Mein Baby aus Bratislava

(c) Dapd (Jens Wolf)
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Man nennt es Befruchtungstourismus: Jedes Jahr fahren circa 500 Österreicherinnen ins Ausland, um sich dort in Kliniken ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Franziska Kern* schaut zur Seite. Wie so oft während dieser halben Stunde wandert ihr Blick zur Babytasche, die neben ihr auf der Kaffeehausbank steht. „Wissen Sie, meine Nachbarin sagt, dass mir das Kind mit jedem Tag ähnlicher sieht“, sagt sie. Es soll ein Witz sein. Aber es klingt, als würde sie es gern glauben. Dabei weiß Franziska Kern, dass es unmöglich ist. Schließlich ist ihr Kind genetisch das einer anderen.

Kern, 36 Jahre alt und verheiratet, ist – oder besser gesagt, war – eine von geschätzten 500Frauen, die pro Jahr ins Ausland fahren, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Mit Methoden, die in Österreich verboten sind. Dabei geht es – wie in Kerns Fall – vor allem um die Eizellenspende. Dabei wird eine fremde Eizelle mit dem Samen des Partners befruchtet und dann der unfruchtbaren Frau eingesetzt. In zweiter Line betrifft das Verbot auch Samenspenden. Die sind in Österreich zwar erlaubt, dürfen aber nur für eine Insemination verwendet werden (der fremde Samen wird der Frau eingespritzt). Eine künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation, kurz IVF) ist nur mit dem Samen des Partners erlaubt.

Im europäischen Vergleich ist die Gesetzeslage, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kürzlich in einem Urteil feststellte (siehe Lexikon rechts), eher strikt. Die Folge ist reger „Befruchtungstourismus“: Beliebte Ziele sind die Slowakei, Tschechien und Spanien. Österreichische IVF-Privatkliniken haben dort längst und ganz legal Beteiligungen oder Dependancen – mit Personal, das Deutsch oder Englisch spricht. In der Partnerklinik des Wiener Kinderwunschzentrums in Bratislava liegt der Anteil der Patientinnen aus dem Ausland (konkret Österreich) bei 20Prozent. In den IVF-Zentren des Tiroler Arztes Herbert Zech in Pilsen und Karlsbad stellen die Touristinnen sogar 70Prozent, allerdings kommen die meisten aus Deutschland und Italien.

Franziska Kern war in Bratislava. Vier Jahre ist es her, da erfuhr die Wienerin, warum alle ihre bisherigen Versuche schwanger zu werden, gescheitert waren: Sie produziert keine Eizellen. „Damals ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Seit ich 21 war, habe ich vom Muttersein geträumt“, sagt sie. „Ich konnte mir ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen“. Ein Satz, den man fast wortident von ungewollt kinderlosen Frauen immer wieder hört. Kern begann einen Weg, den man typisch nennen darf. Am Anfang stand das Nachdenken über Alternativen wie Adoption. Doch die, sagt Kern, dauere sehr lange, sei kompliziert und außerdem „nicht dasselbe“. Medizinisch, das war nach Beratung der Ärzte klar, konnte nur eine Eizellenspende helfen. Es folgte also eine Fahrt nach Bratislava. Dann weitere. Jahre vergingen, tausende Euro wurden ausgegeben. „Erst beim letzten Mal, als ich gedacht habe, dass ich psychisch kein weiteres Nein mehr aushalte, ist es passiert.“

Bedenkzeit. Bei Irene Welsch* hingegen funktionierte es in Bratislava auf Anhieb. Dafür hätte der Niederösterreicherin der Weg dorthin fast ihre Partnerschaft gekostet. Das medizinische Problem liegt hier bei ihrem Lebensgefährten Sebastian Bern*. Als feststand, dass seine Freundin nur mit dem Samen eines anderen Mannes schwanger werden kann, erbat Bern sich sechs Monate Bedenkzeit: „Ich musste mir klar werden, ob ich in die Vaterrolle schlüpfen kann.“ Schließlich stimmte er zu – auch weil Welsch sich sonst getrennt hätte. „Der Kinderwunsch“, sagt die 35-Jährige, „war mir schon sehr wichtig.“

