Wiens Drogenszene wandert weiter

(c) Clemens Fabry
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Die offene Suchtgiftszene hat sich von Wien-Mitte zur S-Bahn am Rennweg und in den 20. Bezirk verlagert – die Szene zerstreut sich, zerschlagen wird sie aber nicht.

Wien. Ein verstohlener Blick. Eine Umarmung wie unter Freunden. Die Hand des einen wandert in die Manteltasche des anderen. Ein Blick zur Kontrolle, die Summe stimmt. Ein Abklatschen wie zum Abschied, ein kleines Päckchen, umwickelt mit Alufolie, wechselt dabei den Besitzer.

Raffiniert und doch für jeden erkennbar handelt die Wiener Drogenszene. In U-Bahnen, in der Opern-Passage, den Stationen Handelskai, Dresdner Straße oder Josefstädter Straße. Und immer häufiger in S-Bahnen und in Wien-Landstraße. Zuletzt hat sich die Szene von Wien-Mitte in Richtung der S-Bahn-Station Rennweg verlagert. Besonders um den Aufgang in Richtung Jauresgasse, nahe der russisch-orthodoxen Kirche, ist ein Brennpunkt der Drogenszene im Entstehen.

Einige Wochen bot die Großbaustelle Wien-Mitte Drogenhändlern dunkle Ecken und Verstecke für ihre Geschäfte, die Szene hat sich dort etwa Mitte Oktober angesiedelt. Zu Spitzenzeiten wurden zugleich 20 Menschen, die der Szene zuzuordnen sind, gezählt, heißt es. „Derzeit ist die Szene in Wien-Mitte wieder rückläufig, sie wechselt schnell“, sagt Roland Reithofer, Leiter für Soziale Arbeit beim Verein Wiener Sozialprojekte. „Wenn es Razzien gibt, verlagert sie sich kurzfristig.“ Jetzt eben zum Rennweg. Auch der Direktor des nahen Gymnasiums Sacre Cœur, Reinhard Hallwirth, bestätigt, man höre von verstärktem Drogenhandel um die Station Rennweg. Schüler seien damit aber bisher noch nicht konfrontiert gewesen.

Die Polizei beschwichtigt. Dramatisch seien die Probleme im dritten Bezirk nicht. „In Wien-Mitte gab es große Aufregung, dann kamen die Razzien, jetzt sind die Suchtkranken weg“, sagte Birgit Hebein, Gesundheitssprecherin der Wiener Grünen, jüngst bei einer Veranstaltung zum Thema. Aber die Szene von einem Platz zum nächsten zu vertreiben, sei keine Lösung. „Drogenkranke konsumieren. Die Frage ist nur: wo und wie?“ Schließlich ist der Handel mit Drogen ein unelastischer Markt. Verringert sich das Angebot, ändert das an der Nachfrage nichts. Der Bedarf besteht unabhängig von Preis und Konditionen. „Reguliert man über die Angebotsseite, tun die Konsumenten mehr, um an die Suchtmittel zu kommen. Es kommt zu mehr Beschaffungskriminalität oder Prostitution“, sagt Reithofer.

Ruf nach Konsumräumen

Während die Polizei Händler jagt, versuchen Sozialarbeiter die Süchtigen in eine Substitutionstherapie zu bringen. „In Wien gibt es 10.000 Suchtkranke. Etwa zwei Drittel davon sind in Substitutionstherapie“, sagt Reithofer. Der Großteil davon lebt sozial integriert. Die offene Drogenszene wird auf 300 bis 500 Menschen geschätzt. Gäbe es in Wien Konsumräume, schätzt Reithofer, könnten 30 bis 50 Prozent des öffentlichen Konsums von den Straßen verschwinden.

Wiens Grüne fordern, neben solchen Konsumräumen mehr niederschwellige Angebote. Und kritisieren, dass die Drogenhilfe zunehmend zentralisiert wird. So wird es 2012 nur mehr eine Beratungsstelle mit Spritzentausch geben. Das, so fürchtet Romed Felderer, grüner Bezirksrat aus Wien-Landstraße, könne dazu führen, dass mehr Spritzen in der Öffentlichkeit gefunden werden.

Mitte 2012 soll der neue „Ganslwirt“ am Gumpendorfer Gürtel eröffnen – und zur einzigen Spritzentauschstelle werden. Derzeit werden pro Tag 7500 bis 8000 neue Spritzen in den Anlaufstellen Tabeno (Tageszentrum, Betreuung, Notschlafstelle) am Wiedener Gürtel und im bisherigen Ganslwirt in der Esterhazygasse ausgegeben.

„Die Kapazitäten werden mit dem neuen Ganslwirt verdoppelt, die Klienten finden alles unter einem Dach, und wir müssen sie nicht mehr hin und her schicken“, sagt Lisa Brunner von der Sucht- und Drogenkoordination der Stadt Wien. Die Versorgung werde durch die Konzentration auf eine Stelle nicht eingeschränkt. Schließlich liegen auch die bisherigen Einrichtungen schon nahe zusammen.

Auf einen Blick

Offene Szene: Im Herbst gestand die Wiener Polizei ein Problem mit der Suchtgiftszene im Bahnhof Wien-Mitte ein. Mit Schwerpunktmaßnahmen versuchte man, das Problem zu lösen. Wegen der vielen Kontrollen verlagerte sich die Szene an andere Orte – derzeit sammeln sich zahlreiche Suchtkranke und Dealer in der S-Bahn-Station Rennweg. Die Polizei beschwichtigt, die Probleme mit der Drogenszene im dritten Bezirk seien nicht dramatisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2011)

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Kommentare

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