Kampusch: Priklopil war "Nazi aus Angst"

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Am Mittwoch erscheint Natascha Kampuschs Biografie "3096 Tage". Die 22-Jährige will so mit der ganzen Geschichte abschließen. Im Vorfeld des Erscheinungstermins spricht Kampusch über ihre Gefangenschaft.

Wien (dpa/APA/red.). 3096 Tage lang, vom 2.März 1998 bis zum 23.August 2006, hat Wolfgang Priklopil Natascha Kampusch im Keller seines Hauses in Strasshof gefangen gehalten. „3096 Tage“ hat die heute 22-Jährige auch ihre Chronik der Ereignisse damals genannt, die ab Mittwoch im Buchhandel erhältlich sein wird – und dort auf beträchtlichen Verkaufserfolg hoffen darf. Mit einer kolportierten Erstauflage von 50.000 Exemplaren legt sich der List-Verlag, in dem das Buch erscheint, eine hohe Latte: Sogar von Thilo Sarrazins Kontroverse „Deutschland schafft sich ab“ wurden anfänglich nur 40.000 Stück gedruckt. „3096 Tage“ erscheint in elf Ländern.

Kampusch selbst ist im Vorfeld des Erscheinungstermins wieder massiv medial präsent: In mehreren Interviews gibt das Entführungsopfer zu Protokoll, warum sie ein Buch über ihre Gefangenschaft veröffentlicht: „Ich wollte mit der ganzen Geschichte abschließen“, sagt Kampusch im Gespräch mit der deutschen Presseagentur (dpa), „ich wollte, dass gewisse Menschen, die sich dafür interessieren, nicht immer das glauben, was Verschwörungstheoretiker verbreiten. Ich wollte einfach, dass es mal von meiner Seite eine längere Aussage gibt.“

Darüber hinaus wolle sie mit dem Buch Ereignisse aus ihrer Kindheit klarstellen, die immer wieder falsch dargestellt würden, sagt Kampusch – zum Beispiel, was das Verhältnis zu ihren Eltern angeht: „Nach dem Buch ist es eben nicht mehr verbreitbar, dass mich meine Mutter geschlagen hat oder dass sie total brutal gewesen ist.“

Über Priklopil, den Kampusch in dem Buch nur als „der Täter“ bezeichnet, sagt sie im Interview mit dem „Kurier“, dass er sie mit Schlägen, Brandwunden und einem Stanleymesser körperlich traktiert und ihr über ein Mikrofon in ihrem Kellerraum Befehle gegeben habe. Nach den Anschlägen vom 11.September habe Priklopil vom „Ende der Weltherrschaft der Juden“ gesprochen: Der Entführer sei ein „Nazi aus Angst“ gewesen, sagt Kampusch.

Nach ihrer Gefangennahme – Kampusch war zehn Jahre alt, als Priklopil sie von ihrem Schulweg in Wien-Donaustadt in einem weißen Kastenwagen verschleppte – habe der Techniker ihr einen neuen Namen gegeben: „Er wollte mich Maria nennen, aber ich habe Bibiana gewählt.“ Damit habe ihr Priklopil einerseits ihre Kraft genommen, ihr andererseits aber auch sehr geholfen: „Ich wurde eine andere Person. Im Keller war ich Bibiana. Sie war duldsamer. Und hatte mehr Ausdauer.“

Im Vorverkauf ist die Nachfrage nach Kampuschs Buch hoch: Bei der Online-Buchhandlung Amazon liegt „3096 Tage“ an vierter Stelle, was die Zahl der Vorbestellungen angeht – nach erst zwei Tagen im Sortiment. Nicht zuletzt war dafür wohl die mediale Aufmerksamkeit – neben Interviews und Vorabdrucken war Kampusch gestern Abend im ARD-Talk „Beckmann“ zu Gast – verantwortlich, die bis zu Kampuschs einziger angekündigter Lesung am Donnerstag in der Thalia-Filiale in Wien-Landstraße wohl noch ansteigen wird.

Zu wenig Geld für Stiftung

Ruhiger geworden ist es inzwischen um eine Stiftung, deren Gründung Kampusch nach ihrer Flucht angekündigt hatte – unter dem Namen „Natascha Kampusch Foundation“ wollte das Entführungsopfer unter ihrem Namen gesammelte Spendengelder an Hilfsprojekte weiterleiten.

Daraus ist bisher nichts geworden: Von rund 50.000 Euro Spenden habe Kampusch rund die Hälfte an die Opfer des Amstettner Vergewaltigers Josef F. weitergegeben, die übrigen 25.000 Euro lägen nach wie vor auf einem Konto, heißt es von Kampuschs Rechtsvertretung. Für die Gründung einer Stiftung wäre ein viel größeres Budget nötig gewesen. Für die Verwendung des übrigen Geldes gäbe es derzeit noch kein Konzept.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2010)

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