Experten fordern: Mehrlingsgeburten reduzieren

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Hormonelle Stimulation und künstliche Befruchtung erhöhen die Wahrscheinlichkeiten von risikoreichen Mehrlings- und Frühgeburten. Gesetzliche Obergrenze für die Zahl der implantierbaren Embryonen gibt es nicht.

Wien/Uw. In der Fortpflanzungsmedizin wird viel über die Rechte der Eltern in spe diskutiert – aber wenig über die der zukünftigen Kinder. Das beklagt im Vorfeld der Bioethik-Enquete (siehe oben) Klaus Vavrik, Kinderarzt und Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, die Berufs- (Ärzte, Hebammen), aber auch Selbsthilfegruppen umfasst.

Die Experten machen nämlich den „unlimitierten“ Einsatz der Fortpflanzungsmedizin für immer mehr ernste Gesundheitsstörungen im Kinder-und Jugendalter verantwortlich. Der Grund: Hormonelle Stimulation und In-vitro-Fertilisation (IVF) führten oft zu Mehrlingsgeburten (Zwillinge, Drillinge), und diese würden das Risiko für eine Frühgeburt erhöhen. Deren mögliche Folgen, so Vavrik, seien Schäden an Gehirn, Leber, Lunge, abgesehen davon gelten Mehrlingsgeburten an sich als risikoreich.

Den österreichischen Trend belegt auch die Statistik: Mit einem Anteil von 11,1Prozent liegt Österreich bei den Frühgeburten im EU-Spitzenfeld. Gleichzeitig hat sich der Anteil an Mehrlingsgeburten erhöht: Lag dieser 1970 bei 1,8Prozent aller Lebendgeborenen, so stieg er 2009 mit 3,5 Prozent auf fast das Doppelte.

Drillinge als „Misserfolg“

An der Uni-Klinik Innsbruck analysierte man daher retrospektiv alle Geburten zwischen dem Jahr 2000 und 2009, bei denen Kinder medizinisch unterstützt gezeugt wurden (hormonelle Stimulation, IVF etc.). Das Ergebnis findet die dortige Oberärztin Barbara Maier, die auch Mitglied der Bioethikkommission ist, als „schockierend“. 48,5 Prozent der Kinder seien Mehrlingskinder. Maier: „Erfolg in der Fortpflanzungsmedizin ist nicht die Schwangerschaft, sondern eine Einlingsschwangerschaft– eine Drillingsschwangerschaft muss als Misserfolg gewertet werden.“

Daraus ergeben sich für die Liga, die betont, nicht gegen Fortpflanzungsmedizin an sich zu sein, dringende Forderungen. So müsse die hormonelle Stimulation besser „gemanagt“ werden und bei der IVF die maximale Anzahl der implantierbaren Embryonen gesetzlich beschränkt werden, sagt Angelika Berger, stellvertretende Leiterin der Neonatologie im AKH. Derzeit gibt es keine Obergrenze und, so Berger, „freiwillige Beschränkungen nützen nichts“.

Eine detaillierte Empfehlung dazu gibt es bereits vom Obersten Sanitätsrat, dem Expertengremium im Gesundheitsministerium, dessen Vorsitzender, Ernst Wolner, zur Liga gehört. Prinzipiell, so Gesundheitsminister Alois Stöger im Rahmen der Enquete zur „Presse“, sei das Ziel ein „Single-Embryo-Transfer“ – also jeweils ein einziger Embryo. Direkt umsetzen könne man das aber nur in jenen Fällen, in denen die Kosten der künstlichen Befruchtung vom IVF-Fonds (er ersetzt bis zu 70 Prozent) bezahlt würden. „Wir wollen aber darauf hinwirken, dass sich unsere Vertragsinstitute auch bei den privat bezahlten Fällen daran halten“, sagt Stöger. Für eine echte Verpflichtung brauche er aber eine Änderung des Gesetzes. Oder eine Ermächtigung, diese im Verordnungsweg einzuführen. Weder das eine noch das andere, heißt es aber aus dem Büro der Justizministerin, habe man derzeit „auf dem Radar“.

„Baby-Take-Home-Rate“

Ähnlich die Lage bei der zweiten Forderung: bessere statistische Erfassung. Derzeit wird nur gezählt, wie viele Schwangerschaften durch medizinische Hilfe zustande kommen – und nicht, wie viele Kinder tatsächlich geboren werden und in welchem Gesundheitszustand. Nur im Rahmen des IVF-Fonds – und auch dort erst seit dem Vorjahr – gibt es eine „Baby-Take-Home-Rate“. Auch hier, so Stöger, werde man versuchen, dass die Vertragsinstitute auch privat gezahlte Fälle erfassen. Generell, glaubt Berger, könne man durch bessere Aufklärung der Eltern über die vielen Risken von Mehrlingsgeburten eine Senkung derselben erreichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2011)

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