Onlinefreunde. Zuspruch erhielt Welsch in dieser Zeit vor allem aus dem Internet. In Onlineforen wie „Wunschkind – Kinderwunsch“ schreiben Betroffene das, worüber sie im Alltag schweigen. „Das Internet ist ein Ventil, weil künstliche Befruchtung ein gesellschaftliches Tabu ist“, sagt Sandra Hnat-Gerersdorfer, Obfrau des Vereins hinter der Homepage. Allerdings glaubt sie auch: „Die Frauen tabuisieren das Thema selbst, weil sie sich vor Bekannten und Verwandten schützen wollen, die ihnen sagen, dass sie es mit dem Kinderwunsch übertreiben.“

Im Fall von Welsch hatte das enge Umfeld Verständnis – „nur meine Mama würde das bis heute lieber verschweigen“, sagt sie. Das Paar probierte es – wie in Österreich erlaubt – zuerst mit Inseminationen mit Spendersamen. Fünf Mal ohne Erfolg. Erst dann entschied es sich zu einer IVF mit Spendersamen in Bratislava.

In der slowakischen Klinik war der Ablauf dann „so normal, wie soetwas eben sein kann“, sagt Welsch. Was die Auswahl des Spenders betrifft, macht es keinen Unterschied, ob man eine Eizelle oder Samen braucht: Die Patienten dürfen angeben, welche Augenfarbe, Haarfarbe, Gewicht und Größe der Spender/die Spenderin haben sollte. Es gibt aber keine Garantie, dass diese Wünsche erfüllt werden. Der Arzt versucht nur jemanden zu finden, der dem Aussehen der Empfängerin bzw. – im Fall von Fremdsamen – ihres Partners ähnelt. „Man muss vertrauen“, sagt Welsch. Auch Babyfotos oder Intelligenztests, wie man das von dänischen Samenbanken kennt, fehlen.

Jutta Schmidt* findet das gut so. Die 38-jährige Niederösterreicherin ließ sich nach acht fruchtlosen IVF-Versuchen in einer Prager Klinik eine fremde Eizelle einsetzen. Ihre Tochter ist inzwischen ein Jahr alt. Sie hat auffällig glattes Haar, Jutta Schmidt dagegen lockiges. „Ich hätte“, sagt sie, „in der Klinik auch angeben können, dass ich, wenn möglich, gern eine Spenderin mit Locken hätte. Ich habe es dann aber gelassen, denn ich habe mir gedacht: Irgendwo hört es auf.“

„Die hübsche Tante“. Schmidt hat viele Freunde in den USA, wo der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin extrem liberal ist: Eizellen gibt es dort in verschiedenen Preisklassen, von der blonden, sportlichen Harvard-Studentin abwärts. Ein Traumszenario für Frauen wie Schmidt? Sie überlegt. „Nein, ich würde mir vorkommen, als würde ich etwas mit Rücktauschrecht kaufen.“ Eine große Auswahl wäre Druck und Versuchung zugleich, sagt sie: „Denn natürlich will man die beste und schönste Spenderin für sein Kind.“

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum man die Spenderin (oder den Spender) lieber im Dunkeln lässt: „Wüsste ich mehr über die Spenderin und hätte Babyfotos von ihr gesehen, dann würde ich dauernd diese andere Frau im Kopf haben“, sagt Franziska Kern. Sie würde noch öfter an die „hübsche Tante“, wie sie die Spenderin nennt, denken, als sie es ohnehin schon macht. „Mir ist lieber, ich kenne kein Gesicht.“

Wer aber sind diese Frauen ohne Gesicht? Sie bleiben (so wie die Samenspender) in Tschechien und der Slowakei komplett anonym. Nur die Klinik kennt ihre Identität. Die Empfängerinnen wissen bloß, dass sie zwischen 20 und Anfang 30Jahre alt sind. Dass sie gesund sind – schließlich werden sie auf zahlreiche Infektionen getestet – und dass sie aus „geregelten Verhältnissen“ stammen.

