Deutsche Gutachter zerreißen heimische Expertisen

Gericht. In jüngster Zeit geriet der Wiener Gerichtsgutacher Max Friedrich unter Beschuss – seine Gutachten seien „abwegig“ und „fehlerhaft“, kritisierten deutsche Experten. Friedrich spricht von „unterschiedlichen Herangehensweisen“.

[WIEN/LINZ/GEME]Wolfgang E. ist heute ein freier Mann. Sieben Jahre und acht Monate dauerte sein Prozess wegen angeblichen Kindesmissbrauchs, zahlreiche Gutachten, die Entlassung aus dem Lehrberuf und ein jahrelanges Leben als Verdächtiger liegen nun hinter ihm. Sein Fall und wie er vor Gericht verhandelt wurde, steht exemplarisch für eine Reihe vom auch ideologisch motivierten Kampf um die Wissenshoheit der forensischen Psychologie. An der massiven Kritik an Gutachten des österreichischen Psychiaters Max Friedrich durch deutsche Obergutachtern wird diese Kluft deutlich.

Günter Köhnken aus Kiel, Max Steller aus Berlin und Burkhard Schade aus Dortmund sind jene deutschen Psychologen, die immer öfter zur Begutachtung österreichischer Expertisen bestellt werden – und die diese oft in der Luft zerreißen.

Zuletzt beendete ein solches Obergutachten von Köhnken den Prozess gegen den oberösterreichischen Musikschullehrer Wolfgang E., der 2003, gestützt auf ein Gutachten Friedrichs, vom Landesgericht Ried zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt wurde. Dazu kam es nicht, es konnte Wiederaufnahme erreicht werden. Die Vorgeschichte: 2002 hatte sich der Innviertler von seiner damaligen Freundin getrennt. Die Frau beschuldigte ihn danach, er hätte ihre Tochter in den Jahren mehrfach sexuell missbraucht, als das Mädchen zwischen sechs und acht Jahre alt gewesen war.

Nach einem gerichtlichen – von Maria Ruby erstellten – und einem privaten Gutachten von Burkhard Schade, die Zweifel an der Aussagetüchtigkeit des Mädchens festhielten, wurde vom Gericht Max Friedrich bestellt. Die von Ruby und Schade geäußerten Zweifel räumte Friedrich aus - ohne das Mädchen selbst gesehen zu haben. Es sei „bemerkenswert, welche weitreichenden diagnostischen Schlussfolgerungen aus nicht vorhandenen Befunden gezogen werden“, kritisierte Köhnken. Die Argumentation Friedrichs sei „so abwegig, dass sie sich selbst disqualifiziert und keiner weiteren Kommentierung bedarf.“ Wolfgang E. wurde im August dieses Jahres freigesprochen, er fordert Schadenersatz. Die Wiedereinstellung als Lehrer wird ihm verwehrt.

Friedrich: „Gericht entscheidet“

120.000 Euro Haftentschädigung und harte Kritik an der Qualität des österreichischen Psychiaters Friedrich standen auch am Ende des Falls Albin K.: Er wurde wegen angeblichen schweren sexuellen Missbrauchs an seiner vierjährigen Tochter verurteilt. 21 Monate saß Albin K. unschuldig hinter Gittern, bevor das Urteil durch das Gutachten von Max Steller, Professor am Institut für Forensische Psychiatrie in Berlin, revisiert wurde. Steller qualifizierte Friedrichs Methoden als „fehlerhaft und kontraindiziert“, also nicht anwendbar.

Derart in Schussfeld geraten weist Friedrich im Gespräch mit der „Presse“ die Anschuldigungen zurück: „Ich gebe wieder, was ich vom Kind erfahren kann.“ Hintergrund der Kritik deutscher Berufskollegen sei die unterschiedliche Herangehensweise: „Ich würde nie, wie das in Deutschland der Fall ist, ein Gutachten schreiben, das die Glaubwürdigkeit beurteilt. In Österreich ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit allein Aufgabe des Gerichts.“ Dass Urteile in Missbrauchsfällen in der Regel auch in Österreich der Meinung des Gutachters folgen, glaubt Friedrich nicht: „Ich habe es auch oft anders erlebt.“ –

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2010)

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