscheibe?

Ceipek: Kinder habe ich immer, aber nicht mehr die Masse. Allerdings weisen diese Kinder eine andere Kriminalitätsqualität auf als die Kinder vor dem Bettelverbot – die waren vor allem in der Kleinkriminalität tätig. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es mehr ans Eingemachte geht: mehr Kinderprostitution und Kinderhandel finden statt – mit viel Geldfluss. Wir sind aber gut gerüstet, das Bundeskriminalamt arbeitet mit uns Hand in Hand und behandelt jeden einzelnen Fall.

Vor zwei Jahren gab es Probleme mit bulgarischen Behörden, die nicht an die Ausbeutung bulgarischer Kinder in Österreich geglaubt haben. Wie sieht das heute aus?

Ceipek: Das hat sich total zum Guten gewandelt. Die Bulgaren haben acht Krisenzentren gebaut und sind zurzeit ein besserer Partner als Rumänien.

Warum?

Ceipek: Rumänien hat in letzter Zeit einen eher auf die Wirtschaftskrise gesteuerten Kurs genommen. Und fast alle rumänischen Mitarbeiter, die bei uns in Trainings waren, sind gekündigt worden.

Sind die Krisenzentren in Rumänien geschlossen worden?

Wenn sie nicht geschlossen worden sind, dann sind sie von unqualifizierten Leuten besetzt, zum Beispiel einer Putzfrau, die plötzlich Sozialpädagogin ist, nur weil sie das richtige Parteibuch hat.

Spüren Sie das auch in Wien?

Ceipek: Ich spüre es insofern, als ich von einigen Mitarbeitern in Rumänien erfahren habe, dass es die Jugendwohlfahrt als solche nicht mehr gibt; die Agentur für Kinderschutz ist aufgelöst worden, und das Incoming Center (Erstaufnahmezentrum für Kinder, die aus Österreich geschickt wurden, Anm. der Redaktion) ist geschlossen. Ich habe die rumänische Botschaft um Stellungnahme gebeten.

Wenn Sie also Kinder aus Rumänien bekommen, wissen Sie nicht, wohin sie geschickt werden sollen?

Ceipek: Nein, das weiß ich nicht. Letzte Woche habe ich im Außenministerium bekannt gegeben, dass ich kein Kind mehr nach Rumänien schicke. Derzeit ist das gestoppt, weil ich den guten Ruf der Drehscheibe nicht gefährden möchte. Und ich schicke kein Kind ins Nirwana.

Was haben Sie sonst noch für Fälle?

Ceipek: Jetzt haben wir vermehrt die Dublin-Fälle, bei denen Jugendliche in anderen Ländern schon um Asyl angesucht haben, von dort flüchten und nach Österreich kommen. Das ist eine Grauzone, weil sie nicht in die Grundversorgung kommen, also ist die Jugendwohlfahrt zuständig.

Gibt es etwas, das Sie stört?

Ceipek: Mich stört, dass nur drei Länder – Wien, Niederösterreich und Tirol – sich um den Schutz der Kinder kümmern. Andere Bundesländer schauen weg und sagen, dass sie das Problem nicht haben. Ich weiß aber, dass sie das Problem haben. In Zeiten wie diesen, in denen Europa in der Krise ist, fängt man an, an der falschen Stelle zu sparen. Dass es in Österreich Opferschutzzentren geben muss, soll nicht hinterfragt werden, so wie es seit vier Jahren der Fall ist. Ich denke, dass es hoch an der Zeit ist, dass die Bundesregierung das Geld für neue Opferschutzzentren locker macht. Denn viel Geld ist das wirklich nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2010)

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