Das Gladiator-Experiment

GladiatorExperiment
GladiatorExperiment(c) Clemens Fabry
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Vor den Toren Wiens führen derzeit 20 deutsche Studenten ein Leben wie in der Antike: Sie trainieren, kämpfen – und kochen vegetarischen Linseneintopf.

Lionel Messi und Gladiatoren haben eines gemeinsam: den Profisport.

Josef Löffel steht am Rande der Ausgrabungen eines Amphitheaters in Bad Deutsch-Altenburg und sucht nach anschaulichen Vergleichen. Er ist Dozent für Alte Geschichte an der Universität Regensburg und Betreuer eines ungewöhnlichen Experimentes. Vor ihm, auf einem runden, mit Sand bestreuten Platz, stehen ein Dutzend junge Männer und hantieren mit dünnen Holzpfählen. Bis zum 15.August noch leben 20 von Löffels Studenten hier wie Gladiatoren; sie trainieren, sie kämpfen, sie schlafen in Zelten und kochen vegetarischen Linseneintopf.

Dabei genießen die Gladiatoren nicht zuletzt wegen des Hollywood-Films „Gladiator“ einen blutrünstigen Ruf. Im Film führt Russell Crowe einen Rachefeldzug. Die dargestellten Schlacht- und Kampfszenen sind jedoch nur die halbe Wahrheit. Im Amphitheater kam es nur selten zu einem Gemetzel. Vielmehr ging es um Unterhaltung und professionellen Kampfsport. Die gut trainierten Athleten als „Kanonenfutter“ zu verheizen, lag nicht im Interesse ihrer Sponsoren, sagt Löffel. Die Ausbildung zum Schaukämpfer kostete nämlich viel Geld und Zeit, weshalb im Schnitt „nur“ 10 bis 30 Prozent der Gladiatoren bei Kämpfen starben.

Während in Bad Deutsch-Altenburg also die einen in der Arena trainieren und sich auf ihren nächsten Auftritt vorbereiten, haben die anderen Küchendienst. Ernest, Stefan und Philip schälen Karotten, Zwiebeln und Knoblauch. Die Studenten sind wegen den Erfahrungswerten hier in der Gladiatorenschule, erzählen sie. Für ihr Studium brauchen sie den Aufenthalt jedenfalls nicht – sie studieren Biologie, Jus und Kulturwissenschaften. Die meisten anderen aber studieren Geschichte.

Tattoos und Irokesenschnitt

Während der sechs Monate langen Vorbereitungsphase haben sich die Studenten intensiv mit dem Leben der Antike auseinandergesetzt. Vor allem die Kampftechniken sorgen für Interesse. Einzig: Darüber ist wenig bekannt. Trainer Christian Eckhart hat deshalb mehrere Trainingskonzepte erstellt – und einige gleich wieder verworfen. „Die Schritte des mittelalterlichen Fechtens machen hier keinen Sinn“, sagt der gelernte Kampfsportler. Fußtechniken, wie sie Boxer verwenden, passen besser. Auch Ringkampf dürften die Gladiatoren trainiert haben, so Eckhart. Monotone Bewegungen hingegen sind unwahrscheinlich – sie hätten das Publikum gelangweilt.

Kaum Fisch, kaum Fleisch

„Die Kleidung ist schon bequem“, sagen Ernest und Stefan mit Blick auf ihren Lendenschurz. Abgesehen davon sehen sie weniger aus wie Gladiatoren: Beide tragen einen Irokesenschnitt, sind gepierct und tätowiert. Die ersten paar Tage hätten sie gut überstanden, erzählen die Studenten. Allerdings seien sie jeden Abend todmüde ins Bett gefallen.

Der Tag der Gladiatoren beginnt nämlich um sechs Uhr morgens mit Training. Eine Stunde später gibt es Frühstück (Brot, Olivenöl, Fetakäse), dann bis Mittag wieder Training. Nach einer kurzen Ruhepause wird wieder trainiert – und abends gibt es Vorträge über die Antike.

Gerade am Abend, wenn die Gelsen über das Land ziehen, leiden die Studenten besonders. „Und das Essen ist auch nicht sehr abwechslungsreich“, sagt Philip. Mittags und abends gibt es meist dasselbe, Fisch und Fleisch sind eher die Ausnahme – so wie bei den Gladiatoren eben auch, die sich durchaus bewusst ernährten.

So brachten es in der Antike einige Gladiatoren zu Ruhm – sie waren weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und hatten eine große Fangemeinde. Ihre Anhänger ritzten die Namen ihrer Idole in Hausmauern („Graffiti“, wie Löffel meint), ihr Schweiß wurde als Aphrodisiakum verkauft. Das Gladiatorendasein sei allerdings eine „schizophrene Angelegenheit“ gewesen, sagt Löffel. Einerseits waren sie sehr beliebt und ein Vorbild. Andererseits – und im Gegensatz zu Lionel Messi – standen die Gladiatoren ganz unten in der antiken Hierarchie. [Foto: Clemens Fabry]

Auf einen Blick

■In Bad Deutsch-Altenburg bei Wien leben bis zum 15.August 20 Studenten wie Gladiatoren. Dabei kann man ihnen auch über die Schulter schauen. Ab jeweils 14 Uhr gibt es Familienprogramm.

www.carnuntum.co.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2010)

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