Darüber hinaus darf man vermuten, dass sie Geld brauchen: 900 bis 1000Euro bekommt eine Spenderin laut Gesetz als Aufwandsentschädigung. Schließlich ist eine Eizellenspende zeitintensiv und unangenehm, wie die Empfängerinnen, die selbst IVF-Versuche durchlaufen haben, nur allzu gut wissen. Zudem birgt die Prozedur Risken. „Die Entnahme der Eizelle selbst ist relativ ungefährlich“, sagt Herbert Zech, Leiter mehrerer IVF-Institute. „Das Hauptrisiko ist die hormonelle Überstimulation, sprich dass die Spenderin zu viele Eizellen bildet. Das kann zu Zysten im Bauch führen oder zu Thrombose, Embolie.“ Deshalb müsse man die hormonelle Stimulation immer abbrechen, wenn die Spenderin zu viele oder zu wenige Eizellen bildet.

Das Geschäft. Die Verquickung von medizinischem Risiko und Geld führt auch zu Kritik an der Eizellenspende. Die Spenderinnen, so heißt es, würden ausgebeutet. Die Münchner Moraltheologin Sigrid Müller, die Mitte November bei einer Debatte des der Fortpflanzungsmedizin kritisch gegenüberstehenden Vereins „aktion leben“ in Wien zu Gast war, spricht sogar von einem „Sklavenmarkt“. Von dem, so geht der Vorwurf weiter, die Kliniken finanziell profitieren.

Fakt ist: Für eine Eizellenspende zahlt man in Europa zwischen 5000 und 7000Euro, im oberen Bereich auch bis zu 9000Euro. Allerdings gibt Zech zu bedenken, müsste man dem Preis die hohen Kosten für die Vorbereitung und Betreuung der Spenderin und der IVF an sich gegenüberstellen. Nichtsdestotrotz: Natürlich arbeiten die Kliniken gewinnorientiert. „Aber wenn man das Patientenwohl ernst nimmt, ist das sicher keine Goldgrube“, sagt Heinz Strohmer, Leiter des Wiener Kinderwunschzentrums, das an einer Klinik in Bratislava beteiligt ist.

Dass es kriminelle Fälle gibt, wo Spenderinnen schlecht behandelt und hormonell überstimuliert werden, um mehr Eizellen zu gewinnen, die auf mehrere Empfängerinnen aufgeteilt werden, streitet Strohmer nicht ab. „Es wurden in der Vergangenheit auch einige Kliniken geschlossen.“ Seriöse Institute, sagt er, könnten sich solche Praktiken gar nicht leisten. Denn die Spenderinnen, die höchstens dreimal spenden dürfen, würden über Mundpropaganda akquiriert – meist seien es Arzthelferinnen, Studentinnen. „Arme Frauen, die die Aufwandsentschädigung zum Überleben brauchen, nehmen wir nicht“, sagt IVF-Spezialist Zech. Dass Geld das Hauptmotiv für die Spende ist, sei aber trotzdem klar: „Nur aus Nächstenliebe macht es sicher keine. Die Frauen stehen dem Kinderwunsch wohl positiv gegenüber, aber letzten Endes ist sicher die Entschädigung der Anreiz.“

Das muss auch Jutta Schmidt einsehen, obwohl sie es gerne anders hätte: „Ich hoffe, dass die Frau es auch gemacht hat, weil sie helfen wollte. Ich bete auch für sie, das ist meine Art, Danke zu sagen.“ Franziska Kern sieht ihre Beziehung zur Spenderin nüchterner: „Niemand zwingt diese Frauen, das zu tun. Sie hat mir einen Lebenstraum erfüllt, dafür hat sie Geld bekommen. Wo ist das Problem?“

