Tierschützer-Prozess ufert aus, Gutachten wackeln

TierschuetzerProzess ufert Gutachten wackeln
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Heute, Mittwoch, verzeichnet das „Mafia-Verfahren“ schon Tag 39. Der Vorwurf der "Bildung einer kriminellen Organisation" steht im Raum. Gut möglich, dass die Urteile erst 2011 verkündet werden.

WIEN/WIENER NEUSTADT. „Weit mehr als hundert Personen sind zu vernehmen“, sagt ein Gerichtssprecher. Dabei nicht eingerechnet sind weitere 250 mögliche Zeugen, die von der Verteidigung beantragt werden. Insofern zählt der Prozess zu den größten, die je im Landesgericht Wiener Neustadt stattfanden – und es könnte definitiv der längste werden: Heute, Mittwoch, findet bereits der 39.Verhandlungstag im Verfahren gegen 13 Tierschützer statt. Am Donnerstag steht Tag 40 auf dem Programm, nach einer Pause im August wird ab 1.September weiterverhandelt. Zwölf Tage wurden bereits fixiert. Gut möglich, dass die Urteile erst 2011 verkündet werden.

Die vorläufige Bilanz sieht aus Sicht der Verteidigung unbefriedigend aus: Ein Gutachten, welches zur Frage eingeholt wurde, ob das Freilassen von Mastschweinen aus einer Massentierhaltung zu Stress und damit zum Tod dreier Schweine geführt hatte, wurde vom Gericht bereits verworfen. Ein neuer Gutachter sei bereits bestellt, um zum Vorwurf der Tierquälerei Stellung zu nehmen. Dazu sagt der Angeklagte Jürgen Faulmann am Dienstag auf einer Pressekonferenz der Verteidigung: „Das Freilassen auf eine große Wiese läuft als Tierquälerei, die Massentierhaltung nicht.“ Und dies, obgleich die drei Schweine möglicherweise schon vor der Aktion aufgrund der widrigen Bedingungen gestorben waren.

Irgendwo, irgendwer, irgendwann

Klar ist: Dieser Anklagepunkt ist insofern untypisch, da die gegen alle 13 Tierschützer – Erstangeklagter ist Martin Balluch (45), Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) – erhobene Anklage auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation lautet. Insofern ist das gesamte Verfahren (Vorsitz: Richterin Sonja Arleth) massiver Kritik ausgesetzt. Die Anwendung dieses vage formulierten Paragrafen (§278a Strafgesetzbuch) war eigentlich zur Zerschlagung von Mafia-Strukturen (Drogenschmuggler, Menschenhändler) gedacht. Anwältin Alexia Stuefer meint: „Eine kriminelle Organisation liegt hier sicher nicht vor.“

Konkrete Verdachtsmomente würden nach wie vor fehlen: „Es wird gesagt, irgendwann hat sich irgendwer irgendwo zu einer kriminellen Organisation zusammengeschlossen. Näheres bleibt im Dunklen.“ Der Staatsanwalt wirft den 13 Angeklagten eine „Doppelstrategie“ vor, einerseits hätten sie offiziell Tierschutz-Kundgebungen organisiert, parallel dazu würden sie hinter Anschlägen, etwa auf Textilketten, die Pelze verkaufen, stecken. Verteidiger Josef Phillip Bischof: „Sie waren ein bisschen zu laut, sie waren ein bisschen zu aktionistisch, aber wo ist da die Mafia?“

Indessen schätzt Anwalt Stefan Traxler die bisher angefallenen Verfahrenskosten auf fünf Millionen Euro. Und es dürfte noch teurer werden: Auch der linguistische Gutachter (er nahm zu Bekennerbriefen Stellung) wackelt gehörig. Ein Verteidiger-Antrag auf Abberufung liegt noch unerledigt bei Gericht. So wie 84 weitere Anträge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2010)

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