Der Joint wird gesellschaftsfähig

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Konsum und Akzeptanz von Cannabisprodukten steigen in breiten Teilen der Bevölkerung langfristig und deutlich. Das ist eines der Ergebnisse des seit 18 Jahren erhobenen "Suchtmittel-Monitors" der Stadt Wien.

Wien. Den Volksdrogen Alkohol und Nikotin erwächst langsam, aber sicher ein ernst zu nehmender Mitbewerber: Cannabis und seine Derivate sind auf dem besten Weg, von breiten Teilen der Bevölkerung konsumiert oder toleriert zu werden. Das ist eines der Ergebnisse des Wiener „Suchtmittel-Monitors“, der auf Basis einer repräsentativen Umfrage seit inzwischen 18 Jahren Entwicklungen, Versäumnisse und Trends zum Thema Drogen erfasst. Der aktuelle Bericht 2011 liegt der „Presse“ exklusiv vor.

21 Prozent der Wiener, das ist mehr als jeder Fünfte, hat demnach wenigstens einmal im Leben „etwas geraucht“. Damit rangieren Cannabisprodukte erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen an erster Stelle aller abgefragten Suchtmittel (Ausnahme: Alkohol und Nikotin). Schlaftabletten (19 Prozent) rutschten auf Rang zwei.

Mindestens genauso bedeutend wie die Zahlen zum Cannabiskonsum selbst sind die Befragungsergebnisse zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Stark vereinfacht haben die Wiener inzwischen mehr Verständnis für Kiffer als für Trinker. Oder anders ausgedrückt: Der Joint ist – trotz seines Verbots – in einem gewissen Sinn gesellschaftsfähig geworden.

Boom bei „Home Growing“

Jeweils 41 Prozent der Befragten würden den Konsum von Haschisch oder Marihuana von Personen aus dem engeren Freundeskreis grundsätzlich oder zumindest eine kurze Zeit lang tolerieren. Lediglich jeder Zehnte gibt an, den Kontakt zur betroffenen Person im Fall des Falles sofort abzubrechen. Vor vier Jahren noch sah das ganz anders aus. Damals hätte jeder Vierte umgehend die Freundschaft gekündigt. Verständnis (oder teilweises Verständnis) brachten 33 bzw. 37 Prozent auf.

Übermäßigen Alkoholkonsum hingegen wollen lediglich 18 von 100 grundsätzlich tolerieren. Immerhin 55 Prozent würden kurzzeitiges Verständnis zeigen. 17 Prozent sagen: Wenn einer meiner Freunde trinkt, breche ich den Kontakt zu ihm sofort ab.

Die Toleranz gegenüber Cannabisprodukten zeigt sich auch in einer anderen Beobachtung. Nur noch 60 Prozent (1993 waren es 84 Prozent) halten die Substanz für gefährlich. Das ist ein Wert, den sonst nur zugelassene Medikamente wie Schlankheitspillen oder Antidepressiva erreichen.

Die Entwicklung macht auch der Wiener Drogenhilfe Sorgen. „Der ,Suchtmittel-Monitor‘ zeigt einen Trend zur Akzeptanz von Cannabis“, so Drogenkoordinator Michael Dressel, der die Ergebnisse gestern, Dienstag, dem Drogenbeirat vorstellte. Im Beirat sitzen die Stadtregierung, Abgeordnete aller im Gemeinderat vertretenen Parteien sowie Experten aus Drogenhilfe, Ärzteschaft, Polizei und Justiz.

Zum gesellschaftlichen Trend kommt, dass in den vergangenen Jahren Hanfzüchtungen mit stark erhöhtem Wirkstoffgehalt (THC) auftauchten. Ärzte warnten bereits wiederholt vor den unabsehbaren psychischen Langzeitfolgen dieser Pflanzen, die auch verstärkt in den Verwahrungskammern der Polizei auftauchen. Allein im Vorjahr hat die Exekutive Cannabisprodukte im Wert von 12,9 Mio. Euro beschlagnahmt. Bei einem durchschnittlichen Marktpreis von zehn Euro pro Gramm entspricht das einer Menge von 1,29 Tonnen.

Meistens werden Cannabisprodukte auf dem Landweg aus dem Schengen-Raum (hauptsächlich Niederlande, Tschechien, Schweiz) nach Österreich geschmuggelt. Erst vor wenigen Wochen stellte das Innenministerium einen deutlichen Trend zum sogenannten „Home Growing“ fest. Dabei würden die Plantagenbetreiber – egal, ob indoor oder outdoor – immer professioneller vorgehen. Alles in allem waren im Vorjahr 17.072 von 23.853 angezeigten Suchtmitteldelikten auf Cannabisprodukte zurückzuführen.

Subjektive Sicherheit gestiegen

Neben Haschisch & Co. stieg der Drogenkonsum in Wien zuletzt nur bei Kokain und Naturdrogen – auf niedrigem Niveau. Alle anderen Substanzen, darunter Heroin und Amphetamine, gelten als stabil. Das betrifft selbst den Alkohol, bei dem das Einstiegsalter seit zehn Jahren um Werte zwischen 15,5 und 16 Jahren pendelt.

Mit der Akzeptanz von Cannabis nahm auch das Verständnis für Suchtkranke sowie die einhergehenden Maßnahmen zu. Jeder zweite Wiener hätte „kein Problem damit“, wenn in der unmittelbaren Wohnumgebung eine Betreuungsstelle eingerichtet würde. Umgekehrt fühlen sich nur drei Prozent (2009: zwölf) im öffentlichen Raum von Drogenkranken bedroht. Immerhin 14 Prozent (2009: 21) berichteten jedoch von „unangenehmen Erfahrungen“.

Der Wiener „Suchtmittel-Monitor“ wird seit 1993 vom Institut Ifes alle zwei Jahre für die Stadt erhoben. Die Daten stammen aus 600 persönlichen Interviews. Die statistische Schwankungsbreite beträgt plus/minus vier Prozentpunkte. Die gestellten Fragen haben sich seit Start des „Suchtmittel-Monitors“ kaum verändert, um die Ergebnisse auch über Jahre vergleichbar zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2011)

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