Identitätskrise. Einem anderen Problem kommt man allerdings nicht aus: Die Kinder von Welsch, Kern und Schmidt werden ihre biologische Herkunft nie restlos kennen. Im Unterschied zu Österreich, wo mit Fremdsamen gezeugte Kinder mit 14Jahren die Unterlagen in den Kliniken einsehen dürfen, ist in Tschechien und der Slowakei diese Möglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen. Die Frauen finden das schade – zumindest wegen des Kindes: „Es hätte sicher ein Recht darauf, es zu wissen“, sagt Welsch. Der Mediziner Zech hingegen sieht das pragmatisch: Seit in Österreich die Samenspenden nicht mehr komplett anonym seien (Anmerkung: 1992), sei die Zahl der Spender stark zurückgegangen. Da es schon prinzipiell schwieriger sei, Eizellenspenderinnen zu bekommen, sei das Recht des Kindes auf Information ein relatives: „Ohne Anonymität gibt es keine Spender, und ohne Spender wäre das Kind gar nicht da.“ Sein Kollege Strohmer beurteilt das anders: „Das ist keine ideale rechtliche Lösung. Das Kind hat ein Recht auf seine biologische Identität. Wenn die Zahl der Spender bzw. Spenderinnen dadurch klein bleibt, dann ist das eben so.“

Vor der Frage nach der genetischen Identität steht aber noch eine andere, nämlich: Sagt man dem Kind überhaupt, dass es noch eine andere Mutter, einen anderen Vater hat? Welsch und Kern haben es fix vor, vielleicht gemeinsam mit einem Therapeuten. Jutta Schmidt hingegen zögert: „Ich bin dafür, mein Mann ist dagegen.“ Warum? „Weil er Angst hat, dass unsere Tochter das später gegen mich verwendet.“ „Du bist nicht meine echte Mama/mein echter Papa“: Das ist der Satz, vor dem man sich fürchtet. Sebastian Bern, der Lebensgefährte von Irene Welsch, ist selbst mit einem Stiefvater aufgewachsen: „In der Pubertät sind wir öfter aneinandergekracht. Ich habe ihm dann immer gesagt: Du bist nicht mein Vater, du kannst gar nichts entscheiden.“ Von seinem Sohn möchte er das nie hören.

Keine Mutter? Ein fixes Rezept, wie man es richtig macht, gibt es nicht, sagt Brigitte Rollett, Entwicklungspsychologin an der Universität Wien. „Im Prinzip gilt: Das Kind sollte es wissen, und es sollte auch wissen, wer seine genetischen Eltern sind. Aber es gibt Ausnahmen. Gerade bei sehr sensiblen Kindern kann es auch besser sein, es zu verschweigen.“ Denn im Unterschied zur Adoption, wo es ja reale Eltern gebe, sei die Situation gerade bei der Eizellenspende, wo ja keine Mutter allein „die echte“ ist, gefühlsmäßig kompliziert: „Im schlimmsten Fall hat das Kind dann das Gefühl, dass es gar keine Mutter hat.“

Im besten Fall geht es dem Kind mit seiner Mutter hingegen so wie Sebastian Bern mit seinem Sohn. Oder Jutta Schmidt mit ihrer Tochter. „Es gab nie einen Moment, wo ich mir gedacht habe: Das ist nicht meiner“, sagt Bern über seinen inzwischen eineinhalbjährigen Sohn. Jutta Schmidt konnte sogar sozusagen einen direkten Vergleich anstellen. Als sie ihre Tochter bekam, hatte sie nämlich schon einen Sohn. Der heute Siebenjährige wurde ebenfalls mit IVF, aber mit ihrer eigenen Eizelle gezeugt. „Ich habe mich natürlich vor der Geburt gefragt, ob ich für meine Tochter andere Gefühle haben werde.“ Das Ergebnis: kein Unterschied. „Mir ist jeden Tag bewusst, dass die Gene meiner Tochter von einer anderen Frau stammen“, sagt sie. „Aber das ändert gar nichts: Es ist mein Kind.“

*Alle Namen der Betroffenen wurden geändert.

In zahlen

5000bis 7000 Euro

kostet eine Eizellenspende durchschnittlich in Europa. In manchen Instituten liegt der Preis auch bei 9000 Euro.

1000Euro
Circa so viel erhält die Spenderin in der Slowakei und Tschechien als Entschädigung.

500Frauen
Geschätzte Zahl jener Österreicherinnen, die jährlich ins Ausland fahren, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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